Fahrrad

Folgendes Zitat von Martin Luther King fand ich gestern im netten kleinen Café Hilda in Kiel in einem Buch, das von Student*innen der Muthesius-Hochschule zusammengestellt wurde:

„Woran wir uns am Ende erinnern werden, sind nicht die Worte unserer Feinde. Es ist das Schweigen unserer Freunde.“

Wie wahr! Es passt so gut in die letzten zwei Jahre. Glücklicherweise haben die meisten aus meinem Umkreis nicht geschwiegen. Aber  angesichts des schreienden Unrechts, das geschehen ist – und immer noch geschieht – gab es einige wenige, die sich mehr oder weniger elegant an diesem Thema vorbeigedrückt haben. Das bleibt hängen.

Im letzten Winter hatte ich ein Erlebnis mit meinem Fahrrad, das dazu geführt hat, daß ich Angst vorm Radfahren bekam: ich fuhr an einem dunklen feuchten Abend ins Nachbardorf, um Freunde zu besuchen. Mein altes Treckingrad hat eine unzulängliche Beleuchtung und ich trug deshalb meine Stirnlampe. Die Strecke hat ein paar Steigungen und ich kam immer schlechter voran und wunderte mich darüber. Auf dem Rückweg war es noch schlimmer. Die Räder schienen sich gar nicht mehr zu bewegen. Ich hatte das Gefühl, die Lunge fällt mir aus dem Hals vor lauter Anstrengung. Schließlich stieg ich ab und schob. Ich machte mir Sorgen, daß ich zu unfit geworden bin und konnte es mir gleichzeitig gar nicht erklären. Im Licht meiner Stirnlampe sah ich dann, daß sich zwischen Schutzblich und Hinterrad eine dicke Erdschicht angesammelt hatte. Es lag also nicht an meiner Kondition. Vor einigen Monaten besuchte ich einen Freund, der etwa vier Kilometer entfernt wohnt. Während ich eine Steigung hochkeuchte, überholte mich ein Mann auf seinem Rennrad und rief mir noch etwas zu, bevor er in Windeseile aus meinem Blickfeld verschwand. Das hat mich nicht sonderlich motiviert.

Die Landschaft, in der ich lebe, ist voller Hügel und heißt deshalb Holsteinische Schweiz, was natürlich ziemlich hoch gegriffen ist. Eigentlich bin ich Radfahren gewöhnt, schließlich habe ich 25 Jahre in der Fahrradstadt Münster gelebt. Da hatte ich ein Hollandrad ohne Gangschaltung, die man da allerdings auch nicht braucht. Auch in meinen zwei Jahren in Kiel bin ich oft die 5 km mit dem Rad zur Arbeit gefahren.

Im Herbst kaufte ich mir vom geerbten Geld ein schickes neues Fahrrad, das beim Probefahren in Lütjenburg gut lief. Aber als ich es zu Hause auf den unbefestigten Straßen mit teilweise deutlicher Steigung ausprobierte, fand ich es extrem anstrengend. Ich forschte ein wenig und fand heraus, daß das Rad mit 18 kg ziemlich schwer und außerdem die fünfgängige Nabengangschaltung wohl eher für die Stadt geeignet war. Ich konnte das Fahrrad gegen ein leichteres Treckingrad eintauschen, bin aber danach lange nicht gefahren. Irgendwie hatte ich Angst.

Am Samstag schlug B. vor, mit dem Rad nach Bellin zum Müllsammeltag zu fahren. Wir fuhren die zwei Kilometer hin und später wieder zurück; ich allerdings mit meinem alten Fahrrad, weil ich daran gewöhnt bin. Das ging, auch wenn ich an einigen Stellen ziemlich gepustet habe, während B. noch genug Luft zum Reden hatte. Gestern hatte ich nachmittags einen Physiotherapietermin wegen meiner anhaltenden Hüftschmerzen und überlegte, ob ich die drei Kilometer zu Fuß nach Selent gehen sollte. Aber die Zeit war knapp und ich entschied mich fürs Fahrrad, obwohl ich wieder Angst davor hatte. Bevor es vom Wald auf die Landstraße geht, führt der Weg steil bergab, kein Problem also. Als ich dann auf der Behandlungsliege lag und die Physiotherapeutin meinen Gluteus maximus und Piriformes, also meine Hinternmuskulatur durcharbeitete, machte ich mir Sorgen, wie ich auf dem Rückweg den Berg hochkommen sollte, ohne abzusteigen und zu schieben. Ich wusste selbst, daß das irgendwie merkwürdig war: bin ich doch diese Strecke schon so oft gefahren. Aber irgendwie habe ich das Rad im letzten Jahr ziemlich gemieden. Was soll ich sagen? Ich schaffte den Rückweg ohne abzusteigen. Oben angekommen habe ich zwar ziemlich geschnauft und schwor mir, an meiner Kondition zu arbeiten. Aber als ich dann zu Hause war, ging es mir so gut, daß ich die ganze Zeit gesungen habe und mir am liebsten ständig selbst auf die Schulter geklopft hätte, weil ich mich nicht vor dieser Herausforderung gedrückt habe. Ich hätte ja auch mit dem Auto fahren können, aber das wäre schon sehr peinlich gewesen, zumal allerschönstes Wetter war.

Am Abend war ich bei einem Vortrag von Hermann Ploppa über die weltpolitische Lage. Sehr interessant, zumal er über Dinge berichtete, die man in den Leitmedien und im Fernsehen nicht erfährt. Ich traf natürlich etliche Bekannte und es gab reichlich Umarmungen. Seit Beginn der Coronamaßnahmen, als von einem supergefährlichen Virus geredet und vor engen Kontakten gewarnt wurde, knuddelt man sich in den Kreisen, in denen ich mich seitdem hauptsächlich bewege, sehr bewusst und häufig. Das hat sich teilweise aus Protest gegen die  absurden Maßnahmen entwickelt, ist dann aber auch zu einem echten Bedürfnis geworden, das wir alle uns gern und bewusst erfüllen. Es ist einfach schön, Menschen im Arm zu halten, die man mag. Außerdem glaube ich, daß viele von uns auf diese Weise so eine Art Nachnähren erfahren, weil in unserer Kultur schon viele Kinder einen Mangel an Körperkontakt erfahren. Von mir kann ich das auf jeden Fall behaupten.

Als ich nach dem Vortrag und ein paar kleinen Schnacks dann ging, küsste ein Mann, den ich sehr schätze, meine Hand zum Abschied. Das hat mir gut gefallen und ich schwebte förmlich auf Wolken, während ich über leere, nächtliche Straßen nach Hause fuhr.

Was für ein gelungener Tag!

Mein Nachbar hat meinen Knick gestutzt. Jetzt gibt’s eine Menge Holz zu stapeln.

Der freie Wille

So sah es bei mir vor einigen Tagen aus

Neulich begegnete mir in einem Buch mal wieder der Ausdruck „freier Wille“. Nicht daß er mir neu wäre, aber dieses Mal hakte er sich in mir fest und beschäftigt mich. Menschen werden, so sagt man, mit einem freien Willen geboren. Andere sagen, daß Menschen sowas gar nicht haben können, weil ihr Denken und Verhalten geprägt ist durch Schule, Erziehung, festgemauertes jahrhundertealtes Weltbild und biologische Zwänge. Daß die im letzten Satz gesagten Dinge eine Rolle spielen, bezweifle ich nicht. Dennoch bin ich überzeugt, daß wir in all unserer Geprägtheit eine freien Willen haben. Der tritt immer dann in Erscheinung, wenn wir uns entscheiden. Wenn ich in meiner eigenen Geschichte zurückgehe, dann fallen mir viele Beispiele ein: wie oft habe ich Entscheidungen getroffen trotz und gegen gesellschaftliche Konventionen.

Ich lese gerade ein Buch, das mein Sohn mir geschenkt hat: Der lange Weg zum Ungehorsam von Lisa Fitz. Bisher war ich zugegeben keine Lisa Fitz-Fanin, obwohl sie gerade in den letzten Jahren eine wirklich gute Kabarettistin geworden ist. Ich habe das Buch angefangen und dann wieder weggelegt, dann wieder hervorgenommen und jetzt lese ich es wirklich mit Vergnügen, weil ich mich darin so oft wiederfinde. Nein, ich habe längst nicht soviele Männergeschichten wie sie gehabt; auch der Alkohol hat in meinem Leben keine besonders wichtige Rolle gespielt. Aber das Rebellinnentum ist uns beiden eigen, offensichtlich hatten ihre Mutter und mein Vater etwas gemeinsam: den Ehrgeiz, die Kinder nach ihren Vorstellungen zu formen. Das scheint unweigerlich zur Rebellion zu führen. So wie sie sich dem mütterlichen Diktat nicht fügen konnte, konnte ich mich nicht den väterlichen Anforderungen fügen. Das hat zu vielen Verwerfungen geführt; mein Leben zwischen 15 und 19 Jahren war extrem ungemütlich und in meiner Erinnerung ein einziger Kampf gegen einen  sehr mächtigen Vater, dessen Pläne ich unter keinen Umständen erfüllen konnte. In der Zeit kam mein freier Wille richtig klar zum Vorschein. Irgendwann, als ich längst volljährig war, hat mein Vater kapituliert: „Du machst ja sowieso immer, was du willst.“

Spannend an der Sache mit dem freien Willen ist auch, daß ich ihn anderen Menschen genauso zugestehen muss wie mir selber. Das heißt, daß ich mich nicht in die Entscheidungen anderer einmische, daß ich ihre Wege respektiere, auch wenn sie mir fremd, unverständlich oder falsch vorkommen. Wahrscheinlich würde sich dann im Umgang miteinander sehr viel ändern, denn es hieße ja auch, daß die ständigen Urteile und Bewertungen wegfielen, die die meisten von uns wohl schon mit der Muttermilch aufgenommen haben. Wie entspannend wäre ein Kontakt, in dem ich nicht immer argwöhnen müsste, daß der oder die andere schlecht über mich denkt und meine Entscheidungen falsch findet. Ich gebe zu, daß ich da bei mir selbst viel Übungsbedarf sehe: es genügt ja nicht, die inneren Urteile nicht auszusprechen; die Einsicht in die ureigenen Wege des Anderen muss in der DNA verankert sein.

Lisa Fitz schreibt noch andere Sachen, mit denen ich mich voll und ganz identifizieren kann und die mich gleichzeitig erheitern, z. B. „Ich habe immer gesagt, einen Mann, der nicht abspült, den schmeiß ich raus! Und was habe ich jetzt…? Berge von Männern vor der Haustür liegen!!“ Na ja, Berge waren es bei mir nicht, aber Männer, die sich an der Hausarbeit beteiligen, waren in meinem Leben eher eine Rarität und das ist einer der Gründe, warum ich das Zusammenleben nicht besonders attraktiv finde.

Sehr wiedergefunden habe ich mich auch in folgendem Satz: „Männer sind naiv und romantisch, sie blenden die Vernunft aus, sie gehen fremd, aber selten ganz weg, außer man wirft sie raus. Sie finden, alles könnte für die Ewigkeit so bleiben, egal, wie es läuft.“ Das kann ich bestätigen. Die meisten Beziehungen habe ich beendet und mich immer wieder gewundert, warum Männer so lange bleiben, obwohl es richtig scheiße läuft. Ich kann es mir nur so erklären, daß Frauen für Männer eine so große Komfortzone sind/bieten, daß dafür alles andere in Kauf genommen wird. Ja, ich finde es schön, wenn sich einer bei mir wohl fühlt, aber sobald ich mich ausgenutzt fühle, werde ich zur Furie. Oder besser gesagt: wurde. Denn in dieser Situation war ich schon lange nicht mehr. Und ich habe mittlerweile auch Männer kennengelernt, die einen Haushalt führen können mit allem was dazu gehört. Allmählich scheint sich was zu ändern.

Was das mit dem freien Willen zu tun hat? Nun, wenn jemand sich nicht an der Hausarbeit beteiligen will, ist das sein freier Wille. Und mein freier Wille ist, daß ich nicht mit einer Person zusammenleben will, die mir die komplette Hausarbeit überlässt. Bei so einer Konstellation wäre dann eine Besuchsehe eine gute Lösung, bei der ich mein Hausrecht behielte.

Frühjahrsputz

Es ist sicher schon aufgefallen, daß ich nicht wie eigentlich geplant am letzten Samstag in Berlin war. Der Grund: meine länger schon anstehende Wohnungsrenovierung ist am Freitag gestartet und ich steckte bis über beide Ohren in Arbeit. B. hatte mir einen Mann empfohlen, der das Anstreichen der Räume übernehmen wollte und mein Part war das Ausräumen, Putzen und Einräumen. Ich habe mich mehrere Jahre vor dieser Arbeit gedrückt, aber jetzt musste es einfach sein und es fühlt sich wie ein gigantischer Frühjahrsputz an. Das Einräumen hat mir sogar fast Spaß gemacht. Ich habe soviel aussortiert, vor allem Bücher. Die habe ich in Kiel bei LesArt abgeliefert, wo ich ab und zu einen ehemaligen Patienten aus meiner alten Klinik treffe. Einige Bücher kann ich auch über booklooker.de verkaufen. Was man für einen Krempel ansammelt! Unglaublich! Mein Ideal ist ein Hausstand, der in ein Tiny House oder eine Jurte passen würde. Davon bin ich aber noch weit entfernt. Beim Ausmisten musste ich oft an meinen verstorbenen Freund J. denken, der alles hortete, vor allem Werkzeug und Bücher. Er brachte es sogar fertig, Zeitschriften, die seine Frau in den Altpapiercontainer geworfen hatte, wieder rauszuholen. Oft sagte er zu mir, er könne es nicht fassen, daß ich mich so ohne weiteres von Büchern trennen könne, wenn ich mal wieder Platz im Regal brauchte. „Das ist doch das Wissen der Welt“, sagte er immer. Das Wissen der Welt, das ich relevant finde, habe ich im Kopf. Und ich bin ohnehin nicht in der Lage, alles zu wissen. Zumal Wissen nichts Statisches ist. Was vor Tagen, Jahren, Jahrhunderten als feststehendes Wissen galt, ist heute oftmals überholt.

Freund H. schickte mir den Link zu einem sehr langen Interview von Reiner Füllmich mit zwei Ärzten, das ich in zwei Etappen gehört habe und sehr empfehlen kann: https://www.youtube.com/watch?v=WCs1Nd-rxYo

Es beleuchtet die Geschichte der Schulmedizin von der beginnenden Neuzeit an bis heute und befasst sich dabei auch mit der Inquisition und den Hexenverbrennungen. Letztere sind ja ein Thema, das mich seit den 80er Jahren beschäftigt. Die Interviewpartner reden auch davon, daß ein Reset, wie er derzeit von der reichen Elite durchgedrückt werden soll, schon einmal stattgefunden hat. Der geschah in der Zeit, als die Volksmedizin und mit ihr die weisen Frauen und Hebammen vernichtet wurden und der Ärztestand an die Macht kam. Was wir heute erleben, ist die Zuspitzung dessen, was vor über 500 Jahren angebahnt wurde. Es geht in dem Interview um weitaus mehr, auch um den Sinn hinter den ganzen Ungemütlichkeiten, die wir gerade erleben und daß wir jetzt aus dem Kindheitsstadium heraus ins Erwachsensein gehen und die Verantwortung für unser Leben in die eigenen Hände nehmen müssen.

Zu den  Hexenverbrennungen: in den 80er Jahren kam dieses Thema plötzlich auf und gleichzeitig begann die spirituelle Frauenbewegung. In Italien gingen Frauen auf die Straße und riefen: „Tremate, tremate, le streghe son tornate!“ (Zittert, zittert, die Hexen sind zurück!). Ich spürte damals eine starke Resonanz, die mich bis heute nicht mehr verlassen hat. Das Zurückkehren der Hexen war von vielen Frauen durchaus wörtlich gemeint, auch von mir; daß sich nämlich die damals verfolgten und ermordeten Frauen in unserer Zeit erneut inkarnieren, weil sie eine Aufgabe haben. Mir fällt auf, daß das Thema Hexenverfolgungen mittlerweile oft auftaucht. Da ist also was im Feld, das beachtet werden möchte! Ich kann das nur begrüßen. Die Zeit ist reif, das alte Heilwissen wieder zu erinnern und die Fäden wieder aufzunehmen.

Auf Rubikon gibt es einen sehr umfassenden Artikel zum Krieg: https://www.rubikon.news/artikel/der-verstetigte-krieg

Auch sehr empfehlenswert und tiefgehend. Er zeigt auf, daß Krieg praktisch überall stattfindet, etwas Normales geworden ist, was eine Erklärung dafür sein könnte, warum heute soviele ehemalige Pazifisten richtig geil darauf sind, die Russen zu ruinieren, egal wer oder was sonst noch alles dabei drauf geht. Charles Eisenstein hat das mal „the mentality of war“ genannt. Ja, die haben wir in unserer DNA, weil wir seit ca. 6000 Jahren im Krieg leben. Aus dieser Mentalität gilt es auszusteigen und für mich heißt das, diese Mentalität in mir selbst wahrzunehmen, wann immer sie auftritt. Auch das ist ein Schritt zum Erwachsenwerden.

Heute habe ich einen langen Gang durch den Wald gemacht, hatte dort einen kleinen Schnack mit einem Mann, der mir früher Holz geliefert hat, und ging dann ins Café am See in Bellin, direkt am Selenter See. Schöner Platz, leckerer Kuchen und eine sehr herzliche Besitzerin. Sie kommt aus Frankreich und ich nutzte die Gelegenheit, mit ihr Französisch zu sprechen, schließlich muss ich üben. Schön, daß es sowas in meiner Nachbarschaft gibt.