Nehmt doch endlich den armen Mann vom Kreuz!
Fünf Tage Rhön und anschließend kurzer Besuch in Münster. Dieses Jahr hatten wir unsere Ferienwohnung am Hang unseres heiligen Berges, des Schafsteines, auf einem Bauernhof. Das war sehr in Ordnung; wir hatten unsere Ruhe, konnten der Katzenmutter mit ihren Kleinen beim Spielen zusehen und den freundlichen Hund streicheln. Nach wie vor unübertroffen ist aber der Spiegelshof von Julia Djabalameli in Melperts, wo wir einige Male wohnten. Aber Julia vermietet vorzugsweise an große Gruppen und wir haben die Erfahrung gemacht, daß es nicht so schön ist, sich die Küche mit anderen Menschen zu teilen. Ich gönne es ihr sehr, daß ihr Haus mittlerweile während der Saison gut belegt ist.
Wir wanderten auf alten Wegen und fanden neue. Beunruhigend ist der Wassermangel. Ich bin seit 1975 zehnmal in der Rhön gewesen und habe sie immer reich an Bächen, Quellen und häufig auch Regen gefunden. Aber im letzten Jahr war die Landschaft regelrecht verbrannt, und dieses Jahr waren viele Bächer ausgetrocknet. Der Nixenteich ist zu einem kleinen Tümpel geschrumpft und der Wasserfall, der ihn speist, ein kleines Rinnsal geworden. Immerhin regnete es ein wenig am zweiten Tag und wir machten am Basaltsee unter einem großen Sonnenschirm bei einem gutgelaunten Wirt Rast, bis der Himmel aufklarte.
Am letzten Tag wanderten wir über den Himmeldunkberg. Hier fanden wir endlich einige Quellen. Wasser, das einfach aus dem Berg kommt, hat mich schon immer fasziniert. Im Wasser der Brendquelle fand meine Tochter kleine Krebse. Wir nahmen es als Indiz für die Reinheit des Wassers.
Richtig verzaubert hat mich die Blütenpracht auf dem Himmeldunk: ein Meer von echtem Labkraut, das uns mit seinem intensiven Duft einhüllte, karmesinrote Heidenelken, üppige Schafgarben, Klappertopf, der im Wind rasselte. Welche Fülle, welche Vielfalt! Auf diesem schönen Berg kamen uns eine Herde Ziegen entgegen. Sie schlüpften einfach unter den Elektrodrähten der Weidezäune durch, wohl in Erwartung von etwas Leckerem.
Ich habe immer noch den Duft des Labkrauts in der Nase und muss an einen Ausdruck von Deborah Bird Rose denken: ökologische Erotik. Gemeint ist eine Erotik, die weit über die gängige Definition hinausgeht, die mehr ist als das magische Geschehen zwischen Frau und Mann/Mann und Mann/Frau und Frau. Das ist eine Erotik, die sich zwischen mir und der lebendigen Welt abspielt, zwischen Mensch und Pflanze, Mensch und Tier, Mensch und Wasser, Wind, Wolken, Erde. Das ist etwas sehr Körperliches, alle Sinne sind einbezogen, eine Kommunikation, die weit über unsere gewohnte Art von Verständigung hinausreicht. Ich bin davon überzeugt, daß das Labkraut über seinen intensiven Duft kommuniziert und das nicht nur mit Bienen und Hummeln. Wenn ich in erotischer Beziehung zur mehr-als-menschlichen Welt bin, ist es mir ein Herzensanliegen, sie zu beschützen.