eine volle Woche

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Verpasster Anschlusszug in Hamburg – so fing vor einer Woche meine Reise an. Die Deutsche Bahn war gewohnt schlecht, das kennen wir ja schon. Das Zugpersonal versuchte, das durch große Freundlichkeit auszugleichen. Ich kam dann in der Nacht in Salzburg an, wo meine Kinder, mein Schwiegersohn und meine Mutter bereits warteten. Am nächsten Tag ging’s durchs volle Salzburg, natürlich auch auf die Burg. Mein Sohn war schon als Kind magisch von Burgen angezogen. Abends gab es den Jedermann von Hugo von Hoffmannsthal auf dem Domplatz. Ach, ich bin Kulturbanausin: weder Tobias Moretti als Jedermann noch Peter Lohmeyer als Tod rissen mich vom Hocker. Und ich fand das Stück unerträglich moralisch.

Meine Mutter war begeistert von den vielen Frauen in Dirndln. Die sind ja nun auch wirklich teilweise sehr schön und eigentlich ein ideales Kleidungsstück für einen weiblichen Körper. Mir war Salzburg zu voll, zu heiß, zu sehr Stadt. Aber es gab sehr guten Kaffee und das leckere österreichische Essen.

Am nächsten Tag fuhren Katharina, Martin und ich in die Rhön. Der Mietwagen in Fulda war nicht der  von mir gewünschte Polo oder Skoda Fabia sondern ein BMW. Ich habe noch nie am Steuer eines BMW gesessen und hatte das auch nie vor. Der Wagen fuhr sich gut, das muss ich zugeben, aber ich finde, man wird komisch angeguckt mit so einer Karre und sie passt gar nicht zu mir.

In der Rhön konnten wir die Mondfinsternis zusammen mit dem enorm hellleuchtenden Mars über dem Stirnberg verfolgen. Auch hier war es so unglaublich heiß und die Steigungen  fielen schwerer als sonst. „Aber es zwingt uns ja keiner“, sagte der Bewohner einer anderen Ferienwohnung zutreffenderweise, den wir auf dem Absteig vom Steinkopf trafen.

Am Sonntag entdeckten wir auf dem sehr langen und anstrengenden Rückweg von der Ebersburg eine der vielen Grotten, die es hier wohl in jedem Ort gibt, nach den Wegweisern zu urteilen. Aber ich hatte bisher nie eine entdeckt. Sie befand sich in einem Kreis aus Linden, die ihre Äste tief herab senkten. Nur ein Mülleimer wies auf einen menschlichen Platz hin. In der Mitte waren Steine zu einer Kunstgrotte aufgestapelt, in deren Höhlung eine Marienfigur stand. Brennende Kerzen zu ihren Füßen, Blumen, Holzbänke – es war ein einladender geschützter und kühler Platz. Da begriff ich, daß die Mariengrotten für die ursprünglichen Wesenheiten dieser Landschaft gestaltet wurden und Überreste eines sehr viel älteren Kultes sind.IMG_1310

Jetzt bin ich wieder zu Hause und hier sind mittlerweile griechische Verhältnisse: verdorrte Wiesen und 38°C im Schatten.

Sommer

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Die Hitze und Trockenheit halten an. Jeden Abend schleppe ich kannenweise Wasser in meinen Gemüsegarten. Vor einigen Tagen wurde die Gerste gemäht. Ich sah zu, wie später die Strohrollen einer an den Trecker gehängten Apparatur herausfielen. Es sieht schön aus, wie sie alle auf dem Stoppelfeld liegen, aber sie sind von einem Plastiknetz umhüllt.

Plastik: in der Biodrogerie an der Holtenauer Straße in Kiel fragte ich nach einer Zahncreme, die nicht in einer Plastiktube steckt. Ich bin mit meiner Mineralstoffzahncreme ganz zufrieden, aber die Verpackung kann ich nicht mehr hinnehmen. Die Verkäuferin erzählte von gutem Plastik, weil es recyclebar ist. Aber erst mal zweifle ich daran, daß das Plastik aus den gelben Säcken tatsächlich recycelt wird. Und wenn, dann werden neue Plastiksachen draus, die Mikroteilchen in die Gegend abgeben. Ich verließ den Laden und ging zu unverpackt am Exerzierplatz. Dort fand ich Pastillen, die man etwas zerkaut, dann kann man sie mit der Zahnbürste verarbeiten wie normale Zahnpasta. Sie schmecken nach Pfefferminze und machen die Zähne schön sauber. Geht doch! Überhaupt muss ich den Laden mal wieder anpreisen. Sie haben ihr Sortiment erweitert und es gibt viel zu entdecken.

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Anpreisen muss ich auch einen Artikel aus der neuen Oya: Bildersturm – Gutes Leben, gutes Sprechen. Warum wir neue Metaphern brauchen von Johannes Heimrath. Vielleicht findet er sich auch in der Online-Ausgabe. Ansonsten lohnt es sich immer, die Oya zu kaufen, weil sie einfach nur gut ist.

Ansonsten gewöhne ich mich daran, mit dem Chaos mitzufließen: in der Klinik fehlen die Leute, unsere Station existiert zur Zeit nicht, dafür helfen wir überall aus, wo Pflegepersonal fehlt. Anfangs ging ich mit viel Ärger zur Arbeit und fand es eine Zumutung, was da mal wieder über unsere Köpfe hinweg entschieden wurde. Dann bin ich mit mir selbst zu Rat gegangen und habe beschlossen, mich auf die Situation einzulassen, da ich vorerst keine Möglichkeit sehe, sie zu ändern. Die letzten Tage war ich auf der geschlossenen Aufnahmestation, wo ich von 2002 bis 2008 gearbeitet habe. Ein Kollege und ich stellten heute Morgen fest, daß wir an diesem Ort niemals irgendwelche Pläne abarbeiten können, sondern in jeder Sekunde mit dem mitgehen müssen, was das Leben uns beschert: schreiende Personen, die mit der Polizei kommen, Menschen, die wir in die Fixierung nehmen, Menschen, die so richtig ungehemmt die Sau rauslassen. Der Geräuschpegel ist enorm. Aber an diesem Platz fällt mir mal wieder auf, was für tolle Kolleg*innen ich habe. Ich kann mit den Patient*innen reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist – ach, das tu ich sowieso, alles andere ist mir zu anstrengend – und wir lachen viel. Das ist das, was zählt.

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Müde

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Ich bin so müde: es gibt soviel zu tun. Die Arbeit belastet mich mehr und mehr. Es fehlt zunehmend an Personal und die Klinik reagiert mit Stationsschließungen und verteilt uns auf andere Stationen. Immer über unseren Kopf hinweg – Personal als Verfügungsmasse. Natürlich habe ich viel zu tun, weil es wie schon immer in meinem Leben so viele Dinge gibt, die ich wichtig und interessant finde. Das ist anstrengend und gut; andernfalls lebte ich nur für die Arbeit. Das kann’s nicht sein.

Die extreme Dürre hält an und ich gieße jeden Abend einen Teil meiner Beete. Neulich hörte ich abends ein Rauschen. Als ich die Tür öffnete, sah, roch und hörte ich den Regen. Ich glaube, ich habe mich noch nie so über Regen gefreut. Meine 150l-Tonne war im Nu voll. Aber jetzt ist sie nach einmal Gießen schon wieder fast leer.

Am Mittwoch holte ich ein neues Bienenvolk aus dem Garten der freien Schule in Preetz ab. G., der vor zwei Jahren zwei Schwärme von mir bekommen hatte, hat einen Kunstschwarm in einen meiner Top Bar Hives gesetzt. Das ist nicht ganz die Art, wie ich gern mit Bienen anfange. Aber ich bin froh, daß sie wieder bei mir leben.

Gestern saß ich bei ihnen und sah ihnen beim Fliegen zu. Zufrieden registrierte ich die einfliegenden Arbeiterinnen mit den orangefarbenen Pollenhöschen. Also haben sie Brut, das ist gut. Während ich so da saß, verebbten die Gedanken und ich wurde ganz ruhig und zufrieden. Da musste ich an meinen Imkerlehrer A. denken, der erzählte, daß er nach der Arbeit immer erst zu seinen Bienen geht. Bei ihnen wird er ruhig und dann kann er nach Hause zu seiner Familie gehen.

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Postapokalypse

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Das vergangene Wochenende habe ich zusammen mit einigen anderen Imker*innen von De Immen im Wendland verbracht. Das für mich spannendste und hoffnungsvolle Erlebnis war der Besuch des Höhbeck, eines kleinen aus der Eiszeit stammenden Höhenzuges an der Elbe. Von  seiner höchsten Stelle aus wurde Westberlin und damit  gleichzeitig die DDR bis zur Wende von einem gigantischen Funkmasten aus mit Westfernsehen bestrahlt. Dieser alte Mast ist verschwunden, es steht aber noch ein zweiter dort, der der Telekom gehört. Das Gelände um den alten Mast wurde von Stefan Reinsch gekauft. Er hat auf der gesamten Fläche mit Unterstützung der Loki-Schmidt-Stiftung dafür gesorgt, daß sich auf dem mageren Sandboden Pflanzen ausbreiten können, die diese Bedingungen schätzen. Mit ihnen sind die Insekten zurückgekommen, darunter auch solche, die auf der roten Liste stehen oder als ausgestorben gelten. Tatsächlich summte und brummte es nur so in den Heidenelken, im echten Labkraut und Steinklee. Das war so schön! Auf den benachbarten Getreidefeldern verdorrte das Korn. Stefan Reinsch realisiert sein Projekt zusammen mit seiner Lebensgefährtin. Er mäht das Gelände peu á peu mit der Sense, teilweise auch mit dem Balkenmäher. So macht er nie alle Insekten auf einmal heimat- und nahrungslos. Ich mache das mit meiner Wiese ja auch so, weil ich die ganze Fläche auf einmal gar nicht schaffen würde. Jetzt habe ich also erfahren, daß ich unwissentlich das Richtige mache. Er sagte mir auch, daß die Arbeit mit der Sense gar nicht anstrengend sei, wenn ich statt mit einem Metallsensenbaum einen aus Holz nehmen würde. Das werde ich natürlich umsetzen.

Am schönsten fand ich übrigens sein Wort Postapokalypse. Er sagte nämlich, daß er diese Arbeit für die Erde, die Pflanzen und die Insekten (und damit auch für die Menschen) für die Zeit nach der Apokalypse mache, die gerade jetzt stattfinde. „Irgendwann muss es ja mal wieder besser werden“, sagte er.

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Am Sonntagvormittag fuhren wir nach Gorleben, wo die Castoren mit dem radioaktiven Müll immer noch auf eine Endlagerung warten. Birgit Huneke vom Gorleben-Archiv und Wolf-Rüdiger Marunde, einigen sicher als Karikaturist bekannt, erzählten uns von der Widerstandsbewegung im Wendland, von den Lügen der Bundes- und niedersächsischen Landesregierung, von Polizisten, die sich mit den Widerständigen solidarisierten. Wir erfuhren auch, wie die Bewegung die Biografien der Bewohner des Wendlandes beeinflusst hat, wie sogar CDU-nahe Bauern und Adlige zum Widerstand gekommen seien, als ihnen die Folgen dessen klar wurde, was da unter ihren Häusern und Feldern in instabilen Salzstöcken gelagert werden sollte. Nach wie vor weiß kein Mensch, wie Atommüll sicher gelagert werden kann. Es ist schlicht nicht möglich und so stehen die Castoren weiterhin auf einem gesicherten Gelände und müssen ständig gekühlt werden, da sie so große Hitze abstrahlen.

Ich habe damals, als es noch Castortransporte und -blockaden gab, vieles aus Fernsehen und Zeitungen erfahren, aber es ist etwas ganz anderes, die Geschichten von Menschen zu hören, die dort wohnen und hautnah dabei waren. Das Gute an diesen Ereignissen ist, daß durch sie ein besonderer Menschenschlag im Wendland lebt, der erlebt hat, daß es sich lohnt, Widerstand zu leisten.

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Widerstand wünsche ich mir auch gegen die unsägliche Flüchtlingspolitik, die unser Innenminister einführen möchte. Ich habe es mehr als bedauert, daß er seine Rücktrittsankündigung nicht wahr gemacht hat. Die CSU-Leute behaupten ja, daß sie so handeln wie sie es tun, weil die Bürger das so wollten. Da kann ich als Bürgerin nur sagen: Ich bin weder gefragt worden noch einverstanden. All das, was jetzt gerade ausgeheckt wird, um Europa mehr denn je zu einer Festung zu machen, geschieht nicht in meinem Namen. Ich finde es einfach nur ekelerregend und unglaublich beschämend.

Hier ist der Link zum offenen Brief der Lifeline-Leute, die in der vergangenen Woche Geflüchtete aus Seenot gerettet haben und tagelang keine Aufnahme in irgendeinem Hafen fanden: https://mission-lifeline.de/de/presse/offener-brief-an-den-innenminister-wir-retten-leben-wen-retten-sie