Mikrobiom

Vor ein paar Tagen holte ich Kuhmist für meinen Kompost von einem befreundeten Biobauern. Während er den dampfenden Mist in die mitgebrachte Bütt schaufelte und die Kühe gemächlich mampfend dabei zusahen, erzählte er mir von einem Seminar, daß er besucht hatte. Es ging um das Mikrobiom, die vielen Kleinstlebenwesen, die unseren Darm besiedeln und uns gesund halten, unter der Voraussetzung, daß sie nicht durch Antibiotika, ungünstige Ernährung, Stress und Gifte gestört wird. Man hat Vergleiche zwischen Menschen, die im finnischen und im russischen Teil von Karelien leben, gemacht. Zwischen beiden liegt nur eine Grenze und dennoch sind es zwei unterschiedliche Welten. Auf der russischen Seite haben die Menschen ein gesundes Mikrobiom, auf der finnischen Seite sieht es deutlich schlechter aus. Man führt das darauf zurück, daß es auf der russischen Seite noch kleinteilige Landwirtschaft mit einer Lebensgemeinschaft von Menschen und Tieren gibt, keine Massentierhaltung und die damit verbundenen Nachteile. A., der selbst Biobauer ist und eine Fortbildung in Homöopathie für Tiere gemacht hat, sagte, es sei in Deutschland kaum möglich, wirklich artgerechte Tierhaltung zu machen, da der ökonomische Druck so groß sei.

Das bringt mich zu einem Thema, das damit verbunden ist: in der letzten Zeit sehe ich öfter, daß in meinem Umkreis mit Desinfektionsmitteln gearbeitet wird. Es hat sich seit der C-Zeit geradezu seuchenartig ausgebreitet, daß viele diese Mittel mit sich herumtragen und beim kleinsten Verdacht, daß sich irgendwelche Mikroben in ihrer Nähe rumtreiben, sich selbst und ihre Umgebung damit behandeln. Immer, wenn ich Zeugin davon werde, stehen mir die Haare zu Berge. Desinfektionsmittel haben in Privathaushalten nichts verloren. Sie haben ihre Berechtigung nur im medizinischen Bereich, z. B. in OPs. Wer Desinfektionsmittel benutzt, sollte sich darüber im Klaren sein, daß er damit Resistenzen schafft und nicht nur sein eigenes Mikrobiom, sondern auch das anderer Lebewesen um sich herum schädigt. Eine ähnliche Unsitte sind die Plastikbehälter mit Flüssigseife, die seit einiger Zeit die altbekannten Seifenstücke abgelöst haben, weil sie angeblich hygienischer sind. Das Gegenteil ist der Fall. Mikroben fühlen sich auf Plastik sehr wohl. Es gibt Studien darüber, daß Plastikbretter, wie sie in manchen Küchen benutzt werden, 20 Minuten, nachdem sie aus der Spülmaschine genommen wurden, mit einem üppigen Bakterienrasen bedeckt sind. Dagegen sind die klassischen unlackierten Holzbretter durch ihre Gerbsäure bei Bakterien gar nicht beliebt. Es gibt Studien darüber, die ich vor Jahren mal für die Hygieneschwester in meiner Klinik ausgedruckt hatte, nachdem sie uns das große Holzbrett in der Küche weggenommen und gegen ein Plastikbrett eingetauscht hatte. Das sah nach einigen Wochen Gebrauch richtig grau und schäbig aus und jedes Mal, wenn ich darauf etwas kleinschnitt, musste ich daran denken, daß sich jetzt Mikroplastik im Essen befand. Die Hygieneschwester sagte übrigens am Ende unseres Gespräches, sie wisse gar nicht mehr, was sie glauben solle. Vielleicht einfach mal selber denken?

Ich benutze immer noch die guten alten Seifenstücke, sowohl für die Hände als auch unter der Dusche. Die sind alkalisch und bei Bakterien deshalb unbeliebt. Ganz toll finde ich übrigens Alepposeife, weil die einen so feinen Schaum bildet und meiner Haut gut tut. Meine Haare wasche ich mit Lavaerde und spüle mit Brennnesseltee, dem ich einen Schuss Essig zugesetzt habe und meine Zähne putze ich mit Tabs ohne Fluor. Meine Gesichts- und Körperpflegeprodukte habe ich im Lauf der Jahre immer mehr reduziert: ein wenig neutrale Lotion für mein Gesicht, das ich lediglich mit klarem Wasser wasche. Zum Abschminken nehme ich Olivenöl. Ich benutze kein Deo und im Sommer, wenn ich schwitze, pudere ich mir ein wenig Natron in die Achseln. Körperlotion nehme ich eher selten. Es gibt allerdings einen Nachteil: da ich so lange mit Gesichts- und Körperlotion auskomme, werden sie irgendwann ranzig.

Dr. P., den ich Anfang der Woche aufgesucht habe, war der Meinung, ich habe kein Covid gehabt. Er hat das kinesiologisch getestet und ich weiß, daß er eine hohe Treffsicherheit hat. Er meint, daß mein „Zentralrechner“ dafür gesorgt habe, daß ich mal für ein paar Tage aus dem Verkehr gezogen werde, damit ich zu Ruhe komme. Vielleicht hat er Recht; ich hatte wirklich viel um die Ohren in der letzten Zeit. Ja, Körper sind in der Regel klüger als Gehirne.

Gestern und heute habe ich im Garten gearbeitet: den letzten Rest alten Kompost gesiebt und um die Obstbäume verteilt und den Platz für den neuen Kompost mit der Sense von Wildwuchs befreit. Dabei hörte ich den Raben zu, die sehr aufgebracht zu sein schienen. Dann sah ich einen schönen Milan, der ganz in meiner Nähe im Sturzflug über das Feld schoss, verfolgt von einer zeternden Rabenfamilie. Ich freue mich, daß es wieder Raben gibt. In meiner Kindheit und auch später kannte ich sie nur aus Erzählungen meines Opas, der als Kind einen zahmen Raben gehabt hatte, und aus Märchen. Meinen ersten richtigen Raben sah ich 1994 im finnischen Teil von Lappland auf einem kahlen Baum. Über ihm saß ein Steinadler. Seit ich in Schleswig-Holstein lebe, sehe ich ständig Raben und freue mich über ihre akrobatischen Flugkunststücke und  vielfältigen Laute. Sie sind so lustige und freche Gesellen.

Neues Jahr

Für mich hat gestern ein neues Jahr begonnen: vor 71 Jahren wurde ich geboren. Manchmal finde ich es unglaublich, daß ich so lange durchgehalten habe. Und was habe ich alles in dieser langen Zeit erlebt. Ich habe nicht den Ehrgeiz unsterblich zu sein, aber die nächsten Jahre möchte ich gern noch erleben und so gut wie möglich genießen. Ich kann von mir sagen, daß ich ein wenig gelassener geworden bin, aber altersmilde werde ich wohl nicht mehr werden.

Ich hatte nichts geplant und auch nichts für eventuelle Besucher vorbereitet. Aber ein Kuchen musste schon sein. Das ist einfach Tradition. Geholfen hat mir der fünfjährige Nachbarjunge, der ab und zu, oft auch mit seiner etwas älteren Schwester, vorbeikommt. Während ich den Teig rührte, hat er Eier aufgeschlagen und nach und nach Mehl in die Rührschüssel geschaufelt. Dabei haben wir uns sehr angeregt unterhalten. Ich war fasziniert über sein phänomenales Gedächtnis. Wann verschwindet das eigentlich? Von schriftlosen Völkern sagt man, daß die Menschen bis ins hohe Alter so ein Gedächtnis haben. Lesen und Schreiben haben wohl keine günstigen Auswirkungen auf unsere Gedächtnisleistung. Ich denke aber, daß auch das zunehmende Vollgemülltwerden mit Informationen keine gedächtnisfördernde Sache ist. Man stumpft einfach ab bei der Flut an irrelevanten Informationen.

Gestern morgen bekam ich den ersten Geburtstagsanruf und so ging es bis zum Nachmittag weiter. Gegen elf Uhr schaffte ich es dann, endlich zu frühstücken. Ich beklage mich nicht; ich war eher verwundert über die Menge an Anrufen und habe mich natürlich sehr gefreut. Abends kam dann noch die liebe B. als Überraschungsgast und wir machten es uns am warmen Ofen gemütlich.

Vorgestern holte ich meine Nähmaschine raus, die ich seit der letzten Reparatur im Sommer nicht mehr benutzt hatte. Sie nähte ein paar Minuten einwandfrei, dann verweigerte sie den Zickzackstich. Meine technischen Fertigkeiten reichten nicht aus, um den Fehler zu beheben. Schlecht gelaunt beschloss ich, am nächsten Tag, meinem Geburtstag, nach Kiel zu meinem bewährten Nähmaschinenreparateur zu fahren. In der Nacht wachte ich auf und konnte nicht mehr einschlafen, weil ich ständig an die Nähmaschine denken musste. Sie ist fünfzig Jahre alt, erkennbar am damals topmodischen 70er-Jahre Orange, und war ein Geschenk meiner Eltern zur Geburt meines Sohnes. So solide Maschinen gibt es heute nicht mehr. Meine Erfahrung mit elektrischen Geräten ist, daß sie nach spätestens 15 Jahren entsorgt werden müssen, etliche kommen noch nicht mal auf zehn Jahre. Ich wollte mich also von dieser Maschine ungern trennen. Andererseits hatte ich sie in den letzten Jahren einige Male zur Reparatur und es stellte sich die Frage, ob sich Kosten und Aufwand noch lohnen. Im Dunkel meines Schlafzimmers kam ich irgendwann zu der Entscheidung, daß ich mir eine neue Maschine leisten werde. Es ist eher unwahrscheinlich, daß sie mich überleben wird, aber einige Jahre möchte ich gern noch nähen. Gelernt habe ich übrigens auf einer Nähmaschine, die mit den Füßen betrieben wurde, nicht mit Strom. Das geht genauso einfach wie bei einer elektrischen Maschine. Nachteil ist der Platzbedarf.

Hexenring in meinem Garten

Zur Zeit lese ich das neueste  Buch von Tyson Junkaportas, einem australischen Aboriginal, dessen erstes Buch Sandtalk ich vermutlich schon erwähnt habe. Es ist bis jetzt nur auf Englisch verfügbar und hat den Titel „Right Story, Wrong Story“. Ich bin wieder sehr angetan. Wie in seinem ersten Buch nutzt der Autor eine  Gesprächsmethode seiner Vorfahren, das Yarnen. Ich vermute, daß sich dieses Wort vom englischen yarn (Garn) ableitet. Damit erinnert es mich an die deutsche Ausdrucksweise „Geschichten spinnen“ und ein Wort wie „Gesprächsfaden“, bei denen es ja auch um Garn geht. Diese Gesprächsmethode hat es sicher auch bei uns mal gegeben. Im Zeitalter der cancel culture, des betreuten Denkens und des woken Sprachfaschismus verschwindet sie mehr und mehr. Yarnen bedeutet, daß Menschen zusammen sitzen (bei Yunkaportas wohl eher virtuell, da er mit Indigenen aus aller Welt yarnt) und jeder, der etwas zu einem Thema zu sagen hat, spricht es aus. Die anderen hören zu. Jede Ansicht ist gleich gültig, keine wird als falsch abklassifiziert. Es ist einfach ein Zusammentragen von verschiedenen Sichtweisen. Ach, wie sehr wünsche ich mir das auch für unsere Kultur!