Prinzipalmarkt – hier kaufen die Leute mit dem dicken Portemonnaie ein
Eine Woche Münster, da meine Mutter aus der Reha kam. Es gab viel zu organisieren, bereits im Vorfeld gab es viele Telefonate mit den diversen Sozialdiensten der Klinik und der Rehaklinik, mit der Krankenversicherung und der Beihilfe, mit Nachbarn und Freundinnen meiner Mutter. Nun galt es zu schauen, wie sie nach acht Wochen Abwesenheit mit ihrem operierten Oberschenkelhalsbruch in ihrer Wohnung klar kam. Ich habe eingekauft, Hausarbeit gemacht und Berge von Rechnungen bearbeitet. Letzteres war das Schlimmste: es war soviel, daß ich mit allem Drum und Dran ungefähr einen Tag dafür gebraucht habe. Ich bin mal wieder sehr froh, daß ich nicht privatversichert bin. Die Vorteile einer privaten Krankenversicherung sind deutlich besseres Essen, Anspruch auf ein Einzelzimmer und Anspruch auf Chefarztbehandlung, obwohl letzteres nicht zwangsläufig bedeutet, daß die Behandlung besser ist (weil Chefärzte nicht unbedingt kompetenter oder gewissenhafter sind als normale Ärzte). Aber die Nachteile wiegen schwerer, finde ich: Rechnungen müssen zunächst selbst bezahlt und dann zur Erstattung eingereicht werden. Als Privatpatient wird man ausgenommen wie eine Weihnachtsgans, weil sie den Kliniken und niedergelassenen Ärzten halt Geld bringen. Das heißt: viel mehr Einsatz von teuren Maschinen bei der Diagnostik, viel mehr Behandlung, die nicht unbedingt notwendig ist, längere Krankenhausaufenthalte.
Ich musste mit der Debeka telefonieren, weil meine Mutter glaubte, daß das Geld auf ihrem Girokonto nicht ausreichte, um die Krankenhausrechnung zu bezahlen. Das war ein Erlebnis der besonders nervigen Art. Zunächst war ich in der Warteschleife und wurde dabei von Musik beschallt, die mich ärgerlich machte (wie jede Art von Musik, die ich nicht freiwillig höre). Nach dreizehn Minuten fand ich, daß es reichte und versuchte es unter einer anderen Nummer. Da ging sofort jemand dran und musste mich dann natürlich weiterverbinden. Der Mann, dem ich von dem Problem mit dem nicht gedeckten Konto erzählte, riet mir, die Rechnung zu fotografieren und eine App auf meinem Smartphone zu installieren, mit der ich dann alles weitere regeln könnte. Auf meine Frage nach Alternativen nannte er Scannen der Rechnung und per Mail schicken oder faxen. Nun existiert im Umkreis meiner Mutter weder ein Scanner noch ein Faxgerät. Ich versuchte es widerwillig mit meinem Smartphone, aber als klar war, daß ich mich dafür bei Google anmelden musste, war die App für mich gestorben. Ich bin immer wieder erstaunt, wie einige Menschen in meinem persönlichen Umfeld, auch und gerade solche, die ansonsten extrem großen Wert auf den Schutz ihrer persönlichen Sphäre legen, durch die Installation von diversen Apps sich quasi durchsichtig machen und Mark Zuckerberg, Google, Amazon und anderen erlauben, unablässig mit ihren Daten Knete zu machen.
Ich rief meinen Bruder an, der aber auch nicht über ein Fax verfügt und offensichtlich auch keine große Lust auf irgendwelche Debeka-Apps auf seinem Smartphone hatte (er kennt sich aus, er arbeitet in der Sparte).
Dann ging ich zur Sparkasse. Das war nicht nur gut, um meinen Ärger über die Debeka durch Bewegung loszuwerden. Es stellte sich nämlich heraus, daß das Girokonto meiner Mutter gedeckt war.
Auch bei der Beschaffung eines wohnungsgeeigneten Rollators wurde deutlich, daß man heute ohne Internet aufgeschmissen ist. Meine Mutter wollte ein Modell, das sie bei ihrem Nachbarn gesehen hatte. Sie bestand darauf, daß wir in ein bestimmtes Sanitätshaus in der Stadt fuhren. Dort hatte man aber nur einen normalen Straßenrollator, Wohnungsrollatoren waren gänzlich unbekannt und die Möglichkeit, einen zu bestellen lag auch außerhalb jeder Vorstellung. Ich suchte den Rollator, den sie haben wollte, aus dem Internet und bestellte ihn dann telefonisch bei einem anderen Sanitätshaus in Münster, dazu einen Duschhocker und Unterarmgehstützen.
In diesen Käfigen an der Lambertikirche wurden die Wiedertäufer Jan van Leiden, Bernd Knipperdollinck und Bernd Krechtink 1536 zur Abschreckung aufgehängt, nachdem sie zu Tode gefoltert worden waren.
Am dritten Tag fing meine Mutter wieder an zu kochen: Mittwoch Grünkohl mit Mettendchen und Donnerstag Reibeplätzchen mit Apfelmus. Beides sind Lieblingsgerichte seit meiner Kindheit. Ich kaufte jeden Tag ein, weil meiner Mutter immer nur häppchenweise einfiel, was noch alles fehlte und worauf sie Lust hatte. Mal schaun, wie sich das jetzt einspielt, wenn sie einmal in der Woche von einer Mitarbeiterin der Diakonie zum Einkaufen begleitet wird. Für mich waren diese täglichen Ausflüge gut: Mittwoch war ich auf meinem alten Lieblingsmarkt auf dem Domplatz. Es war regnerisch und nicht so voll wie samstags. Ich fand einen Stand mit marmorierten Bienenwachskerzen, die ich schon lange gesucht hatte. Mit dem Mann, der diese Kerzen selbst macht, hatte ich ein richtig gutes Gespräch.
In einer Apotheke sprach mich eine Frau mit meinem alten Rufnamen Ise an. Peinlicherweise erkannte ich sie nicht. Erst als sie ihren Namen sagte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: eine ehemalige Nachbarin. Sie hatte eine völlig veränderte Frisur. Auch sie hatte mich erst an meiner Stimme erkannt.
Abends sah ich TV. Das mache ich sonst nicht. Ich finde Fernsehen eher langweilig und nutze auch zu Hause die Möglichkeit, Filme auf meinem Laptop zu sehen, kaum. Aber in Münster waren meine täglichen Routinen außer Kraft gesetzt. Am Mittwoch gab es einen ziemlich guten französischen Film auf Arte: Die Beichte. Dort ging es vordergründig um die Geschichte einer jungen Frau, die sich als Kommunistin bezeichnet und sich mit einem katholischen Priester anfreundet. Das Ganze spielt sich vor dem Hintergrund der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen ab. Später sah ich dann noch Wallander mit Kenneth Branagh in der Hauptrolle. Das war mein erster und wahrscheinlich auch der letzte Wallander-Film: soviel Brutalität, soviel eklige Bilder, soviel Abscheulichkeiten. In der Nacht hatte ich Schwierigkeiten zu schlafen.
Am Freitag wurde ich krank: es fing mit einem fiesen Reizhusten an. Ich kaufte für sehr viel Geld eine kleine Menge Isländisch Moos in der Apotheke. Das half meinen Bronchien. Ich hatte vor meiner Fahrt nach Münster noch gedacht, daß ich das ganze Jahr noch keine Erkältung gehabt hatte und es darauf zurückgeführt, daß ich seit Januar regelmäßig die Jin Tigerin gemacht hatte, eine Energieübung, die Ilan Stephani uns gezeigt hatte. Am Samstag saß ich niesend und mit laufender Nase und benebeltem Kopf im Zug nach Hause. Vielleicht hat die Jin Tigerin es aber doch gebracht, denn meine Erkältung war nach vier Tagen komplett erledigt.
Es ist so schön, wieder zu Hause zu sein!