Abstand

Gestern fand der erste Kräuterkurs dieses Jahres statt. Es gab nur eine Teilnehmerin, die noch nie dagewesen war. Ich hatte ihr vorgeschlagen, daß sie selbst entscheiden solle, ob sie unter dieser Voraussetzung kommen wolle. Ich wusste nicht, worauf ich mich da einlasse. Mit einer einzelnen Person kann es anstrengend werden, wenn die Chemie nicht stimmt. Aber dann hätte ich die Aktion schnell beendet. Geld wollte ich in diesem Fall sowieso nicht; gegen eine Spende hatte ich natürlich nichts einzuwenden.

Die Frau kam, wir klärten sofort, wie wir es mit dem Abstand halten wollten und gingen los. Es war angenehm und einfach mit ihr. Sie ließ sich schnell auf die Pflanzen ein und zeigte ein erstaunliches Gespür für sie. Das machte wirklich Spaß.

Der optimistisch stimmende Löwenzahn

Ab morgen müssen wir beim Einkaufen und in öffentlichen Verkehrsmitteln Mund-Nasenschutz tragen. Sinn dieser Maßnahme ist sehr umstritten. Ich möchte auf keinen Fall den Wegwerfmundschutz tragen, den ich aus der Klinik kenne. Überhaupt ist die Branche, die Einmalmaterial herstellt, wohl eine der wenigen, die von Corona profitiert: Ob man Kaffee to go kauft oder etwas zu essen, die mitgebrachten Kaffeebecher und Dosen für den Käse auf dem Markt werden nicht mehr angenommen. Und in den Kliniken, wo schon in nicht pandemischen Zeiten ungeheure Mengen an Plastikeinmalmaterial täglich verbraucht werden, kommt wahrscheinlich die Müllabfuhr gar nicht mehr hinterher. Daß es anders geht, zeigt das Flensburger Restaurant Le Camping: Sie liefern Menüs in Porzellan- und Glasbehältern in einer Kiste, die am nächsten Tag wieder abgeholt wird. Aufwendig aber konsequent, sowas gefällt mir sehr gut. Ich habe vorm Spiegel schon mal mit Schal und Tüchern vor Mund und Nase posiert. Alles nicht wirklich befriedigend. Jetzt bekomme ich ein paar Mund-Nasen-Masken genäht. Die brauche ich nicht wegwerfen und kann sie in die Waschmaschine tun. Ich hätte am liebsten eine in den Anarchistenfarben schwarz-rot dem großen A im Kreis.

Als ich Donnerstag in der Schlange vorm Gemüsestand wartete, vertrieb ich mir die Zeit mit einem neuen Spiel: ich versuchte, die Menschen, die direkt hinter und vor mir standen, energetisch zu spüren. Dabei fiel mir auf, daß wir Menschen das mit dem Abstand normalerweise ganz instinktiv regeln. Manchen Menschen mögen wir näher kommen, andere halten wir lieber etwas auf Distanz. Das läuft ohne Beteiligung des Bewusstseins ab. Jetzt ist diese Fähigkeit zur Selbstregulation per Gesetz außer Kraft gesetzt. Was macht das mit Menschen, daß sie ihre Instinkte unterdrücken müssen, um kein Bußgeld zu bekommen? Und was macht es, wenn wir bei anderen Menschen die Mimik nicht mehr erkennen können? Was wollen wir noch alles brav und folgsam im Namen der Sicherheit opfern? Immerhin habe ich mich in den letzten Tagen mit einigen Menschen über diese Fragen sehr gut unterhalten. Dabei stellte sich heraus, daß die Bereitschaft, diese Restriktionen gehorsam zu befolgen, sehr brüchig ist. Und ich gehe davon aus, daß das mit jeder weiteren Woche Kontaktsperre noch deutlicher werden wird.

Aber eigentlich ist die Sache mit dem Abstand nur die Steigerung einer Entwicklung, die ich schon länger beobachte: während früher Diagnostik in Arztpraxen mit den Händen und allen Sinnen betrieben wurde, wird das seit geraumer Zeit den diversen Maschinen überlassen. Viele Ärzte geben seit einigen Jahren ihren Patient*innen auch nicht mehr die Hand, aus Infektionsschutzgründen. Das ist für mich übrigens ein Ausschlusskriterium: ein Händedruck sagt soviel aus. Wenn ein Arzt den nicht will, gehe ich da nicht mehr hin.

Gundermann lebt gern in der Nähe von Menschen und steht in Verbindung mit den kleinen Völkern

Morgen werde ich mich wieder für unbestimmte Zeit von meinem Laptop trennen. Er funktioniert immer noch nicht gut, kann keine Updates verarbeiten und ist extrem langsam geworden. Ich hatte gehofft, daß ein paar Tipps per Telefon mir helfen könnten, alles wieder hinzubekommen, aber der Mann vom Computerladen sagte, das sei ein größeres Ding. Wer mich also in den nächsten Tagen erreichen will, muss das Festnetz benutzen. Ich habe hier keinen Handyempfang und dementsprechend auch kein Internet auf meinem Smartphone. Ohnehin bin ich ein Smartphonemuffel und habe es so eingestellt, daß ich nicht so leicht getrackt werden kann. Das heißt auch, daß die zukünftige Corona-App nicht installiert werden wird.

Geht es wirklich ums Leben?

Vor einigen Tagen hat unser sehr forscher Gesundheitsminister von sich gegeben, das Gesundheitswesen in Deutschland sei zu keiner Zeit überlastet gewesen. Da ich nicht mehr in der Klinik arbeite, kann ich die dortige Lage nicht überprüfen. Ich weiß aber von einer Krankenschwester aus Flensburg, die von leerstehenden Betten spricht. Soweit so gut. Jedenfalls hat Herr Spahn keine Ahnung von den Zuständen im deutschen Gesundheitswesen. Das ist nämlich schon seit Jahren mehr als überlastet. In meinem ehemaligen Bereich, der Psychiatrie, waren wir im Vergleich noch relativ gut aufgestellt. Aber auch wir haben, in den letzten Jahren zunehmend, Situationen erlebt, die weder gesetzeskonform waren noch menschenwürdig. Gesetzeskonform war es z. B. nicht, wenn wir wegen zu wenig Personal auf der geschlossenen Akutstation nicht mehr in der Lage waren, die Monitore zu beaufsichtigen, was für in der Fixierung liegende Patienten vorgeschrieben sind. Manchmal haben wir die diensthabenden Ärtzt*innen angefleht, niemanden mehr aufzunehmen, weil wir noch nicht mal mehr eine Grundversorgung gewährleisten konnten. Aber natürlich mussten die aufnehmen, weil der Amtsarzt eine Zwangseinweisung veranlasst hatte und es ihm scheißegal war, ob wir damit klarkamen oder nicht. Dann boxte der Papst auf der Station, die fixierten Patienten schrieen den ganzen Tag in ihren Gurten und wir kamen einfach nicht hinterher. Auch habe ich oft allein gearbeitet und keine Pause nehmen können (die übrigens auch gesetzlich vorgeschrieben ist). Aber richtig beschissen ging und geht es schon seit Jahren den Pflegekräften, die auf den Intensivstationen arbeiten.

Ich habe übrigens heute mit meinem Sohn telefoniert und ihm eindringlich gesagt, daß ich auf gar keinen Fall beatmet werden möchte. Ich habe eine Patientenverfügung, weiß aber aus Erfahrung, daß die nicht unbedingt beachtet wird. Es ist immer gut, wenn Angehörige und Freund*innen genau Bescheid wissen. Wenn eine*r einmal im Krankenhaus und nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen zu äußern, läuft die „Lebensrettungsmaschinerie“ ohne Gnade. Ich habe es oft genug erlebt. Es darf auf keinen Fall mehr gestorben werden.

Und da kommen wir zu einem Merkmal unserer „Leitkultur“: Tod ist der Feind, Sterben darf nicht stattfinden. Auch weit über 80jährige werden noch reanimiert oder den Strapazen einer künstlichen Beatmung ausgesetzt, die in vielen Fällen dann doch tödlich ausgeht. Das ist ein sehr tiefgehendes Thema und ich glaube, wir alle müssten uns fragen: wie wollen wir leben? Wie wollen wir sterben? Wollen wir auf längere Zeit social distancing praktizieren, weil wir dann vielleicht nicht an Covid-19 erkranken. Ich kann für mich sagen: auf keinen Fall. Als Säugetier bin ich auf Kontakt, auch Körperkontakt angewiesen. Was macht es mit Menschen, denen man das verbietet? Und die armen alten Leute, die in den Pflegeheimen seit Wochen keinen Besuch mehr haben dürfen. Die Angehörigen, die ihre Verstorbenen nur noch mit Distanz und ohne richtige Trauerfeier begraben müssen. Ich stelle fest, daß wir gerade mitten in einer Gesundheitsdiktatur leben. Wie lange machen wir das mit?

Die Herrschenden beschwören uns, das Volk, daß es schließlich bei all diesen Maßnahmen um unser Leben gehe. Aber bei den Tausenden, die seit einigen Jahren im Mittelmeer absaufen, spielt das keine Rolle. Ich möchte gern erleben, daß angesichts der ungeheuerlichen Menge an Hungertoten in Afrika mal an deren Leben gedacht wird, zumal der Hunger dort seit der Kolonialzeit durch den globalen Norden und sein lebensverachtendes Wirtschaftssystem verursacht und aufrechterhalten wird. Was ist mit den ganzen sogenannten Zivilisationserkrankungen, der Zunahme an psychischen Störungen, an Suiziden, an Krebserkrankungen? Die Toten, die jetzt schon weltweit auf das Konto des menschengemachten Klimawandels gehen? Die vielen Verkehrstoten? Wo werden da Maßnahmen für das Leben ergriffen?

Aus dem Radio erfuhr ich, daß die deutsche Autoindustrie von der Regierung Abwrackprämien wie 2009 nach der Bankenkrise verlangt. Da könnte ich vor lauter Zorn in die Tischplatte beißen! Also wollen sie noch mehr hässliche spritfressende SUVs auf den Markt werfen. Klimaschutz?

Corona ist das allerkleinste unserer Probleme! Viren kommen und gehen, sie sind unsere evolutionären Weggefährten, ja und ab und zu kann man mal daran sterben. Und sterben werden wir alle sowieso irgendwann und das ist auch richtig so, weil ohne Tod gibt es kein Leben und ohne Leben keinen Tod. Der Tod ist einfach Teil des Lebens. Und wie Charles Eisenstein so wunderschön sagt: „Anyone who has experienced the passing of someone close knows that death is a portal to love.“ (Jeder, der das Sterben eines nahestehenden Menschen erlebt hat, weiß, daß der Tod eine Pforte zur Liebe ist). Ja, das kann ich bestätigen, weil ich es erlebt habe.

Etwas, was mich erfreut hat: letzte Woche in einem Supermarkt fragte der Mann an der Kasse mich, ob er mir mein Wechselgeld in die bereitstehende Schale oder in meine Hand geben solle. Ich hielt ihm meine Hand hin und sagte: „Ich fürchte mich nicht.“ Er gab mir das Geld und antwortete: „Willkommen im Team!“ Und dann fügte er noch hinzu: „Nicht, daß ich glaube, da ist nichts. Aber mir gefällt nicht, wie damit umgegangen wird. Aber das darf man ja nicht laut sagen.“

Ich habe mich über sein Verhalten gefreut. Und es stimmt: sobald man öffentlich seine eigene Meinung zum Coronavirus und dem Umgang damit äußert, riskiert man Beschimpfungen und Empörung. Wie macht man ein Volk gefügig? Indem man ihm Angst macht.

Ich weiß nicht, was los ist – keiner weiß es


Vor einer Woche hatte ich täglich Gedanken, die ich gern in diesem Blog mitgeteilt hätte. Das ging aber nicht: mein Laptop hatte nach einem automatischen Update Schwierigkeiten gemacht und meine Versuche, diese zu beheben, hatten letztlich dazu geführt, daß ich das Gerät in die Hände eines Profis geben musste. Der brauchte dann eine Woche, um den alten Zustand wiederherzustellen. Das Interessante an dieser Woche war, daß mir nach einigen Tagen der Rechner gar nicht mehr fehlte und als er wieder bei mir war, war mein Bedürfnis, mich im Netz rumzutreiben, vergangen.

Ich bekomme oft Links zugeschickt, jetzt noch mehr als sonst und alle haben was zu Corona zu sagen. Einige habe ich mir angesehen, z. B. den als Spinner deklassierten Wolfgang Wodarg, den ich ziemlich klug finde. Es gibt wahrscheinlich soviele Meinungen zum Coronavirus, wie es Virologen und andere Wissenschaftler gibt. Allmählich bin ich aber der Links müde. Es ist ja ohnehin immer ein Schlagabtausch an Argumenten, das kenne ich aus den ermüdenden Diskussionen der Marxisten, die nie zu einem Ende führen, weil es auf jedes Argument ein Gegenargument gibt.

Aber diesen hier möchte ich selbst empfehlen: https://charleseisenstein.org/essays/the-coronation/?_page=6

Den Text findet ihr da auch auf Deutsch. Charles Eisenstein gelingt es mal wieder, die ganze sogenannte Coronakrise auf eine andere und viel umfassendere Art zu sehen als alle Zeitungen und Nachrichtensendungen, mit denen wir tagtäglich zugepfeffert werden. Das ist schön und ermutigend.

Was fange ich mit meinem Leben in Zeiten des Coronalockdowns an? Eigentlich habe ich alle meine Routinen beibehalten. Meine tägliche Yogapraxis habe ich erweitert, das kann nicht schaden. Ich bin viel im Garten. Ich lese, stricke, schaue viel in die Landschaft, mache Spaziergänge, fahre mit dem Fahrrad, telefoniere mit Mutter, Kindern, Freundinnen, erlaube mir faul zu sein.

Und ich nehme wahr, daß wir einen schönen Frühling haben. Das Frühlingsgrün hat diese besondere Leuchtkraft, für die mir immer das Wort „ekstatisch“ einfällt. Vor zwei Tagen sah ich einen bunten Stieglitz im Quittenbäumchen sitzen und wunderschön singen. Die erste Rauchschwalbe zog ihre Kreise mit lautem Zwitschern über dem Garten, die Bienen fliegen und warmer Honig-Propolis-Duft strömt aus dem Flugloch. Es ist einfach nur schön.

Ostern war ich in Flensburg, wir hatten eine gute Zeit trotz Lockdown und Abstandhalten. Man hat ja diese ganzen restriktiven Maßnahmen eingeführt, um das Gesundheitswesen nicht in den Kollaps zu reißen. Was dabei gar nicht erwähnt wird: das Gesundheitswesen lag lange vor Corona schon am Boden. Zuviel Arbeit und zuwenig Pflegepersonal. Das war bekannt und von der Politik billigend in Kauf genommen worden, als man um die Jahrtausendwende anfing, die Krankenhäuser zu privatisieren. Alle wussten, daß es dann schlechter werden würde und es ist schlechter geworden.

Und eins weiß ich sicher: sollte ich eine Coronainfektion mit Atemproblemen bekommen, will ich auf gar keinen Fall beatmet werden. Ein Laie kann nicht wissen, was für eine Strapaze das für einen Organismus ist. Beatmung heißt, in ein künstliches Koma mit all seinen Unwägbarkeiten versetzt werden, weil ein wacher Körper sich gegen die notwendige Intubierung wehren wird. Das weiß jeder, der mal was in den falschen Hals gekriegt hat. Ja, und wenn ich sterben sollte, dann ist das so. Mein Leben geht irgendwann zu Ende so wie unser aller Leben. Das ist evolutionär offensichtlich sinnvoll. Übrigens ist mir aufgefallen, daß etliche wirklich alten Leute gar keine Angst vor einer Coronainfektion haben. Auch meine Mutter, mittlerweile 93 Jahre alt, gehört dazu.