Schönes und Trauriges

Draußen gewittert es

Gestern machte ich einen Gang durch die Landschaft. Der Weg hinter dem Gutsgelände ist mit alten Eichen, Kirschbäumen und Eschen gesäumt. Ich hörte ein Summen und schaute hoch: aus einem Loch in einer Esche flogen Bienen. Das hat mich sehr erfreut, zumal ich seit vielen Jahren auf der Suche nach wilden Bienen bin. Vielleicht ist es einer der Schwärme aus meinen beiden Völkern, den ich nicht einfangen konnte. Wahrscheinlich sogar, denn die wenigsten Imker lassen ihre Völker schwärmen. Die Bienen haben sich einen guten Platz ausgesucht, weil weit und breit kein Gift gespritzt wird. Viel Glück für euch, ihr lieben Bienen!

Der Weg führt zwischen zwei Teichen hindurch. Dort wurde vor einiger Zeit das Wasser abgelassen. Das habe ich bei anderen Teichen im Umkreis schon öfter gesehen, sie füllten sich aber irgendwann wieder. Ich weiß nicht, warum man das macht. Diese beiden Teiche jedenfalls sind mittlerweile knochentrocken und die Zu- und Abflüsse ebenso. Wo sind die Seeadleer, die Schwäne, die Blässhühner, die Silberreiher, die Ringelnattern, die hier alle gewohnt haben, geblieben? Ein neu aufgestelltes Schild informiert darüber, daß es Probleme beim Wiederaufstauen der Gewässer gegeben habe und man sich um Abhilfe bemühe.

Am Feldrand saß eine Krähe, die mal hier, mal da herumpickte. Sie flog nicht auf, als ich näher kam. Ich ging langsam und sie machte ein paar Hüpfer von mir weg. Als ich an ihr vorbei ging, sahen wir uns an und ich sah die Angst in ihren Augen. Offensichtlich konnte sie nicht fliegen. Im Weitergehen dachte ich darüber nach, ob und wie ich ihr helfen könne. Sie einfangen und zum Tierarzt bringen? Aber beim Einfangen würde ich ihr noch mehr Angst machen und es vielleicht auch gar nicht schaffen, sie zu greifen. Zum Tierarzt könnte ich sie erst morgen bringen, weil ja Sonntag war. Und wie sollte ich sie zu Hause unterbringen und vor der Katze schützen? Ist es überhaupt richtig, mich in das Schicksal dieses Tieres einzumischen? Habe ich ihr Einverständnis? Würde ich ihr mit meiner Hilfe nicht vielleicht noch mehr Schaden zu fügen? Ich musste an ein lange zurückliegendes Ereignis denken: an der dänischen Nordseeküste fand ich eine offensichtlich kranke Möwe, die im Sand lag. Ich nahm sie auf und brachte sie in die Dünen. Der Freund, mit dem ich unterwegs war, rügte mich dafür. Er sagte, daß die Möwe am Strand von der Flut geholt worden wäre und das wäre sicher ein gnädigeres Ende für sie gewesen. Er hatte recht! Wieder so ein Beispiel von: Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut.

Ich unternahm also nichts und schaute mich im Weitergehen immer wieder nach ihr um. Obwohl ich meine Entscheidung, sie sich selbst zu überlassen, getroffen hatte, machte mich das alles traurig. Ich konnte nur die Helferwesen aus der Anderswelt um Unterstützung für sie bitten.

Möglicherweise eine Hühnerkralle, die ich im Wald gefunden habe

Zum Thema Helfen: viele Menschen haben mittlerweile eine Patientenverfügung, was ich auch sinnvoll finde. Allerdings heißt das nicht, daß man sich daran hält. Wenn z. B. jemand tot umfällt, wird der Rettungsdienst gerufen und  setzt einen Defibrillator ein, um den Menschen zu reanimieren. Oder hilfreiche Passanten versuchen sich in Herz-Druck-Massage. Erst viel später, im Krankenhaus, wird vielleicht mal in die Patientenverfügung geschaut, wo dann möglicherweise die Reanimation explizit ausgeschlossen wird. Ich habe als Krankenschwester einige Reanimationen an Patienten erlebt. Keiner hat danach das Bewusstsein wieder erlangt, auch wenn das Herz wieder angefangen hat zu schlagen. Eine Frau wurde im Urlaub reanimiert und kam dann zu uns in die Psychiatrie mit einem gewaltigen Hirnschaden. Sie konnte kaum sprechen und hatte ihr Gedächtnis verloren. Ich will nicht reanimiert werden. Ich habe auch keine Angst vor dem Tod. Ich weiß, daß es danach weitergeht, in einer anderen Dimension. Denn Energie geht nicht verloren.

Schachtelhalm, aus dem ich mir Tee mache. Der kann viel, unter anderem Aluminium aus dem Körper ausleiten und dabei helfen, kaputte Gelenkknorpel zu regenerieren.

Gurus

Vor mehr als einem Jahr habe ich mich von meinem Kundalini-Yoga-Kurs abgemeldet, an dem ich 17 Jahre teilgenommen hatte. Der Anlass war die 2G-Regelung, die mich vom Yoga ausschloss. Ich fing dann im letzten Sommer mit Hatha-Yoga in meiner Nähe an, was mir neue Erfahrungen bescherte. Gleichzeitig wurde meine Sehnsucht nach Kundalini-Yoga immer größer: mir fehlten das Mantrasingen und die Meditationen, die besondere Atmosphäre und die ruhige und besondere Art meines Yogalehrers. Am letzten Donnerstag ging ich das erste Mal wieder zu ihm und es war einfach schön. Während wir unsere Übungen machten, standen die Glastüren wegen des schwülen Wetters weit auf und dann kam endlich das Gewitter. Ich genoss das Rauschen des Regens nach all den Wochen der extremen Trockenheit, ich genoss die Mantras und die Kriya (Übungsreihe) und fuhr mit einem satten und wohligen Gefühl nach Hause.

Es regnete dann auch das ganze Wochenende, das ich bei K. und M. in Flensburg verbrachte, und ich freute mich: endlich Wasser! Meine Regentonnen sind wieder voll, der Garten ist gut getränkt, alle Pflanzen sehen gut aus. Mein Sohn kam für zwei Tage vorbei. Als er das üppige Basilikum vor der Haustür entdeckte, schlug er vor, ligurisches Pesto zu machen. Wir sahen uns einen kleinen Film mit der Köchin Samin Nosrat an, in dem sie von einer italienischen Frau im Pestomachen unterwiesen wurde – im Mörser. Mein Sohn mörserte die Zedernüsse (Ersatz für Pinienkerne), das Basilikum und Salz, während ich den Pecorino rieb. Nicht alles sind Originalzutaten; wir nahmen halt, was da war. Dann kam noch Olivenöl dazu. Ich habe nie ein so gutes Pesto gegessen. Ich kaufe kein Pesto im Glas, weil da immer Sachen drin sind, die ich nicht essen möchte und die da auch nicht reingehören, z. B. Verdickungsmittel. Im Frühjahr leiste ich mir ab und zu Bärlauchpesto vom Freiburger Olivenstand auf dem Markt, was selbstgemacht und ziemlich lecker ist. Aber dieses hatte ein besonders feines Aroma, sicher wegen der Frische, ich vermute aber, daß auch die Zubereitung im Mörser statt mit dem Pürierstab den Unterschied machte. Der Kontakt mit dem Metall lässt das Basilikum oxydieren.

Eine kleine Wildwiese auf dem Balkon in Flensburg, die von Insekten besucht wird

Beim Yoga kam die Rede auf Yogi Bhajan. Das ist der Mann, der Kundalini-Yoga in den Westen gebracht hat. Vor einigen Jahren wurde, ausgelöst durch das Buch einer seiner Schülerinnen, bekannt, daß er sie und wohl auch andere Frauen sexuell missbraucht hat. Seitdem wird dieses Thema in der Kundalini-Yoga-Szene aufgearbeitet. Wer sich dafür interessiert, kann sich ein Interview mit dem Hamburger Yogalehrer Satya Singh ansehen, daß ich sehr gut finde: www.youtube.com/watch?v=ctf58WV2MTQ. Mir gefällt Satya Singhs ruhige, reflektierte und ehrliche Art. Außerdem hat er Humor. Und mir gefällt, wie mit den Enthüllungen um Yogi Bhajan umgegangen wird. Hier scheint wirkliche Aufarbeitung stattzufinden, was ja sonst nicht üblich ist, siehe Missbrauchsfällte in der katholischen Kirche, um nur ein Beispiel zu nennen.

Daß ein Lehrer, Therapeut oder sich in einer vergleichbaren Machtposition befindende Mensch seine Schülerinnen, Klientinnen missbraucht, ist nicht neu und auch nicht selten. Ich weiß es aus der Körpertherapeutenszene und habe Frauen gekannt, die persönlich betroffen waren, ebenso Therapeuten, die ihre Klientinnen missbraucht haben. Ich selbst war nicht betroffen. Im Kundalini-Yoga gibt es klare Regeln, wie Sexualität zu gestalten ist: in einer lebenslänglich monogamen Beziehung, einmal im Monat. Nun, für Yogi Bhajan galten diese Regeln ganz offensichtlich nicht. Ich finde es immer höchst verdächtig, wenn Menschen Regeln für sexuelles Verhalten aufstellen. In unserem Kulturkreis hat das die katholische Kirche in der beginnenden Neuzeit gemacht (Missionarsstellung, Monogamie). In meiner Jugend war es noch üblich, unverheiratete Frauen zu ächten, die schwanger wurden. Die Männer, die sie geschwängert hatten, wurden aber nicht geächtet. Mir ist von meinem Vater eingebläut worden, daß mein Leben als sexuelles Wesen vorbei wäre, wenn ich vor der Ehe schwanger würde, weil mich dann kein Mann mehr ansehen würde.

Im Laufe meines bald 70jährigen Lebens habe ich das gelernt: der Versuch, Sexualität zu regulieren und zu tabuisieren, funktioniert nicht. Der Trieb ist eine gewaltige Kraft, die sich nicht in Ketten legen lässt. Irgendwann brechen die lange unterdrückten Bedürfnisse durch und suchen Erfüllung. Die Strategien, mit der diese wilde Kraft gezähmt werden soll, haben in den letzten zweitausend Jahren aber zu erheblichen Störungen bei Männern und Frauen ungeführt, zu Verzerrungen des sexuellen Verhaltens. Da ist viel Heilungsarbeit notwendig. Ich lese gerade das Buch Sacred Sex von Vivian Dittmar, das mir meine Tochter geschenkt hat. Ich mag die Art, wie sie sich dieses Themas annimmt. Sie ist so klar, so freundlich und sie verzichtet gänzlich auf Schuldzuweisungen an die Männer. Sehr angenehm!

Buchweizen