Die Verwandtschaft der Arten

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Zur Zeit lese ich ein Buch, auf das ich Dank der Oya aufmerksam geworden bin: Unruhig bleiben – die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän von Donna J. Haraway. Ich bin erst beim zweiten Kapitel, finde es aber jetzt schon äußerst spannend. Die Autorin, Biologin und Denkerin benutzt eine eigenwillige Sprache, die eine gewisse Zeit des Eingewöhnens abverlangt, aber in sich schlüssig ist. Mir gefällt neben ihrem radikalen Wortverständnis (sie geht den Worten wirklich an die Wurzel und die Übersetzerin leistet Großes, um das ins Deutsche zu bringen. Ein Beispiel: Art-Genosse, im Originaltext companion species, als die Wesen, mit denen ich zusammen esse – Companion ist etymologisch der, mit dem ich mein Brot teile) ihre Fähigkeit, Fäden zu spinnen zu so unterschiedlichen Denker*innen, Schriftsteller*innen, Künstler*innen und Aktivist*innen wie Karl Marx, Isabelle Stengers, Lynn Margulis, Starhawk, Ursula K. Le Guin, der – von mir sehr geschätzten – Annie Sprinkle und vielen anderen mehr. Zugleich spinnt sie verschiedene Disziplinen zusammen: Biologie, Soziologie, Feminismus, Kunst, Philosophie usw. Ihr Vorgehen nennt sie Fadenspiele (engl.: cat’s cradle, franz.: jeux de ficelle), bei denen mit einem Faden und zehn Fingern Muster gebildet werden, die an ein zweites oder beliebig viele Paar Hände gereicht und dort weiter gesponnen werden. Dabei ist sie persönlich, humorvoll und inspirierend. Eine kleine Leseprobe:

„Das Humane als Humus hat Potenziel, wenn es gelingt, das Humane als Homo zu zerhacken und zu zerschreddern, dieses stagnierende Projekt eines sich selbst erzeugenden und den Planeten zerstörenden Unternehmers. (…) Die ökosexuellen Künstlerinnen Beth Stephens und Annie Sprinkle haben einen Autoaufkleber für mich (…) gemacht: ‚Composting is so hot!‘ “

So, jetzt wird es Zeit fürs Ahn*innenfest. Meine Ahn*innen befinden sich sowohl in der menschlichen als auch in der mehr-als-menschlichen Welt: Mineralien, Bakterien, Flechten, Pflanzen, Tiere und viele mehr. Ihnen allen wird dieser Abend gelten.

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Der Himmel vor dem Dunklen Fest

 

Ein schöner Tag

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Samstag waren I. und ich in der Sauna. Die Sonne schien, so daß wir draußen im Garten liegen konnten. Ich mag die finnische Sauna mit ihren 90°C am liebsten, anschließend ging es ins eiskalte Tauchbecken oder ich spritzte mich mit dem Schlauch ab. Wenn es nicht so ein Aufwand wäre, täte ich das öfter. Anschließend gab es Apfelkuchen und Kaffee bei ihr zu Hause.

Wir sprachen über die Nachwirkungen des Urlaubs. I. meinte, es sei wie ein Reset für sie gewesen: ganz viel Ruhe, wenig neue Impulse, viel schlafen, viel träumen. Mir hat der Urlaub durchaus neue Impulse gebracht und und ich konnte ihnen in Ruhe nachspüren. Ich habe immer noch das Gefühl, voll auf meine Kosten gekommen zu sein: so soll Urlaub sein.

Wir unterhielten uns auch darüber, daß es nun schon der dritte gemeinsame Urlaub ist. Wie einfach es mit ihr ist! Es liegt wohl daran, daß jede die Freiheit hat, alles zu machen, was sie will. Auch unsere unterschiedlichen Biorhythmen waren kein Problem: während ich als Nachtmensch selten vor Mitternacht ins Bett kam, dafür aber morgens als erste auf war, ging sie früh ins Bett und stand auf, wenn der Frühstückstisch gedeckt war. I. brachte es so auf den Punkt: „Ich muss bei dir nie das Gefühl haben, daß du allein irgendwo rumsitzt und ich mich eigentlich jetzt mit dir beschäftigen müsste. Ich kann mir meine eigenen Bedürfnisse erfüllen und brauche keine Verantwortung für dich zu übernehmen.“ So sehe ich es auch. Welche Freiheit!

Unsere Ansprüche an Sauberkeit und Ordnung liegen nicht weit auseinander, so daß sich nie das Gefühl einstellte, eine mache mehr als die andere. Und auch das Kochen war einfach: mal kochte die eine, mal die andere, mal arbeiteten wir uns gegenseitig zu. Das geschah immer ohne großen Plan, einfach so wie es sich ergab. Wir haben uns wie auch zu Hause überwiegend vegetarisch ernährt und fanden beide, daß wir sehr gut gegessen haben.

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Goldener Oktober

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Letzte Woche hatte ich Besuch von meiner Tochter. Sie war gerade mit einer derben Erkältung aus Schottland zurück gekehrt. Am Donnerstag wachte ich mit Halsschmerzen auf. Ich dachte: wird schon nicht so schlimm werden. Aber abends fühlte mich dann doch krank. Ich hätte ab Freitagabend Nachtdienst gehabt und hatte keine Lust zum Arzt zu gehen und mich krank zu melden. Aber ich habe schon mal die Erfahrung gemacht, daß ich einen Nachtdienst abbrechen musste, weil ich einfach nicht mehr konnte. Also rief ich auf der Station an, um anzukündigen, daß sie für mich einen Ersatz suchen müssten. Am nächsten Tag ging ich in die Selenter Praxis und hatte mit dem Arzt zu tun, der mich Weihnachten wegen der Gürtelrose krank geschrieben hatte. Auch dieses Mal machte ich gute Erfahrungen mit ihm (das muss ich mal sagen, da ich so große Vorbehalte gegenüber Medizinern habe). Er ist halt noch einer vom alten Schlag: positiv fand ich schon mal, daß er mir sowohl am Anfang als auch zum Abschied die Hand gab. Das ist heute nicht mehr unbedingt üblich, weil man sich ja anstecken könnte. Er fragte einmal kurz nach, wie es denn mit einer Grippeimpfung wäre. „Nein danke“, sagte ich, „ich bekomme alle zehn bis zwanzig Jahre eine richtige Virusgrippe und habe keine Veranlassung, mich impfen zu lassen.“ Er versuchte nicht, mich zu überzeugen, was auch für ihn sprach und sagte dann nur: „Na, Sie haben eine gute Abwehrlage.“ Das Wort Abwehrlage habe ich schon lange nicht mehr gehört. Heute sprechen ja alle nur noch vom Immunsystem. Wie auch immer, es erinnerte mich irgendwie an früher, an die alten Hausärzte, die noch ihre Sinne beieinander hatten und bei denen eine sich gut aufgehoben fühlte. Zum Schluss sagte er: „Legen Sie sich ins Bett.“

Das tat ich aber nicht. Ich setzte mich mit meinem Kaffee in die Sonne und dachte darüber nach, was ich mit der vielen freien Zeit alles machen könnte. Da fiel mir so einiges ein, im Haus und im Garten. Und dann musst ich lachen, denn ich ertappte mich bei meinem alten Muster, zu machen und zu tun. Ich war krank und deshalb gab es für mich nichts anderes zu tun, als meinem Körper nicht im Weg zu stehen, während er sich mit den Viren beschäftigte. Also saß ich weiter in der Sonne, trank Kaffee, las die neue Oya, in der es um Landbau ging, strickte, sah der Katze beim Erkunden des Gartens zu, döste, schaute mit geschlossenen Augen in die Sonne und lauschte den vielen Geräuschen. Gedanken kamen und gingen, es gab nichts zu tun, keine Verpflichtungen, keine Notwendigkeiten. Irgendwann war ich sehr müde und legte mich ins Bett. So ging es auch am Samstag und Sonntag. Gestern sah ich den Film Code of Survival – Die Geschichte vom Ende der Gentechnik von Bertram Verhaag. Da wurden u.a. Szenen von der ägyptischen Sekem-Farm gezeigt. Ibrahim Abouleish hat sie vor einigen Jahrzehnten in der Wüste angelegt, indem er zunächst Bäume als Windschutz, Wasserspeicher und Mulchlieferanten pflanzte. Die Farm ist nach anthroposophischen Prinzipien angelegt und es gibt mittlerweile ein weiteres Projekt in der lybischen Wüste. Gut gefallen hat mir der Mann, der  mit Dung gefüllte Kuhhörner ausgrub und daraus ein Präparat rührte (wohl das bekannteste biologisch-dynamische Präparat). Er erzählte, warum er mal rechts, mal links herum rührte und daß alles, was währendessen in seinem Kopf rumging, mit einfließen würde. Dabei lachte er ganz verschmitzt.

Neu war mir, daß Glyphosat Pflanzen daran hindert, Mineralstoffe und Spurenelemente aus dem Boden aufzunehmen, was zu einem zunehmenden Mangel an z. B. Magnesium und Selen führt. Zwischendurch traten auch Jane Goodall und Vandana Shiva auf. Jane Goodall ist der lebendige Beweis, daß eine alte Frau durchaus immer noch schön sein kann. Ihr Gesicht ist so klar, so lebendig, so ausdrucksstark – einfach faszinierend.

Heute fühlte ich mich wieder ziemlich fit. Ich pusselte im Garten herum und hatte richtig Spaß dabei. Abends ging ich bei wunderschönem goldenen Licht zu meinem Platz an der alten Buche. Wie so oft, wenn ich mir Muße erlaube, fangen irgendwann der Garten und die Landschaft an zu mir zu sprechen. Als ich über den pestizidgetränkten Acker zurückging, konnte ich erkennen, daß die Erde dort praktisch tot ist.

Es wird Zeit, daß die Landwirtschaft sich vollständig verändert.

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Dankbar

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Mein winziger Quittenbaum hatte so viele Früchte  zu tragen, daß ich um seine dünnen Äste fürchtete. Jetzt habe ich sie gepflückt und im Schlafzimmer aufs Regal gelegt. Von dort beduften sie den ganzen Raum. Ja, trotz der sommerlichen Dürre kann ich jetzt recht viel ernten. Ich esse jede Woche Mangold in verschiedensten Zubereitungsformen. Die Stangenbohnen, die sich am Bantammais hochranken, tragen gut, Endivien und Rote Bete haben sich ordentlich entwickelt. Und heute entdeckte ich eine neue Blüte am Holsteiner Cox – im Oktober! Das Erntedankfest, das in der Kirche gefeiert wird, ist wie die meisten anderen ein ursprünglich heidnisches Fest. Natürlich waren Menschen dankbar, wenn sie am Ende des Sommers viel zu essen und einzulagern hatten. Dankbarkeit kann wie alle Gefühle nicht eingefordert werden, aber man kann sie kultivieren. Ein einfaches Ritual hat mich vor elf Jahren vorm seelischen Absturz nach der Trennung von meinem Mann bewahrt: jeden Tag habe ich den Tag rekapituliert und mindestens drei Dinge oder Begebenheiten gefunden, für die ich dankbar war. Dabei habe ich rausgefunden, daß es  viel gibt, für das ich dankbar sein kann und daß das allein schon gute Stimmung macht. Mittlerweile geschieht es oft von selbst. Zum Beispiel sah ich neulich nachts in den klaren Sternenhimmel mit der Milchstraße und plötzlich fühlte ich mich so dankbar, weil ich auf einer so wundervollen Planetin in einer so spannenden Zeit lebe.

Richtig gefreut habe ich mich gestern, als ich im Radio hörte, daß das OVG Münster (ha, meine alte Heimat) einen sofortigen Rodungsstop für den Hambacher Forst verhängt hat. Großartig! RWE hat eine fette Packung gekriegt und im Hambacher Forst haben 50.000 Menschen ein großes Fest gefeiert. Braunkohle braucht keiner, aber Wälder brauchen wir alle, im Zeitalter des Klimawandels mehr denn je. Leider ist übrigens Strom aus Solaranlagen und Windrädern auch nicht wirklich eine Alternative. Die Herstellung dieser Technologien ist alles andere als ökologisch verträglich und auch dafür werden ganzen Landstriche verschandelt. Es hilft nichts: alles läuft auf eine drastische Reduktion des Stromverbrauchs hinaus.

Gestern machte ich bei bestem Wetter mit M. einen schönen Spaziergang am Sehlendorfer Strand. Sie zeigte mir einen uralten Weißdorn, der mich an die Geschichte vom verzauberten Merlin und die Fee Viviane im Wald von Brocéliande in der Bretagne denken ließ.

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