Holles Garten Blog

Corona-App

Jetzt ist also die neue Corona-App da. Und Regierung und Entwickler freuen sich, weil schon 7 Millionen Deutsche sie sich aufs Smartphone geladen haben. Ich gehöre nicht dazu und werde es auch in Zukunft nicht. Auch wenn der Chaos-Computer-Club sie wegen ihrer Sicherheit lobt. Es ist nicht so, daß ich große Geheimnisse hätte. Ausspioniert wird sowieso jeder und jede, die sich im Internet rumtreibt. Das gehört einfach zum Geschäftsmodell der Softwarefirmen. Die erhobenen Daten werden benutzt, um künstliche Intelligenz zu entwickeln. Ich werde das sabotieren, wo ich nur kann. Ich brauche kein selbstfahrendes Auto und keine Alexa, die meine Heizung oder mein Radio anstellt. Noch kann ich das alles selber.

Nein, ich bin nicht so vermessen zu glauben, daß ich nicht krank werden kann. Ich gehöre sogar zur Risikogruppe, weil ich über 50 bin und mehr als 20 Jahre lang starke Raucherin war. Das hat in meiner Lunge sicherlich Spuren hinterlassen. Ich bin mir auch bewusst, daß Sterben zu meinen Möglichkeiten gehört. Und wenn es denn so sein soll, dann ist es so. Was für mich zählt ist dieses: das zu verwirklichen, wofür ich auf diese schöne Erde gekommen bin, voll und ganz zu leben, zu lieben, mein ekstatisches Potenzial auszuschöpfen, die Schönheit dieser Planetin zu genießen. Neulich wurde ich gefragt, ob ich schon immer so gedacht habe. Nein, habe ich nicht. Ich bin wie soviele in unserer Kultur aufgewachsen mit dem Bewusstsein, daß Leistung, Fleiß und Selbstüberwindung wichtig sind. Ich habe die protestantisch-kapitalistische Arbeitsethik bis in meine Körperzellen verinnerlicht. Und ich habe viele Jahre gebraucht und bin noch dabei, mich davon wieder zu verabschieden. Die Einsicht, daß es um Freude geht und daß der Tod nichts Schreckliches ist, was es um jeden Preis zu vermeiden gilt, habe ich mir nicht erarbeitet. Sie war eher ein Geschenk des Lebens. Angst vor Krankheit hat in meinem Leben seit langer Zeit einen sehr untergeordneten Platz. Der Tod kann jeden Tag kommen, plötzlich und unerwartet, wie es so schön heißt. Und bis dahin will ich in vollen Zügen leben! Je älter ich werde, desto mehr gelingt mir das.

Frisch geschnitten

Ich habe ein neues Notebook, nachdem mein noch gar nicht so altes nicht mehr in der Lage war, Updates zu verarbeiten und ständig offline ging. Die Techniker, die sich vergeblich an der Reparatur versuchten, fanden übrigens, daß ich nach sechs Jahren mal was Neues anschaffen könnte. Ich finde es ziemlich abartig, daß der Kongo für seltene Erden ausgeplündert wird, mit deren Hilfe Geräte gebaut werden, die man nach wenigen Jahren wegschmeißen kann. Aber über mein neues Notebook freue ich mich. Es ist nämlich gar nicht neu, sondern benutzt, generalüberholt und mit dem neusten Betriebssystem ausgestattet und hat darüber hinaus einen Bruchteil von einem neuen gekostet. Ein Freund meiner Tochter, der Experte ist, hat es im Internet für mich ausfindig gemacht. Es funktioniert richtig gut und sieht außerdem sehr ansprechend aus. Jetzt schaue ich mal, ob ich jemanden finde, der mit meinem alten noch was anfangen kann.

In den letzten zwei Tagen habe ich die Buchsbaumhecke in meinem Garten in Form geschnitten, mit reiner Muskelkraft. Das war anstrengend, besonders bei gleißendem Sonnenschein (ich holte mir dabei auch gleich den ersten Sonnenbrand dieses Jahres). Abends war ich ziemlich erledigt, aber auch sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Solange ich gut funktionierende Muskeln habe, gibt es bei mir keine Motorgeräte, die nervtötenden Lärm machen und Strom fressen. Heute Morgen fuhr ich zum Einkaufen nach Selent mit dem Fahrrad. Ich stelle immer wieder fest, wie gut körperliche Bewegung tut, auch wenn sie mal anstrengend ist. Sie hebt einfach die Stimmung.

Ich bin gespannt, ob „systemrelevant“ das Unwort des Jahres 2020 wird. Unten sind zwei Gegenstände aus meinem Haushalt, die für mich systemrelevant sind: Krug und Pömpel.

Neulich habe ich bei Tochter und Schwiegersohn Musik gehört, die mich in der Tiefe angesprochen hat: das Stück Churchyard der jungen Norwegerin Aurora (das ist ihr echter Vorname). Wenn ihr euch das auf YouTube anseht, nehmt die Live on KEXP-Version. So stelle ich mir eine nordische Elfe vor, diese intensive Stimme und diese ekstatischen Bewegungen. Beeindruckend!

Kampf?

Eine Pollen sammelnde Hummel in der Küche

Es ist ja in dieser Zeit ständig vom Kampf gegen das Virus die Rede. Da spricht die Kriegssmentalität, die wir in unserer Kultur bis auf Zellebene verinnerlicht haben. Ein völlig größenwahnsinniges Vorhaben, denn wir können kein Virus besiegen. Im besten Falle können wir damit umgehen lernen. Viren sind um ein Vielfaches älter als die Menschheit und haben so ausgeklügelte Überlebensstrategien, daß wir nur neidisch sein können. Jeder Kampf gegen irgendwas oder irgendwen bringt neuen Kampf hervor, das zeigt unsere Geschichte.

Es gibt ja auch Leute, die Viren eine Rolle in der Evolution zuschreiben. Ich glaube das auch. Bei meinen Kindern habe ich gesehen, daß nach überstandene Windpocken- und Maserninfektionen eine Art Entwicklungsschritt stattfand. Ja, ich weiß, daß extrem viele Indigene in Amerika an Masern gestorben sind, die ihnen die Weißen mitgebracht haben. Umgekehrt haben die Weißen die Syphilis aus Amerika nach Europa gebracht und hatten keine Chance zur Genesung. Da spielen solche Sachen wie Herdenimmunität und morphische Felder eine Rolle, vermute ich.

Daß das mit dem Kämpfen gegen etwas nicht funktioniert, sieht man auch schön an den Antibiotikaresistenzen, die mittlerweile in Krankenhäusern ein zunehmend größeres Problem darstellen. Denn nicht nur Viren, auch Bakterien sind so intelligent, daß sie ständig mutieren und damit immer gefährlicher für die menschliche Gesundheit werden. Ähnliches gilt auch für Ackergifte (Welcher Intelligenzbolzen hat sich eigentlich das Wort „Pflanzenschutzmittel“ dafür ausgedacht?).

Wenn Kampf, dann bitte für etwas: für saubere Luft, für Nahrung für alle, für ein friedliches Miteinander aller lebendigen Wesen, für die Freiheit die zu sein, die wir eigentlich sind – Zellen eine großen lebenden Organismus, die miteinander kooperieren wollen, jede auf ihre ganz eigene Art und Weise. Und ich bin in tiefster Seele überzeugt, daß wir hier sind, um uns des Lebens zu freuen und die Fülle der Erde zu genießen.

Meine Freundin I. sagte neulich: „Ich glaube, die Erde hat uns das Virus geschickt, damit wir lernen. Und sie wird uns auch das nächste und nächste schicken, bis wir es gecheckt haben.“ Diese Vorstellung gefällt mir gut.

Kartoffelrose mit Pentagramm

Reise

Pfingsten machte ich eine Reise nach NRW, zunächst nach Münster zu meiner Mutter. Am Samstag fuhr ich mit ihr zum Markt am Domplatz. Seit sie in dieser Stadt lebt, macht sie dort ihren wöchentlichen Einkauf und kennt fast alle. Durch Corona ist alles sehr kompliziert geworden. Die Stände sind auseinandergezogen worden, um die Abstandsregeln einhalten zu können. Einige stehen jetzt auf dem Prinzipalmarkt, am Fürstenberghaus und vor der Bezirksregierung. Außerdem ist das Kopfsteinpflaster nicht wirklich für Rollatoren geeignet. Gemeinsam ging es dann aber ganz gut. Ich fand schnell die Stände, die sie aufsuchen wollte und an jedem wurde erst mal ausgiebig geschnackt. À propos Schnacken: In Münster ist anders als hier im Norden sogar auf dem Markt ein Mundschutz vorgeschrieben und überall hingen Marktordnungen rum. Darauf stand, daß man seinen Besuch auf dem Markt kurz halten und Gespräche vermeiden solle. Da musste ich lachen: Warum geht eine denn auf den Markt? Wegen der frischen Lebensmittel, klar, aber doch vor allem, weil man sich da trifft und unterhält. Meine Mutter, die ohnehin keine Angst vor dem Virus hat, ließ sich jedenfalls nicht von Gesprächen abhalten.

Den anschließenden Besuch im Marktcafé sparten wir uns allerdings ein: weder meine Mutter noch ich hatten Lust, uns zu registrieren und dann mit meilenweitem Abstand irgendwo zu sitzen. Wir fanden einen Platz auf einer Bank beim Denkmal des Kardinal von Galen unter den duftenden Linden und ich besorgte uns einen Kaffee to go.

Zum Mittagessen kam meine Tochter dazu und am Nachmittag fuhren wir dann weiter nach Bonn. Dort ging es sehr entspannt zu. Sonntag gingen wir zum Poppelsdorfer Schloss und trafen dort Stefans jüngeren Bruder und seine Familie. Wir saßen auf dem Rasen wie all die anderen Menschen, die sich über das schöne Wetter freuten und dort picknickten, Ball spielten und auf Slacklines balancierten. Gesichtsmasken trug keiner, die Abstandsregeln wurden sehr begrenzt eingehalten und es gab Umarmungen. Wir sind Herdentiere und können auf Dauer nicht unsere Instinkte und unser Bedürfnis nach Kontakt, auch Körperkontakt ignorieren. Das wäre auch nicht gesund. Übrigens fiel mir auf, daß die Mülleimer nicht ausreichten, um die riesigen Mengen an Einmalbechern, – tellern und sonstigen Abfällen aufzunehmen. Immerhin waren die Menschen so diszipliniert, ihren Müll ordentlich neben den Mülleimern zu platzieren. Leider ist der Gebrauch an Einmalmaterial durch die Corona-Maßnahmen enorm angestiegen. Ich bin sicher, daß man das mit gutem Willen auch anders regeln könnte. Le Camping in Flensburg hat’s vorgemacht, indem es Menüs in richtigem Geschirr geliefert hat, das am nächsten Tag wieder abgeholt wurde. Und warum es plötzlich unhygienisch sein soll, wenn ich meinen Kaffeebecher füllen lassen will, leuchtet mir nicht ein, zumal Professor Streeck ja nachgewiesen hat, daß sich das Virus nicht lange auf Oberflächen hält. Aber unsere Politiker*innen hören ja nur auf ihren Hofvirologen Drosten. Abends wurde dann im Garten gegrillt. Am Montag fuhren wir wieder in den Norden und freuten uns über die Ansagen des Zugbegleiters, der nach jedem Halt auf die Hygieneregeln hinwies und dabei Sätze wie diesen sagte: „Wir sind gesetzlich verpflichtet, eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen. Das ist nicht angenehm, auch für uns nicht.“ Zum Essen und Trinken nahmen wir natürlich den Mundschutz ab und so machten alle anderen es auch.

Gefunden in der Bonner Südstadt. Da schlägt mein Herz gleich höher, wenn ich das Anarchistensymbol sehe.

Zu Hause wartete unangenehme Arbeit auf mich. Einen Teil habe ich gestern erledigt: der Glasfaseranschluss musste in Betrieb genommen werden. Solche technischen Arbeiten hasse ich, aber ich wollte ja weiter telefonieren und ins Internet gehen. Es gelang mir, die diversen Kabel an der neuen Fritzbox anzubringen, aber dann kam ich nicht ins Netz und telefonieren konnte ich auch nicht. Also musste ich doch meinen neuen Provider anrufen, mit dem Smartphone. Das funktionierte freundlicherweise trotz des hiesigen Funklochs. Abends klappte dann alles und ich war sehr zufrieden. Jetzt wartet die nächste Aufgabe: die Inbetriebnahme meines neuen Notebooks. Leider hat mein altes, das erst 6 Jahre alt ist, mit dem Beginn des Lockdowns angefangen rumzuzicken: es macht keine Updates mehr und geht gern offline, wenn ich gerade am Surfen bin. Es war dreimal zu Reparatur und keiner konnte es in Ordnung bringen. Die Techniker vermuten einen Hardwareschaden. Jetzt habe ich ein gebrauchtes und überarbeitetes Notebook, das mir ein Freund meiner Tochter empfohlen hat. Auch mein Smartphone ist übrigens gebraucht. Das mache ich nicht nur wegen des Geldes, sondern hauptsächlich weil ich mich nicht an der Ausplünderung der Länder mit den seltenen Erden beteiligen und die Stinkreichen in Silicon Valley nicht noch reicher machen will.

Warten auf den Zug

Heute habe ich etwas Merkwürdiges erlebt: morgens hörte ich im Kamin ein lautes Schaben, als wäre der Schornsteinfeger da. Der hatte aber vor einigen Wochen schon gekehrt. Ich öffnete die Klappe und fand in dem rußigen Loch einen jungen Kormoran. Es gelang mir, ihn zu greifen und er flog aus dem weitgeöffneten Fenster. Es ist mir ein Rätsel, wie dieser relativ große Vogel es geschafft hat, sich in das enge Rohr, das aus dem Schornstein ragt, zu zwängen. Daß sich kleinere Vögel darin verirren, Schwalben, Spatzen und einmal ein Star, habe ich schon öfter erlebt. Manche konnte ich befreien, wenn ich sie hörte. Aber ab und zu holt der Schornsteinfeger auch einen toten Vogel heraus.

Eine weitere Vogelbegegnung ereignete sich, als Lenchen mit einer Mehlschwalbe ankam. Da musste ich eingreifen. Ich nahm ihr den Vogel ab und er flog aus meiner Hand ins Weite. „Es tut mir leid“, sagte ich zu meiner Katze, wohl wissend, daß ich mich massiv in ihre Angelegenheiten eingemischt hatte, „daß du Mäuse isst, kann ich hinnehmen, aber Vögel spielst du nur tot und isst sie noch nicht mal auf.“ Lenchen trug es mit Fassung und rieb sich ausgiebig an meinen Beinen. Ich glaube, sie nahm es mir nicht weiter übel.

Zeit

Himmelfahrt fuhr ich nach Flensburg (ja, für mich heißt das immer noch Himmelfahrt, auch wenn ich keine Christin bin und ich bin froh, daß mir dieses Jahr die Besoffenen vorm Haus dank Corona erspart geblieben sind). Am Freitag gingen wir im Café K. frühstücken. Alles etwas umständlich: das Café musste mit Maske betreten werden, man bekam einen frisch desinfizierten Tisch zugewiesen und musste dann per Handy den Namen an die Telefonnummer des Cafés schicken. Schon klar: sollte ein Covid19-Fall auftreten, können sich gleich alle Besucher in Quarantäne begeben. Das Frühstück war gut, aber solche Besuche werde ich nicht oft machen. Dieses Registrieren ist ganz offensichtlich die Ersatzlösung für eine Handy-App, deren Nutzung angeblich freiwillig sein soll. Das ist so wie mit der Masernimpfung: offiziell ist sie nicht Pflicht, aber Eltern mit ungeimpften Kindern bekommen keinen Kita- und Schulplatz. Also ist es de facto ein Impfzwang.

Die Fußgängerzone war so voll wie vor dem Lockdown. Vor den Geschäften waren teilweise Schlangen. Einige drängelten sich vor, was Ärger gab. Die Freundlichkeit der Lockdownzeit ist wieder den gewohnten Umgangsformen gewichen. Schade! Wir kamen an einer Kneipe vorbei und konnten durch die offene Tür direkt auf den Tresen sehen: da saßen Männer Schulter an Schulter und tranken Bier. Vielleicht dachten sie, daß Alkohol Viren tötet. Ob die sich wohl auch registrieren mussten? Im Bioladen kaufte ich mir zwei neue Gesichtsmasken ohne Draht für die Nase. Die finde ich angenehmer. Allerdings musste ich sie zu Hause noch passend nähen.

Gestern fiel der zweite Schwarm. Das kam nicht überraschend: seit einigen Tagen drängelten die Bienen sich schon vorm Flugloch. Der Schwarm kreiste sehr lange über dem Garten und ließ sich schließlich in einem Ahorn außerhalb des Grundstücks nieder. Er hing so hoch, daß ich ihn nicht kriegen konnte. Ich wünschte den Bienen, daß sie ein schönes neues Zuhause finden. Aber es regte sich ein ganz kleines bisschen schlechtes Gewissen ihnen gegenüber. Ich weiß eigentlich gar nicht warum. Zwar habe ich im Imkerkurs noch gelernt, daß die Honigbienen ohne den Menschen und seine Eingriffe nicht überleben könnten, aber mittlerweile weiß ich, daß das nicht stimmt. Im Gegenteil: die wenigen noch von Menschen unbehelligten Bienenvölker haben nach den Forschungen von Torben Schiffer und Thomas Seeley wesentlich bessere Überlebenschancen als die von Imker*innen betreuten. Ich glaube, das ist auch so ein Merkmal unserer Kultur, daß man sich immer für alles Mögliche verantwortlich fühlt. Heute Nachmittag hing die Schwarmtraube nicht mehr im Ahorn. Sie haben also recht schnell was gefunden. Wie schön wäre es, wenn ich ihnen bei einem meiner Waldspaziergänge irgendwann mal in einem hohlen Baum begegnete.

Seit ich nicht mehr arbeiten muss, habe ich Zeit. Das hatte ich das letzte Mal als Kind, bevor ich zur Schule kam. Seit ich Zeit habe, wird mir bewusst, wie ich mich in den letzten mindestens 50 Jahren in ein sehr enges Zeitkorsett gequetscht habe, um all das zu schaffen, was gemacht werden musste und was ich gern machen wollte. Das ist natürlich ein typisches Merkmal unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems und es wird moralisch untermauert durch Sprüche wie „Wer rastet, der rostet“ und „Müßiggang ist aller Laster Anfang“. Sehr bezeichnend auch der Satz einer ehemaligen Kollegin „Arbeit adelt“ (als ob ausgerechnet Adlige arbeiten müssten). Dadurch, daß ich freie Zeit habe und nicht ständig an den nächsten Termin und die nächste Pflicht denken muss, kann ich großzügig mit meiner Aufmerksamkeit umgehen, für die Pflanzen, die Bienen, die Katze, andere Menschen. Ich nehme sie alle auf neue Weise wahr, irgendwie tiefer. Und es scheint so, als könne ich sie besser verstehen.

Ich glaube, Angstschüren und Zeitknappheit sind wesentliche Mittel, Völker gehorsam zu machen. Das Angstschüren hat ja seit dem Beginn der Coronapandemie prima geklappt und die Medien beteiligen sich eifrig daran. Und die Zeitknappheit ist so alt wie der Kapitalismus und hält diesen aufrecht. In Zeiten des Neoliberalismus ist das auf die Spitze getrieben: etliche Menschen müssen Zweitjobs machen, um ihre Mieten zahlen zu können.

Ein Mensch mit viel freier Zeit kann auch viel besser spüren, was er/sie wirklich braucht und hat vielleicht nicht soviele Ersatzbefriedigungen nötig. Zeit öffnet den Raum für die wahren Bedürfnisse. Und wer nichts tut, kann auch keinen Schaden anrichten. So gesehen ist Müßiggang ein subversiver Akt.

Schenken

Das Coronavirus hat mein ruhiges Leben noch ruhiger und kontemplativer gemacht. Das gefällt mir ganz gut. Ich bin noch nie die Shoppingqueen gewesen, aber jetzt macht das Einkaufen gar keinen Spaß mehr. Ich kaufe das Nötigste: Lebensmittel auf dem Markt, wo man wenigstens ohne Gesichtsmaske rumlaufen kann, und im Bioladen. Alle anderen Läden meide ich. Ich koche mir leckere Sachen und backe häufiger Kuchen als sonst. Ich fahre nur noch einmal pro Woche nach Kiel, spare also Sprit. Allerdings fängt diese Woche endlich der Französischunterricht im Institut francais nach wochenlanger Pause wieder an, was ich begrüße. Ich habe zwar zu Hause weiter geübt, aber in der Gruppe bringt es mehr und macht einfach mehr Spaß.

Gestern Mittag haben die Bienen für Abwechslung gesorgt und sind geschwärmt. Damit hatte ich erst in den nächsten Tagen gerechnet; die Eisheiligen sind ihrem Ruf treu gewesen und es schien mir zu kalt und zu windig. Die Bienen fanden das offensichtlich nicht. Ich beobachtete vom Küchenfenster aus, wie sie durch den Garten zogen, immer wieder vom starken Wind verweht wurden und erst nach langer Zeit entschieden , sich in einer ordentlichen Schwarmtraube in der Hauszwetsche aufzuhängen. Ich konnte sie leicht einfangen und in den bereit stehenden Top Bar Hive einziehen lassen. Eigentlich wollte ich ja nur noch ein Volk halten, wegen des Abstands (Bienen brauchen social distancing, um nicht krank zu werden und sich nicht gegenseitig das Futter streitig zu machen). Aber irgendwie fand ich es dann doch schön, wieder zwei Völker zu haben. Hoffentlich geht es gut.

M. hat mich vor einigen Wochen gefragt, ob ich mit ihr zusammen in Zukunft die Jahreskreisfeste organisiere. Im Gespräch stellte sich dann heraus, daß sie das auf Spendenbasis machen will. Ich habe mir Bedenkzeit ausgebeten und ihr gestern meine Entscheidung mitgeteilt: ich feiere die Jahreskreisfeste seit etwa 35 Jahren, allein, mit Freundinnen und einige Male auch mit meinem Exmann. Nie habe ich dafür Geld genommen. Ich habe diese Feste als Geschenk gesehen, für mich, für die Gästinnen und die Erde. Die Idee, dafür Geld zu nehmen, ist mir sehr unsympathisch. Ich will die Rituale aus der kapitalistischen Tauschlogik heraushalten.

Es ist doch so, daß wir im Grunde alles geschenkt bekommen: die Luft zum Atmen, die Schönheit der Natur, das Leben, die Liebe, und ursprünglich auch die Nahrung. Ich spiele mit dem Gedanken, mein Kräuterwissen als Geschenk weiterzugeben. Eigentlich ist das Wissen um Heilpflanzen Allmende (in der Oya benutzen sie dafür gern das englische Wort Commons, aber ich mag das alte Wort Allmende lieber). Tiere wissen, welches Kraut sie essen müssen, wenn sie krank sind. Menschen wussten es auch mal. Früher gab es wohl in jedem Dorf eine kräuterkundige Person, an die man sich wendete, wenn man Hilfe brauchte. Das überlieferte Pflanzenwissen wurde, angereichert mit eigenen Erfahrungen, weitergegeben. Auch das Hebammenwissen gehört in diesen Bereich. Da möchte ich auch wieder hin und ich halte es auch für dringend notwendig, wieder unsere eigenen Expert*innen für unsere Körper zu werden. Als ich mit M. darüber sprach, wendete sie ein, daß ich ja Geld für meine Ausbildung ausgegeben hätte. Das Pflanzenwissen habe ich mir allerdings größtenteils autodidaktisch beigebracht, ebenso das Feiern von Jahreskreisfesten und anderen Ritualen. Ich habe mittlerweile so oft erfahren, daß es immer irgendetwas zurück gibt: Freude, Begeisterung, Dankbarkeit, Inspiration.

Gestern schickte mir meine Tochter einen Link zu einer Sendung auf 3sat mit Scobel: Vulva – Lust und Tabu. Eine Gynäkologin, eine Sexualberaterin und die Autorin Mithu Sanyal, bekannt durch ihr wundervolles Buch Vulva unterhielten sich über weibliche Sexualität und die vielen Mythen dazu. Natürlich wurde zu meiner Freude auch Siegmund Freud mal wieder gründlich zerlegt. Er hatte wirklich null Ahnung von Frauen, hat aber seine Ahnungslosigkeit als Wahrheit verkauft und damit Generationen von Psychiatern infiziert. Als junge und ehrgeizige Psychiatrieschwester habe ich endlose Diskussionen über Freuds eklatante Fehleinschätzungen über weibliche Sexualtität mit ebenfalls jungen und ehrgeizigen Psychiatern geführt. Nicht daß ich sie überzeugen konnte. Sie hatten das an der Uni gelernt und von einer Frau wollten sie nichts Neues lernen. Die Gynäkologin sagte auf die Frage, wieso es so vielen Medizinern gänzlich unbekannt sei, daß die Klitoris nicht nur das kleine sichtbare Knöpfchen zwischen den Vulvalippen ist, sondern ein viel größeres Organ mit zwei Schenkeln, die die Vagina umfassen und auf das Doppelte ihrer Größe anschwellen können, daß diese anatomische Tatsache offensichtlich nicht interessiere. Immerhin weiß ich es seit etwa zehn Jahren. Was ich nicht wusste: die wahre Gestalt der Klitoris war schon vor einigen hundert Jahren bekannt und ist dann wieder in der Bewusstlosigkeit versunken.

Und da fällt mir Ilan Stephani ein, die uns dazu aufrief, alles und jedes zu hinterfragen, vor allem die Gewissheiten. Man verlässt mit diesem Hinterfragen scheinbar sicheres Terrain, aber es scheint mir notwendiger denn je. Das gilt auch für den Umgang mit dem Virus: es fällt schon auf, daß es in der BRD offensichtlich nur einen Virologen gibt, auf den die Regierung hört, Professor Drosten. Aber die anderen, die andere Forschungsergebnisse präsentieren, werden entweder ignoriert oder lächerlich gemacht (Karin Mölling, Hendrik Streeck, Wolfgang Wodarg). Ich glaube übrigens weder an Verschwörungtheorien, noch daß Bill Gates hinter der Coronasache steht (obwohl ich natürlich weit davon entfernt bin, seine enge Verbindung zu Pharmakonzernen gutzuheißen). Ich nehme auch nicht an Demos teil, die ihren Unmut über den Entzug der meisten bürgerlichen Freiheiten anprangern, auch wenn ich die Empörung verstehen kann. Ich halte das Virus weder für eine Strafe Gottes noch für ein Geschenk des Himmels. Was das Virus uns bringen wird, werden wir sehen. Ich bin ganz zufrieden mit meinem Nicht-Wissen und fühle mich gerade sehr ruhig, sehr entspannt und beobachte mit großem Interesse, was auf unserer Planetin geschieht. Es bleibt spannend.

Zum Schluss noch ein schönes Zitat von der Science fiction-Autorin und Philosophin Ursula LeGuin: „Wir müssen unser In-der-Welt-Sein von Grund auf neu lernen.“ Recht hat sie!

Maske

Die Pflicht, beim Einkaufen und in öffentlichen Verkehrsmittteln Gesichtsmasken zu tragen, hat neben all den berechtigten Zweifeln an ihrer Sinnhaftigkeit eine lustige Seite: jetzt plötzlich gilt das Vermummungsverbot nicht mehr. Bei Demos standen Teilnehmer*innen unter Terrorverdacht, wenn sie ihr Gesicht mit Tüchern, Mützen oder anderen Mitteln bedeckten. Jetzt aber müssen wir uns alle vermummen. Na ja, ich habe schon in der Klinik äußerst widerwillig mit Maske gearbeitet. Das war nur selten vorgeschrieben, etwa wenn wir das Norovirus oder Influenza auf der Station hatten. Man atmet sein eigenes CO2 wieder ein, was sicher nicht gesund ist. Außerdem ist es heiß unter der Maske und mich persönlich stört es sehr, daß ich die Mimik meiner Gesprächspartner nur noch ahnen kann. Sogar unter Ärzt*innen wird diese Maßnahme stark angezweifelt. Ich habe hier den Eindruck, daß sie, wie alle anderen Restriktionen seit Beginn der Coronawelle in Deutschland, einem mehr oder minder blindwütigen Aktionismus geschuldet sind. So zeigt man dem Volk: wir tun was für eure Sicherheit. Meine Gesichtsmaske hat übrigens eine Teilnehmerin meiner Kräuterkurse für mich genäht. Danke, liebe K.!

Ich möchte gern selbst entscheiden, was ich für meine eigene Sicherheit tue. Nun neigen Staaten bekanntermaßen dazu, ihre Völker zu bevormunden. Regierungen sehen sich durch die Wahl als autorisiert, ihre Bürger wie unmündige Kinder zu behandeln. Vor Corona erfuhr ich, daß der Staat Stellen einrichten wollte, an die Bürger sich wenden sollten, die erhebliche Widerstände gegen die Einrichtung von 5G haben. Man wolle den Bürger*innen zuhören und ihre Sorgen ernstnehmen. Der Schlusssatz war dann, daß man sie davon überzeugen wolle, daß 5G absolut unschädlich sei. Also stand das Ergebnis schon fest. Warum soll ich mich als Bürgerin dann an so eine Stelle wenden?

Gebetsmühlenartig wird immer wieder gesagt, der Shutdown diene dazu die Alten und Kranken zu schützen (vom drohenden Zusammenbruch des Gesundheitswesens redet keiner mehr, ist mir aufgefallen). Soweit ich weiß, hat man aber gar nicht daran gedacht, die Alten und Kranken mal zu befragen, was sie denn wollen. Ich weiß mittlerweile von einigen alten Menschen, die sich wenig Sorgen um eine mögliche Coronainfektion machen („Lieber an Corona sterben als jahrelang ein Pflegefall sein.“) Aber sie wollen nicht ihre letzten Lebensmonate einsam und isoliert verbringen. Lasst die alten Leute doch selbst entscheiden und gebt den Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben, die Verantwortung für ihr eigenes Leben zurück. Wer Angst hat, kann ja eine Maske tragen und sich an die soziale Distanzierung halten. In diesem Zusammenhang kann ich auch über den Shitstorm, der gerade über den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer niedergeht, nur den Kopf schütteln. Er hat im Fernsehen folgende Bemerkung gemacht: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären – aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen.“ Seitdem regen sich alle möglichen Menschen öffentlich auf, nennen ihn zynisch und menschenverachtend. Ich kann an dieser Bemerkung nichts Zynisches erkennen. Es ist doch lediglich eine nüchterne und zutreffende Feststellung.

Ansonsten kann ich dem Lockdown mittlerweile durchaus etwas abgewinnen. Ich habe soviel freie Zeit wie nie und genieße das ungemein. Ich bin vom Naturell her eher ein langsamer Mensch. Aus alten Postkarten von meiner Oma an meine Mutter erfuhr ich, daß ich als kleines Kind Schnecke genannt wurde. In der Schule hatte ich deswegen Probleme in Sport und Mathe: die Bundesjugendspiele waren für mich ein Graus, weil ich beim Sprint immer als Letzte im Ziel ankam. Und wenn wir in Mathe Wettrechnen machten, bei dem diejenigen sich setzen konnten, die die Aufgabe als erste gelöst hatten, blieb ich immer bis zum Schluss stehen. Als ich anfing zu arbeiten, lernte ich schnell zu sein. Gefallen hat mir das nicht. Ich hatte immer das Gefühl, das geht nur, wenn ich pfusche. Ich bin eine gründliche und genaue Arbeiterin und das kann ich nur sein, wenn ich keinen Zeitdruck habe. Ich habe auch festgestellt, daß ich viel mehr wahrnehme, wenn ich Zeit habe.

Am 1. Mai besuchte ich eine Freundin und machte eine schönen Spaziergang durch den Wald an der Steilküste. Wir hatten Glück und waren zwischen zwei Regenschauern unterwegs. Der Wald ist so schön. Waldmeister blühte in dichten Teppichen unter den hohen Buchen. Sturm und Meer hatten wieder an der Küste genagt und es lagen entwurzelte Bäume auf dem Strand. Es waren viele Menschen unterwegs und alle grüßten freundlich, wir auch. Irgendwie hat sich atmosphärisch was geändert im Kontakt und das gefällt mir sehr gut.

Am Samstag holte ich den bestellten 25 kg-Sack mit Biozucker für die Bienen bei einem Imkerkollegen in der Nähe von Rendsburg ab. Da traf ich einige andere aus meinem Imkerverein. J. führte uns durch seinen riesigen Garten. Er liebt Bäume und hat im Laufe der Jahrzehnte eine schöne Sammlung an exotischen Bäumen gepflanzt, darunter eine schon recht große Sequoia. Am liebsten mag er aber Apfelbäume. Er wollte mir auch gleich ein kleines frisch veredeltes Bäumchen mitgeben, aber in meinem Garten gibt es dafür keinen Platz. Stattdessen bekam ich drei Teufelsabbisspflanzen, die auf der Roten Liste stehen. Ich hoffe, sie fühlen sich bei mir wohl. Ich finde es schön und ermutigend, daß es Menschen wie J. gibt, der einen so schönen Garten angelegt und seine ganze Seele hinein gelegt hat. Ich hatte ein paar nette Gespräche und zum Abschluss gab es noch Kaffee und Kuchen im Schuppen. Aber die Umarmungen fehlen mir doch sehr.

Abstand

Gestern fand der erste Kräuterkurs dieses Jahres statt. Es gab nur eine Teilnehmerin, die noch nie dagewesen war. Ich hatte ihr vorgeschlagen, daß sie selbst entscheiden solle, ob sie unter dieser Voraussetzung kommen wolle. Ich wusste nicht, worauf ich mich da einlasse. Mit einer einzelnen Person kann es anstrengend werden, wenn die Chemie nicht stimmt. Aber dann hätte ich die Aktion schnell beendet. Geld wollte ich in diesem Fall sowieso nicht; gegen eine Spende hatte ich natürlich nichts einzuwenden.

Die Frau kam, wir klärten sofort, wie wir es mit dem Abstand halten wollten und gingen los. Es war angenehm und einfach mit ihr. Sie ließ sich schnell auf die Pflanzen ein und zeigte ein erstaunliches Gespür für sie. Das machte wirklich Spaß.

Der optimistisch stimmende Löwenzahn

Ab morgen müssen wir beim Einkaufen und in öffentlichen Verkehrsmitteln Mund-Nasenschutz tragen. Sinn dieser Maßnahme ist sehr umstritten. Ich möchte auf keinen Fall den Wegwerfmundschutz tragen, den ich aus der Klinik kenne. Überhaupt ist die Branche, die Einmalmaterial herstellt, wohl eine der wenigen, die von Corona profitiert: Ob man Kaffee to go kauft oder etwas zu essen, die mitgebrachten Kaffeebecher und Dosen für den Käse auf dem Markt werden nicht mehr angenommen. Und in den Kliniken, wo schon in nicht pandemischen Zeiten ungeheure Mengen an Plastikeinmalmaterial täglich verbraucht werden, kommt wahrscheinlich die Müllabfuhr gar nicht mehr hinterher. Daß es anders geht, zeigt das Flensburger Restaurant Le Camping: Sie liefern Menüs in Porzellan- und Glasbehältern in einer Kiste, die am nächsten Tag wieder abgeholt wird. Aufwendig aber konsequent, sowas gefällt mir sehr gut. Ich habe vorm Spiegel schon mal mit Schal und Tüchern vor Mund und Nase posiert. Alles nicht wirklich befriedigend. Jetzt bekomme ich ein paar Mund-Nasen-Masken genäht. Die brauche ich nicht wegwerfen und kann sie in die Waschmaschine tun. Ich hätte am liebsten eine in den Anarchistenfarben schwarz-rot dem großen A im Kreis.

Als ich Donnerstag in der Schlange vorm Gemüsestand wartete, vertrieb ich mir die Zeit mit einem neuen Spiel: ich versuchte, die Menschen, die direkt hinter und vor mir standen, energetisch zu spüren. Dabei fiel mir auf, daß wir Menschen das mit dem Abstand normalerweise ganz instinktiv regeln. Manchen Menschen mögen wir näher kommen, andere halten wir lieber etwas auf Distanz. Das läuft ohne Beteiligung des Bewusstseins ab. Jetzt ist diese Fähigkeit zur Selbstregulation per Gesetz außer Kraft gesetzt. Was macht das mit Menschen, daß sie ihre Instinkte unterdrücken müssen, um kein Bußgeld zu bekommen? Und was macht es, wenn wir bei anderen Menschen die Mimik nicht mehr erkennen können? Was wollen wir noch alles brav und folgsam im Namen der Sicherheit opfern? Immerhin habe ich mich in den letzten Tagen mit einigen Menschen über diese Fragen sehr gut unterhalten. Dabei stellte sich heraus, daß die Bereitschaft, diese Restriktionen gehorsam zu befolgen, sehr brüchig ist. Und ich gehe davon aus, daß das mit jeder weiteren Woche Kontaktsperre noch deutlicher werden wird.

Aber eigentlich ist die Sache mit dem Abstand nur die Steigerung einer Entwicklung, die ich schon länger beobachte: während früher Diagnostik in Arztpraxen mit den Händen und allen Sinnen betrieben wurde, wird das seit geraumer Zeit den diversen Maschinen überlassen. Viele Ärzte geben seit einigen Jahren ihren Patient*innen auch nicht mehr die Hand, aus Infektionsschutzgründen. Das ist für mich übrigens ein Ausschlusskriterium: ein Händedruck sagt soviel aus. Wenn ein Arzt den nicht will, gehe ich da nicht mehr hin.

Gundermann lebt gern in der Nähe von Menschen und steht in Verbindung mit den kleinen Völkern

Morgen werde ich mich wieder für unbestimmte Zeit von meinem Laptop trennen. Er funktioniert immer noch nicht gut, kann keine Updates verarbeiten und ist extrem langsam geworden. Ich hatte gehofft, daß ein paar Tipps per Telefon mir helfen könnten, alles wieder hinzubekommen, aber der Mann vom Computerladen sagte, das sei ein größeres Ding. Wer mich also in den nächsten Tagen erreichen will, muss das Festnetz benutzen. Ich habe hier keinen Handyempfang und dementsprechend auch kein Internet auf meinem Smartphone. Ohnehin bin ich ein Smartphonemuffel und habe es so eingestellt, daß ich nicht so leicht getrackt werden kann. Das heißt auch, daß die zukünftige Corona-App nicht installiert werden wird.

Geht es wirklich ums Leben?

Vor einigen Tagen hat unser sehr forscher Gesundheitsminister von sich gegeben, das Gesundheitswesen in Deutschland sei zu keiner Zeit überlastet gewesen. Da ich nicht mehr in der Klinik arbeite, kann ich die dortige Lage nicht überprüfen. Ich weiß aber von einer Krankenschwester aus Flensburg, die von leerstehenden Betten spricht. Soweit so gut. Jedenfalls hat Herr Spahn keine Ahnung von den Zuständen im deutschen Gesundheitswesen. Das ist nämlich schon seit Jahren mehr als überlastet. In meinem ehemaligen Bereich, der Psychiatrie, waren wir im Vergleich noch relativ gut aufgestellt. Aber auch wir haben, in den letzten Jahren zunehmend, Situationen erlebt, die weder gesetzeskonform waren noch menschenwürdig. Gesetzeskonform war es z. B. nicht, wenn wir wegen zu wenig Personal auf der geschlossenen Akutstation nicht mehr in der Lage waren, die Monitore zu beaufsichtigen, was für in der Fixierung liegende Patienten vorgeschrieben sind. Manchmal haben wir die diensthabenden Ärtzt*innen angefleht, niemanden mehr aufzunehmen, weil wir noch nicht mal mehr eine Grundversorgung gewährleisten konnten. Aber natürlich mussten die aufnehmen, weil der Amtsarzt eine Zwangseinweisung veranlasst hatte und es ihm scheißegal war, ob wir damit klarkamen oder nicht. Dann boxte der Papst auf der Station, die fixierten Patienten schrieen den ganzen Tag in ihren Gurten und wir kamen einfach nicht hinterher. Auch habe ich oft allein gearbeitet und keine Pause nehmen können (die übrigens auch gesetzlich vorgeschrieben ist). Aber richtig beschissen ging und geht es schon seit Jahren den Pflegekräften, die auf den Intensivstationen arbeiten.

Ich habe übrigens heute mit meinem Sohn telefoniert und ihm eindringlich gesagt, daß ich auf gar keinen Fall beatmet werden möchte. Ich habe eine Patientenverfügung, weiß aber aus Erfahrung, daß die nicht unbedingt beachtet wird. Es ist immer gut, wenn Angehörige und Freund*innen genau Bescheid wissen. Wenn eine*r einmal im Krankenhaus und nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen zu äußern, läuft die „Lebensrettungsmaschinerie“ ohne Gnade. Ich habe es oft genug erlebt. Es darf auf keinen Fall mehr gestorben werden.

Und da kommen wir zu einem Merkmal unserer „Leitkultur“: Tod ist der Feind, Sterben darf nicht stattfinden. Auch weit über 80jährige werden noch reanimiert oder den Strapazen einer künstlichen Beatmung ausgesetzt, die in vielen Fällen dann doch tödlich ausgeht. Das ist ein sehr tiefgehendes Thema und ich glaube, wir alle müssten uns fragen: wie wollen wir leben? Wie wollen wir sterben? Wollen wir auf längere Zeit social distancing praktizieren, weil wir dann vielleicht nicht an Covid-19 erkranken. Ich kann für mich sagen: auf keinen Fall. Als Säugetier bin ich auf Kontakt, auch Körperkontakt angewiesen. Was macht es mit Menschen, denen man das verbietet? Und die armen alten Leute, die in den Pflegeheimen seit Wochen keinen Besuch mehr haben dürfen. Die Angehörigen, die ihre Verstorbenen nur noch mit Distanz und ohne richtige Trauerfeier begraben müssen. Ich stelle fest, daß wir gerade mitten in einer Gesundheitsdiktatur leben. Wie lange machen wir das mit?

Die Herrschenden beschwören uns, das Volk, daß es schließlich bei all diesen Maßnahmen um unser Leben gehe. Aber bei den Tausenden, die seit einigen Jahren im Mittelmeer absaufen, spielt das keine Rolle. Ich möchte gern erleben, daß angesichts der ungeheuerlichen Menge an Hungertoten in Afrika mal an deren Leben gedacht wird, zumal der Hunger dort seit der Kolonialzeit durch den globalen Norden und sein lebensverachtendes Wirtschaftssystem verursacht und aufrechterhalten wird. Was ist mit den ganzen sogenannten Zivilisationserkrankungen, der Zunahme an psychischen Störungen, an Suiziden, an Krebserkrankungen? Die Toten, die jetzt schon weltweit auf das Konto des menschengemachten Klimawandels gehen? Die vielen Verkehrstoten? Wo werden da Maßnahmen für das Leben ergriffen?

Aus dem Radio erfuhr ich, daß die deutsche Autoindustrie von der Regierung Abwrackprämien wie 2009 nach der Bankenkrise verlangt. Da könnte ich vor lauter Zorn in die Tischplatte beißen! Also wollen sie noch mehr hässliche spritfressende SUVs auf den Markt werfen. Klimaschutz?

Corona ist das allerkleinste unserer Probleme! Viren kommen und gehen, sie sind unsere evolutionären Weggefährten, ja und ab und zu kann man mal daran sterben. Und sterben werden wir alle sowieso irgendwann und das ist auch richtig so, weil ohne Tod gibt es kein Leben und ohne Leben keinen Tod. Der Tod ist einfach Teil des Lebens. Und wie Charles Eisenstein so wunderschön sagt: „Anyone who has experienced the passing of someone close knows that death is a portal to love.“ (Jeder, der das Sterben eines nahestehenden Menschen erlebt hat, weiß, daß der Tod eine Pforte zur Liebe ist). Ja, das kann ich bestätigen, weil ich es erlebt habe.

Etwas, was mich erfreut hat: letzte Woche in einem Supermarkt fragte der Mann an der Kasse mich, ob er mir mein Wechselgeld in die bereitstehende Schale oder in meine Hand geben solle. Ich hielt ihm meine Hand hin und sagte: „Ich fürchte mich nicht.“ Er gab mir das Geld und antwortete: „Willkommen im Team!“ Und dann fügte er noch hinzu: „Nicht, daß ich glaube, da ist nichts. Aber mir gefällt nicht, wie damit umgegangen wird. Aber das darf man ja nicht laut sagen.“

Ich habe mich über sein Verhalten gefreut. Und es stimmt: sobald man öffentlich seine eigene Meinung zum Coronavirus und dem Umgang damit äußert, riskiert man Beschimpfungen und Empörung. Wie macht man ein Volk gefügig? Indem man ihm Angst macht.

Ich weiß nicht, was los ist – keiner weiß es


Vor einer Woche hatte ich täglich Gedanken, die ich gern in diesem Blog mitgeteilt hätte. Das ging aber nicht: mein Laptop hatte nach einem automatischen Update Schwierigkeiten gemacht und meine Versuche, diese zu beheben, hatten letztlich dazu geführt, daß ich das Gerät in die Hände eines Profis geben musste. Der brauchte dann eine Woche, um den alten Zustand wiederherzustellen. Das Interessante an dieser Woche war, daß mir nach einigen Tagen der Rechner gar nicht mehr fehlte und als er wieder bei mir war, war mein Bedürfnis, mich im Netz rumzutreiben, vergangen.

Ich bekomme oft Links zugeschickt, jetzt noch mehr als sonst und alle haben was zu Corona zu sagen. Einige habe ich mir angesehen, z. B. den als Spinner deklassierten Wolfgang Wodarg, den ich ziemlich klug finde. Es gibt wahrscheinlich soviele Meinungen zum Coronavirus, wie es Virologen und andere Wissenschaftler gibt. Allmählich bin ich aber der Links müde. Es ist ja ohnehin immer ein Schlagabtausch an Argumenten, das kenne ich aus den ermüdenden Diskussionen der Marxisten, die nie zu einem Ende führen, weil es auf jedes Argument ein Gegenargument gibt.

Aber diesen hier möchte ich selbst empfehlen: https://charleseisenstein.org/essays/the-coronation/?_page=6

Den Text findet ihr da auch auf Deutsch. Charles Eisenstein gelingt es mal wieder, die ganze sogenannte Coronakrise auf eine andere und viel umfassendere Art zu sehen als alle Zeitungen und Nachrichtensendungen, mit denen wir tagtäglich zugepfeffert werden. Das ist schön und ermutigend.

Was fange ich mit meinem Leben in Zeiten des Coronalockdowns an? Eigentlich habe ich alle meine Routinen beibehalten. Meine tägliche Yogapraxis habe ich erweitert, das kann nicht schaden. Ich bin viel im Garten. Ich lese, stricke, schaue viel in die Landschaft, mache Spaziergänge, fahre mit dem Fahrrad, telefoniere mit Mutter, Kindern, Freundinnen, erlaube mir faul zu sein.

Und ich nehme wahr, daß wir einen schönen Frühling haben. Das Frühlingsgrün hat diese besondere Leuchtkraft, für die mir immer das Wort „ekstatisch“ einfällt. Vor zwei Tagen sah ich einen bunten Stieglitz im Quittenbäumchen sitzen und wunderschön singen. Die erste Rauchschwalbe zog ihre Kreise mit lautem Zwitschern über dem Garten, die Bienen fliegen und warmer Honig-Propolis-Duft strömt aus dem Flugloch. Es ist einfach nur schön.

Ostern war ich in Flensburg, wir hatten eine gute Zeit trotz Lockdown und Abstandhalten. Man hat ja diese ganzen restriktiven Maßnahmen eingeführt, um das Gesundheitswesen nicht in den Kollaps zu reißen. Was dabei gar nicht erwähnt wird: das Gesundheitswesen lag lange vor Corona schon am Boden. Zuviel Arbeit und zuwenig Pflegepersonal. Das war bekannt und von der Politik billigend in Kauf genommen worden, als man um die Jahrtausendwende anfing, die Krankenhäuser zu privatisieren. Alle wussten, daß es dann schlechter werden würde und es ist schlechter geworden.

Und eins weiß ich sicher: sollte ich eine Coronainfektion mit Atemproblemen bekommen, will ich auf gar keinen Fall beatmet werden. Ein Laie kann nicht wissen, was für eine Strapaze das für einen Organismus ist. Beatmung heißt, in ein künstliches Koma mit all seinen Unwägbarkeiten versetzt werden, weil ein wacher Körper sich gegen die notwendige Intubierung wehren wird. Das weiß jeder, der mal was in den falschen Hals gekriegt hat. Ja, und wenn ich sterben sollte, dann ist das so. Mein Leben geht irgendwann zu Ende so wie unser aller Leben. Das ist evolutionär offensichtlich sinnvoll. Übrigens ist mir aufgefallen, daß etliche wirklich alten Leute gar keine Angst vor einer Coronainfektion haben. Auch meine Mutter, mittlerweile 93 Jahre alt, gehört dazu.

Surreal

Irgendwie fühlt sich das Leben gerade surreal an, das soziale Leben ist weitgehend zum Stillstand gekommen. Mein wöchentlicher Markttag ist in Zeiten von Corona nicht so der Genuss: ich habe mich noch nicht an die auseinandergezogenen Warteschlangen vor den Ständen gewöhnt, die Plexiglasscheiben in Gesichtshöhe an den Supermarktkassen. Letzten Donnerstag stand ich in der Schlange vor dem Zeitungsladen. Es darf ja jetzt nur jeweils eine Person in den Laden kommen. Ein Mann in meinem Alter sprintete an der brav wartenden Schlange vorbei und und in den Laden rein. Dabei rief er: „Ich habe das Geld passend.“ Da waren dann doch zwei Personen im Laden. Er kam mit Zeitung wieder raus. Die Frau hinter mir sagte säuerlich: „Er hätte doch davon ausgehen müssen, daß wir das Geld auch passend haben.“ „Einige Leute haben sich noch nicht an die neuen Gegebenheiten gewöhnt“, antwortete ich, aber das war nicht das, was sie hören wollte. Sie giftete weiter. Ich wollte mich nicht mit ihr gemeinsam aufregen. Natürlich war das frech von ihm, aber diesen großen Gehorsam finde ich auch besorgniserregend. Nach dem Markt kaufte ich mir einen Kaffee im Pappbecher (Nachhaltigkeit und Ressourcenschonen ist in Zeiten von Corona außer Kraft gesetzt), ein Croissant und eine Süddeutsche und frühstückte im Auto.

Ich bin ansonsten meistens zu Hause. Hier mache ich das, was ich jeden Tag mache, also die Alltagsroutinen. Ansonsten bin ich für meine Verhältnisse richtig faul, dümpele herum, schaue aus dem Fenstern, hänge meinen Gedanken nach, lese, stricke, streichele die Katze. Gestern habe ich Torta della nonna gebacken, mein dritter Versuch. Und dieses Mal gelang es mir endlich, den Teigdeckel heil auf die Vanillecremefüllung zu befördern. So hilft die Kontaktsperre mir, meine Konditorinnenkünste zu perfektionieren

Gestern sah ich auf pioneersofchange-summit.org ein ausführliches Interview mit David Holmgren, einem der beiden Begründer der Permakultur. Er ist ein sympathischer Mann, der viel lacht und dessen australisches Englisch ich sehr gut verstehen konnte. Er sagte zu den Problemen in der Welt, es gehe weniger darum, was wir angesichts z. B. des Klimawandels machen können, sondern was wir nicht machen. Sehr gut gefallen hat mir auch das Interview mit Susanne Fischer-Rizzi, deren Heilpflanzenbücher ich ziemlich gut finde. Sie hat so mitreißend gesprochen, mit einer solchen Liebe zur Erde. Sie möchte gern alle Menschen mit dieser Liebe anstecken und ich fühle eine große Verwandtschaft mit ihr.