Nachhaltig?

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Im Blog von Werner (ich freue mich, Werner, daß dir mein letzter Post gefallen hat!) habe ich die Kopie eines Leserbriefs aus der österreichischen Kronenzeitung gefunden, die sich kritisch mit Fridays for Future auseinandersetzt: www.traumlounge.wordpress.com vom 3.10.2019 (ist die Kronenzeitung nicht das österreichische Pendant zur Bildzeitung?). Der Schreiber fühlt sich offensichtlich persönlich angegriffen und erzählt, wie er unter einfachsten Verhältnissen in den 50er Jahren klimafreundlich gelebt hat, einfach weil seine Familie arm war. Dann konfrontiert er die heutigen Jugendlichen mit ihrem verschwenderischen Lebensstil.

Für einen ganz kurzen Moment habe ich gedacht: Ja! Aber im nächsten Moment habe ich den Denkfehler der Argumentation gefunden: Ich bin drei Jahre nach dem Leserbriefschreiber geboren, also acht Jahre nach dem Kriegsende. Bis zum Beginn meiner Schulzeit hatten wir weder Waschmaschine noch Kühlschrank, kein Telefon und kein Auto, dafür aber wie alle Haushalte eine Speisekammer, es gab keine elektrischen Küchengeräte, keinen Fernseher (den gab es auch später nicht, aus prinzipiellen Erwägungen meiner Eltern). Abends wurden Gesellschaftsspiele gespielt oder wir haben gelesen, gemalt, gebastelt, Geschichten erzählt, genäht, gestrickt, gehäkelt. Die Klamotten von meinem Bruder und mir wurden von meiner Oma und meiner Mutter genäht und gestrickt. Kaputte Kleidung wurde geflickt, Socken wurden gestopft (was ich auch jetzt noch mache, jedenfalls bei selbstgestrickten Socken). Wir haben ab und zu gebadet, ansonsten war jeden Tag Waschen am Waschbecken mit kaltem Wasser angesagt (damit habe ich seit dem Survivaltraining 1993 in Schweden wieder angefangen. Ich dusche nur noch alle vier Tage, dann natürlich warm). Milch wurde in einer Milchkanne aus Blech vom Milchladen geholt, da gab es auch Quark, der hieß Schichtkäse und wurde in Papier gewickelt. Fleisch und Fisch gab es nicht täglich, Lebensmittel holte meine Mutter aus der Markthalle in Hannover, alles konnte man lose kaufen. Man nahm halt Taschen und Einkaufsnetze mit. Es gab keine in Plastik verpackten Sachen. Das meiste kam aus der Region, nur im Winter wurden Orangen und Bananen angeboten. Soweit so nachhaltig (ich finde ja das durch die Oya kreierte Wort „enkeltauglich“ besser). Aber wir haben, wie wahrscheinlich die allermeisten Haushalte mit Kohle geheizt.  Ich nehme an, daß das auch beim Leserbriefschreiber so war. Damals war das Ruhrgebiet, wo die Kohlen herkamen, eine legendär versmogte Region in Westdeutschland. Die Luft war so dreckig, daß im Winter eine schwarze Schicht auf dem Schnee lag, wie man mir erzählte.

Aber dann kam das sogenannte Wirtschaftswunder und damit die Autos, die Kühlschränke, die Fernseher, die elektrischen Geräte usw. Und alle, die es sich irgendwie leisten konnten, machten mit und kauften und kauften. Das wird auch beim Schreiber des Leserbriefes nicht anders gewesen sein. Was ich damit sagen will: unsere Generation ist eben doch mitverantwortlich für den Klimawandel. Ich rede nicht von Schuld. Nach meiner Erfahrung führen Schuldzuweisungen nicht dazu, daß irgendetwas besser wird. Mir ist das Konzept der Verantwortung sympathischer, denn da geht es darum, daß Antworten auf Fragen gefunden werden: Wie ist es dazu gekommen, daß wir heute am Rande des Abgrunds stehen? Was kann ich tun? Und in meinen Augen noch viel, viel wichtiger: was kann ich lassen? Und da fällt mir immer noch wieder was Neues ein, was ich persönlich lassen kann und das macht mich jedes Mal ziemlich zufrieden.

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Ich würde übrigens gern auf den Kühlschrank verzichten. Aber meine bisherigen Versuche, zu kühlende Lebensmittel draußen in einer isolierten Kiste zu lagern, waren wenig erfolgversprechend. Im Winter sind mir dann doch Sachen eingefroren. Eine Speisekammer wäre schön, aber diese sinnvolle Einrichtung existiert in neuen Häusern leider gar nicht mehr und im Zuge der Wärmedämmung sind die Speisekammern in den alten Häusern unbrauchbar gemacht worden. Sehr bedauerlich!

In der letzten Oya las ich in einer Rezension von Ute Scheub zu Paul Hawkens Buch Drawdown – der Plan Folgendes:

„Folgt man dem Ranking von Hawkens Team, ist die wirksamste Maßnahme 〈den Klimawandel zu stoppen〉 der Verzicht auf Fluorkohlenwasserstoffe (FKW), der zu einer Reduktion  von fast 90 Gigatonnen Treibhausgasen führen würde. Diese Kältemittel ersetzten die ozonzerstörenden FCKWs in Kühlschränken und Klimaanlagen, sie seit dem Abkommen von Montreal 1987 nicht mehr verwendet werden, sind jedoch 1000- bis 9000-mal klimaschädlicher als CO2. Hier wurde also der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.“

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Was wir verlieren

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Mein neues Gewächshaus: ein Traum, weil aus Glas und nicht aus Scheißplastik, geschenkt von der lieben I., die es nicht mehr braucht und bei ihr abgebaut und bei mir wieder aufgebaut von meinem Lieblings-Exkollegen H. und seinem handwerklich überaus begabten Kumpel T. Einige Scheiben fehlten; die hat ein Glaser in Preetz neu zugeschnitten, und ich habe sie eingesetzt.

Heute war es schön sonnig und kühl und ich habe das letzte Stück Garten mit der Sense gemäht. Ich habe noch nie Nordic Walking praktiziert aber gehört, daß es ganz wunderbar die Lunge weitet, wenn es richtig gemacht wird. Nachdem ich jetzt einige Jahre mit der Sense arbeite und mir das von Jahr zu Jahr leichter von der Hand geht und ich allmählich im wahrsten Sinne des Wortes den Bogen raushabe, kenne ich dieses gut durchlüftete Gefühl im Brustkorb nach einer Stunde Sensen. Es ist nicht nur toll zu sehen, was ich geschafft habe, ich fühle mich danach auch jedes Mal so energiegeladen und angenehm durchtrainiert, daß es eine Freude  ist.

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Aus dem Radio erfuhr ich heute, daß das Internet 50 Jahre alt ist. Das Internet finde ich vom Prinzip her eine feine Sache. Es kommt halt drauf an, wie eine es nutzt. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich im Internet verlieren. Wenn ich zu Hause bin, rufe ich fast täglich meine Mails ab. Wenn ich auf Reisen bin, lese ich keine Mails und nichts fehlt mir. Ich finde es gut, ab und zu unerreichbar zu sein. Ich gehe ja auch nicht immer ans Telefon. Wer was von mir will, kann meine Anrufannehmerin benutzen. Eine Krankheit finde ich die WhatsApp-Kommunizierei, so wie ich sie in meinem Umkreis oft mitkriege. Ich möchte wirklich nicht den ganzen Tag über jeden Furz informiert werden, den meine Freund*innen von sich geben.

Gänzlich überflüssig finde ich die Navis, die immer mehr Leute in ihren Autos haben. Ich kenne Menschen, die nicht in der Lage sind, Karten zu lesen. Was ich an Navis nicht mag: erstens trägt ihre Produktion dazu bei, daß die Erde noch mehr durch den Abbau von Seltenen Erden zerstört wird; zweitens führt ihr Gebrauch dazu, daß der menschliche Orientierungssinn verkümmert. Und das Traurige ist, daß wir nicht merken, was uns fehlt. Ja, es kann passieren, daß ich mich verfahre, wenn ich mit dem Auto in unbekanntem Terrain unterwegs bin oder mich so mit eventuellen Beifahrer*innen verquatsche, daß meine Aufmerksamkeit darunter leidet. Ob ein Navi das verhindern würde, bezweifle ich; ich würde es wahrscheinlich überhören, wenn ich in einem interessanten Gespräch bin. Manchmal halte ich rechts an und schaue in meinen Autoatlas oder die Karte. Und es gibt zumindest in Ortschaften auch immer die Gelegenheit anzuhalten und Menschen nach dem Weg zu fragen. Als I. und ich letztes Jahr in Lappland waren, haben wir den ganzen langen Weg ohne Probleme nach Karte zurückgelegt. Vor der Fahrt haben wir gemeinsam die Route geplant.

Vor einigen Wochen ist die Bundesstraße zwischen Selent und Bellin wegen Straßenarbeiten gesperrt. Als das anfing, fuhr ein stetiger Strom von Autos durch das Dorf, an meinem Haus vorbei und unter Missachtung des Durchfahrt-verboten-Schildes durch den Wald. Das war nicht die ausgeschilderte Umleitung (die war den Leuten zu lang), sondern die Empfehlung von Google, wie sich herausstellte. Es war klar, daß der schmale unbefestigte Weg diesen Ansturm an Fahrzeugen nicht aushalten würde. Nach nur einem Tag war er schon ruiniert. Die Schlaglöcher, die ich bisher umfahren konnte, haben sich vervielfacht. Mittlerweile stehen an mehreren Stellen Sackgassenschilder, aber auch die werden noch gelegentlich ignoriert. Dann wenden Autos direkt vorm Haus und kratzen mit ihren Reifen tiefe Löcher in den Weg. Das sind Gelegenheiten, wo ich Autofahrer*innen richtig hasse, obwohl ich doch selbst eine bin.

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Ich bin nicht per se Technikfeindin. Es ist mir aber ein großes Anliegen, daß ich und möglichst viele Menschen wieder Zugang zu unseren durch Nichtbenutzung verkümmerten Sinnen und damit zu unserer inneren und äußeren Natur finden. Wenn wir uns abhängig von Smartphones und ihren diversen Apps, von Navis, elektrischen Küchengeräten, selbstfahrenden Autos (die Vorstellung ist für mich schon ein Alptraum), Siris, Alexas usw. fühlen, sind wir schon den Apologeten des Wirtschaftswachstums auf den Leim gegangen. Vieles geht gut mit der Hand: Sahne schlagen geht mit einem handbetriebenen Rührquirl in exakt der gleichen Zeit wie mit einem elektrischen Küchengerät (habe ich ausprobiert). Eischnee kann man prima mit einer Gabel in einem Suppenteller steif schlagen. Das sind nur zwei Beispiele. Der Nebeneffekt ist, daß wir unsere Arbeitsmuskeln trainieren und damit im Alter weniger osteoporosegefährdet sind. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, daß körperliche Arbeit zufrieden macht und zu einem guten Schlaf führt.

Ahninnenfest

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Vor einigen Wochen hatte ich das Bedürfnis, das Ahninnenfest mal wieder mit Anderen zusammen zu feiern. Ich lud einige Freundinnen ein, die ich gern dabei haben wollte, und sie kamen. Es war richtig schön! Wir feierten dieses Mal nicht draußen und die rituellen Formen hielten sich in Grenzen. Wir bauten einen schönen Altar mit Fotos und Symbolen. Dann trugen wir zusammen, wie wir das Fest gestalten wollten. Nachdem wir mit dem Begrüßen der sechs Richtungen und Räuchern mit Salbei den heiligen Raum geschaffen hatten, erzählte jede etwas zu den Gestorbenen aus ihrem Kreis: was wir ihnen verdanken, aber auch Schwierigkeiten, die wir im Kontakt mit ihnen hatten. Das war sehr interessant. Mir wurde klar, daß es die sogenannte heile Familie kaum gibt. In wohl fast jeder Familie gibt es Tabuzonen, Dinge über die nicht gesprochen wurde, Lügen und Vertuschungen, die auf die Dauer zu vermeintlich unverständlichen Störungen im familiären Gefüge führen. In diesem Zusammenhang machen meines Erachtens Familienaufstellungen durchaus Sinn, um Licht ins Dunkel zu bringen (aber bitte nicht nach Hellinger: ich habe mal Vorträge von dem auf CD gehört, da ist mir schlecht geworden. So ein eingefleischt patriarchaler Typ!) Sehr gefreut habe ich mich, daß auch gestorbene Tiere anwesend waren: meine kleine Skadi und der Hund einer Freundin.

Wir haben gesungen und anschließend die Leckereien gegessen, die jede mitgebracht hat. Ein Teller war für die Ahninnen, den habe ich später in den Knick gestellt.

Außer von meinem Vater, Norbert und Skadi habe ich auch von Ute Schiran erzählt. Ich bin ihr so dankbar für das, was ich durch sie bekommen habe und sie ist seitdem immer in meinem Herzen. Heute habe ich viel an sie gedacht und mal wieder in ihren Küstensaum der Zeit kreuz und quer gelesen. Sie war schon eine Wissende!

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Auf meinem Spaziergang durch Wald und Feld traf ich keine Menschenseele. Dafür wurde ich aber Zeugin der Damhirschbrunft. Die Hirsche mit ihren mächtigen Geweihen geben den ganzen Tag und auch nachts sehr laute grunzende Brunftlaute von sich. Leider widersetzten sie sich meinen fotografischen Bemühungen. Auch die Kolkraben waren schneller als ich mit meiner Kamera.

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Ich wurde zweimal von einem heftigen Schauer überrascht, bekam aber zum Trost auch zweimal einen Regenbogen zu sehen.

Zur Zeit lese ich ein sehr interessantes Buch, das mir mein Nachbar T. geliehen hat: Siegfried und Kriemhild von Jürgen Lodemann, die Nibelungensage in Romanform. Lodemann hat sehr viel recherchiert und historische Quellen verglichen. Angenehmerweise hat er die Anmerkungen in roter Schrift in den Text eingefügt, so daß eine nicht ständig im Anmerkungenteil blättern muss. Er stellt sehr deutlich den geschichtlichen Hintergrund dar: die im Untergang befindliche Römerherrschaft ebenso wie die grausamen Missionierungen der Kirche. Deutlich wird, wie wenig die kirchlichen Lehrmeinungen und Dogmen mit den Lehren und der offensichtlich lebensfrohen Persönlichkeit des Nazareners zu tun haben. Es ist immer dasselbe: sobald die Lehren einer Person zur Schaffung einer Institution benutzt werden, führt das in eine lebensfeindliche geistige Monokultur. Mit der Darstellung der germanischen Mythologie bin ich allerdings nicht einverstanden: da wird Freya als Tochter von Thor dargestellt. Das ist schlicht falsch und macht keinen Sinn.

Panik

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Ich möchte mich an dieser Stelle mal zu den letzten Blogeinträgen von Luisa Francia auf salamandra.de äußern. Ich stimme ihr in einigen Sachen zu: daß wir unseren Lebensstandard nicht halten können (so oder so wird er zu Asche, wenn der Klimawandel noch einen Zahn zulegt – und alles deutet darauf hin, daß er das tun wird) und daß Elektroautos und ähnliche Spielereien keine Lösung sind, nicht nur wegen der Ausbeutung der Menschen in den Ländern mit den seltenen Erden, sondern auch, weil die Herstellung extrem klimaschädlich ist (im Übrigen fahren jetzt schon zuviele Autos durch die Landschaft). Und wie sie glaube auch ich, daß eine starke Verbindung mit der Natur notwendig ist. Ich möchte noch hinzufügen, daß es ums Große Ganze geht. Und das Klima ist nur ein Teil davon. Natürlich ist der Klimawandel eine Folge des Patriarchats und des durch ihn hervorgebrachten Kapitalismus. Daß sich alles ändern muss, damit wir und die anderen Wesen noch weiterhin auf unserer wunderschönen Planetin leben können, hat in meinen Augen Charles Eisenstein am besten auf den Punkt gebracht. Er drückt das mit einer herzöffnenden Freundlichkeit aus: keine Schuldzuweisungen, keine Moralpredigten, wohl aber offener Schmerz über all das, was unwiderbringlich durch menschliches Handeln vernichtet wurde.

Luisa ist genervt von der Panikmache und wirft den Fridays for Future-Kids vor:  „Die schuldzuweisung an die älteren generationen finde ich arrogant und dumm.“ Da regt sich bei mir Widerspruch. Ich erinnere mich noch gut, welche Schuldzuweisungen ich als 16jährige meinen Eltern gemacht habe: daß sie sich nicht gegen Hitler gestellt haben, daß mein Vater sich nicht geweigert hat, als Soldat in den Krieg zu gehen. Ich war sehr, sehr streng. Als mein Vater sagte, er wäre erschossen worden, wenn er sich verweigert hätte, habe ich gesagt: „Na ja, das hätten sie mit 1000 machen können, aber nicht mit 10.000.“ Indirekt habe ich meinem Vater damit vorgeworfen, daß er nicht sterben wollte. Ich war damals sehr selbstgerecht und kaltschnäuzig. Mein Vater hat übrigens dazu geschwiegen. Er ist als traumatisierter Mensch aus dem Krieg gekommen, hat nie über seine Erlebnisse gesprochen, hat immer massive Schlafstörungen gehabt und den größten Teil seines Lebens haben Schlaftabletten und später auch Alkohol eine große Rolle gespielt. Ich finde es nachvollziehbar, daß ein junger Mensch im Angesicht der drohenden Vernichtung des Lebendigen auf der Erde den Erwachsenen Vorwürfe macht, mit Dummheit hat das nichts zu tun. Wenn Greta Thunberg sagt: „I want you to panic…“, dann drückt sie ihre eigene Panik angesichts der Szenarien des Klimawandels aus. Zumal ja anscheinend viele Erwachsene dieses Thema ignorieren. Schon klar, daß Panik eine schlechte Ratgeberin ist. Ich verlange aber nicht von Greta Thunberg, daß sie das schon weiß. Diese Bewegung ist nicht homogen, etliche in ihr sympathisieren mit den Grünen, andere wiederum sehen sehr klar, daß die Grünen genauso wenig ein wirksames Konzept haben wie unsere derzeitige Regierung. Daß Jugendliche sich von Mama zu den Demos kutschieren lassen, stammt offensichtlich aus der Feder von Dieter Nuhr. Wenn der jeden Mittwochvormittag seine Redezeit auf meinem Lieblingsradiosender NDR Info hat, schalte ich aus, weil ich ihn einfach nicht ertragen kann. Und selbst wenn es so wäre, ja, dann wäre es nicht konsequent. Aber wer solche Vorwürfe macht, muss sich auch fragen lassen: wie ist das mit deinen Flugreisen? Fährst du Auto? Isst du täglich Fleisch? Wie oft treibst du dich im Internet rum usw. usw.

Ich nehme es übrigens nicht persönlich, wenn ich als Erwachsene mit den Vorwürfen der Jugendlichen konfrontiert werde. Sie haben doch Recht. Und nein, ich finde nicht, daß jemand, der den derzeitigen Zustand kritisiert, auch eine Vision für die Zukunft haben muss, wie Luisa Francia das einfordert. Bevor Visionen entstehen können, hoffnungsvolle Bilder für die Zukunft, muss erst mal der ganze Prozess durchlaufen werden: Trauer um das Große Sterben, Wut, auch Schuldzuweisungen gehören dazu. Die ganze Palette der Gefühle muss durchlaufen und anerkannt werden. Nach meiner Erfahrung kann erst dann etwas Neues auftauchen. Und das ist dann vielleicht etwas, was bisher noch niemand denken konnte.

Wenn ein Jugendlicher anfängt zu begreifen, daß wir mit Vollgas auf unsere eigene Vernichtung zurasen, und gleichzeitig sieht, daß die Erwachsenen weiter business as usual leben, dann sind Schuldzuweisungen und Vorwürfe doch eine völlig nachvollziehbare Reaktion und absolut nicht dumm. Es ist die Leistung der Fridays for Future-Bewegung, daß sie dieses Thema in die Öffentlichkeit gebracht hat und dafür hat sie meine volle Anerkennung! Ich habe übrigens auch viel Sympathie für Extinction Rebellion. Vor vielen Monaten habe ich einen Infozettel über diese Bewegung im Bioladen gefunden und mich im Internet über sie schlau gemacht. Mittlerweile zeigen sie sich immer mehr in der Öffentlichkeit. Für Momente habe ich daran gedacht, bei ihnen mitzumachen. Letztendlich ist aber diese Form des Aktivismus und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe nichts mehr für mich, war es vielleicht nie wirklich, obwohl ich zwischen 16 und 27 Jahren politischen Gruppen angehörten, die radikale Kritik an den bestehenden Verhältnissen äußerten.

Ich tu mich gern temporär mit Menschen zusammen, wenn ich z. B. die Jahreszeitenfeste feiere und Rituale für die Erde mache. Und ansonsten mache ich das, was vor einiger Zeit in der Oya so schön ausgedrückt wurde: Ich bleibe zu Hause und kümmere mich um die Bienen. Und damit hüte ich gleichzeitig den Flecken Erde, auf dem ich lebe.

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Fließen

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Wenn ich mir meine Katze ansehe, dann bin ich sicher, daß sie keine Pläne kennt. Sie geht nicht zielstrebig durch die Landschaft; ich würde ihre Bewegungsart eher als Mäandern bezeichnen. Sie folgt ihren Impulsen, reagiert auf Bewegung oder liegt stundenlang irgendwo herum. Man könnte sagen, sie nimmt das Leben, wie es kommt. Ich hingegen, die ich mir über die Jahre einen sehr strukturierten Lebenswandel angewöhnt habe, kann ihr nur staunend zusehen. Vor eineinhalb Wochen rief mein Bruder mich an, um mir mitzuteilen, daß meine Mutter mit einem Oberschenkelhalsbruch im Krankenhaus liegt. Das warf meine schöne und gewohnte Ordnung über den Haufen. Zwar hatte ich ohnehin geplant, nach NRW zu reisen, ich hatte auch die Bahnfahrkarten schon gekauft, aber jetzt musste ich umdisponieren. Das gefiel mir nicht. Es war auch dieses Gefühl von Unsicherheit: was kommt da auf mich zu? Wird meine Mutter wieder auf die Beine kommen? Wird sie pflegebedürftig werden? Nachdem ich ein Weilchen mit der Situation gehadert hatte, beschloss ich, das Kommende als Herausforderung zu nehmen und mit dem Leben mitzufließen. Das ging dann – nicht ganz so fluffig wie bei meiner Katze – einigermaßen gut.

Glücklicherweise hat meine Mutter die OP gut überstanden. Sie brauchte auch kein neues Gelenk, sondern nur einen Nagel, um den Bruch zu stabilisieren. Nach meiner Ankunft in Münster ging ich zur Raphaelsklinik. Der Mann am Empfang konnte mir nicht sagen, auf welcher Station meine Mutter sich befand: er kämpfte mit einem Systemabsturz. Also ging ich zur Intensivstation, weil sie da einen Tag vorher gelegen hatte. Aber dort konnte man mir nicht weiterhelfen. Also wieder runter zum Empfang. Mittlerweile hatte der freundliche Mensch seinen Rechner runter- und wieder hochgefahren. Wie abhängig wir von der ganzen Elektronik sind. Und wenn die nicht mehr funktioniert, funktioniert gar nichts mehr. In meiner alten Klinik waren wir mal einen Tag lang ohne Computer und Telefon. Das Arbeiten an diesem Tag war sehr angenehm: wer was wollte, musste persönlich vorbeikommen. Das waren nicht viele.

Ich war drei Tage in Münster und lebte in der Wohnung meiner Mutter, brachte ihr die Sachen, die sie brauchte, entsorgte die verderblichen Lebensmittel aus ihrem Kühlschrank, wusch Wäsche, ging zur Bank, bestellte ihre Zeitung ab, führte Telefonate mit ihren Freundinnen. Mittwochmorgen war ich bei einer ihrer Freundinnen und ihrem Mann zum Frühstück eingeladen. Ein Nachbar bot mir an, mich zur Reinigung zu fahren, wo noch Sachen von meiner Mutter warteten. Ich fuhr jeden Tag ins Krankenhaus. Ich trank Kaffee in der Stadt, kaufte Alpakawolle bei Voilà und ging in den Dom, um für die heilige Barbara eine Kerze anzuzünden. Die Busfahrt in die Stadt kostet mittlerweile 3,30 €. Wie war es noch mit den Klimazielen der Regierung? So wird das nichts.

Dann besuchte ich meinen Sohn in Bonn, wo ich auch meine Tochter traf. Einen Abend waren wir zum Essen bei Stefans und Katharinas jüngerem Bruder und seiner Familie eingeladen. Gutes Essen, sehr lebhafte und gut gelaunte Kinder, schöne Atmosphäre. Katharina und ich waren uns anschließend einig, daß eine Patchworkfamilie wie die unsere eine feine Sache ist.

Freitag war ich dann wieder in Münster. Und Samstag fuhr ich nach Hause. Oh, wie schön ist es zu Hause zu sein!

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