Schenken

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Vor einer Woche fand mein diesjähriger Kräuterkurs statt. Ich finde die Sache mit der Schenkökonomie so spannend, daß ich dieses Mal meinen Kursus als Geschenk anbot. Ich sagte den Teilnehmerinnen, daß sie mir selbstverständlich auch etwas geben könnten. Aber es war mir klar, daß ich nichts erwarte. Und ich gebe mein Wissen gern weiter.

Eigentlich ist es ja normal: früher wurde Heilwissen weitergegeben, entweder in der Familie oder an andere Personen, die sich zu den Pflanzen oder anderen Heilweisen hingezogen fühlten. Und es ist irdisches Grundprinzip: Leben wird geschenkt – durch die Mutter. Nahrung wird geschenkt – durch die Erde. Alles, was uns am Leben erhält und Freude bereitet, wird uns geschenkt.

Eine langjährige Teilnehmerin, die dieses Mal nicht dabei sein konnte, schrieb mir: „Das ist eine tolle Idee. Du wirst bestimmt viele Geschenke zurückbekommen.“

So war es auch, und am meisten freute ich mich über die Phantasie, die meine Teilnehmerinnen dabei entwickelten, z. B. eine Einladung zu einem gemeinsamen Tag mit schönen Unternehmungen. Gestern kam völlig überraschend ein Paket von einer Frau. Sie hatte mir diverse Leckereien geschickt, die sie aus Zutaten aus ihrem Garten gezaubert hatte, dazu noch ein Glas leckeren Heidehonig (sie wohnt in der Lüneburger Heide) und eine Einladung. Ich konnte die Liebe spüren, mit denen sie die ganzen Sachen zubereitet und verpackt hatte. Ich freute mich den ganzen Tag über alles!

Auch sonst habe ich schöne Erlebnisse: die Schwalben im Holzschuppen sind flügge und ich konnte ihnen bei ihren Flugversuchen zusehen. Ein junger Hase zeigte sich im Garten und knabberte mal hier, mal da und ließ sich dabei von mir beobachten. Und der ganze Garten ist voller Insekten, vor allem Hummeln und Wildbienen, Mücken, Libellen, Grashüpfer, Schmetterlinge und diverse andere kleine Fliegetiere, deren Namen ich nicht kenne. Ein Gartenrotschwänzchenpaar hat ein Nest in einem hohlen Baumstamm im Knick. Nachts sehe ich die Fledermäuse.

Auch in Kiel ist es jetzt schön: die blühenden Linden duften, die Krähen- und Dohlenschwärme ziehen mit lauten Rufen um die Klinik und sammeln sich in den hohen alten Bäumen. Man riecht das Meer.

Und endlich, endlich hat es auch mal wieder ordentlich geregnet, wie jedes Jahr pünktlich zur Kieler Woche (der Regen gehört einfach dazu, sagen die Alteingesessenen).

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Auf der Schwelle sitzen

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Neulich blätterte ich mal wieder in den Aufzeichnungen, die ich während der schamanischen Unterweisung bei Ute Schiran gemacht habe. Die Worte „…auf der Schwelle sitzen und den Raum weiten“ gingen mit etwas in mir in Resonanz.

Es gab in meinem Leben viele wichtige Lehrer und Lehrerinnen. Von allen habe ich etwas bekommen, wofür ich dankbar bin. Aber nie habe ich mich ganz und gar auf einen Weg einlassen können. So wichtig z. B. Ute für mich war, konnte ich nicht alles für mich übernehmen, was sie uns gelehrt hat. Ich kann nur an Wesenheiten glauben, die ich selbst erfahre.

Auf der Schwelle zu sitzen scheint mir eine attraktive Möglichkeit. Die Schwelle befindet sich zwischen der kultivierten, der menschengemachten und der wilden Welt. Manchmal mag es erscheinen, als schrumpfe der Raum der Wildnis immer mehr zusammen. Aber das scheint nur so: sobald menschliche Einflussnahme aus welchen Gründen auch immer aufhört, nimmt sich die Wildnis ganz schnell wieder ihren Raum. So ist es geschehen, nachdem es im Reaktor von Tschernobyl zur Kernschmelze kam und die Menschen den umliegenden Bereich verlassen mussten.

Zur Zeit sehe ich in eine mikroskopische Wildnis: ich lese Stephen Buhners unglaublich gründlich recherchiertes Buch Herbal Antibiotics. Sehr spannend. Das, wovor schon mindestens seit den 70er Jahren gewarnt wird, ist eingetreten: die zunehmende Wirkungslosigkeit von Antibiotika. Bakterien entwickeln immer schneller Resistenzen, immer häufiger sterben Menschen an eigentlich banalen Infekten. Wer heute in ein Krankenhaus geht, hat ein hohes Risiko, sich dort einen multiresistenten Erreger einzufangen, der völlig unbehandelbar ist.

Der Grundgedanke bei der Anwendung von Antibiotika und Desinfektionsmitteln ist, daß wir Krieg gegen die sogenannten Krankheitserreger führen müssen. Dieses Denken durchzieht unsere Geschichte seit einigen tausend Jahren: der Feind muss bekämpft, ja vernichtet werden. Diese Mentalität hat zur Entwicklung immer neuer, immer vernichtender Waffen geführt, ob das nun Atomwaffen oder Antibiotika sind. Aber sie hat noch nie zu dauerhaftem Frieden und einem schöneren Leben geführt und irgendwie scheinen immer neue Feinde aufzutauchen, so daß Kriegführen für die menschliche Spezies zu etwas ganz Normalem geworden ist. Wir haben vergessen, daß wir den allergrößten Teil unseres Daseins auf dieser schönen Planetin in Frieden gelebt haben.

Bakterien sind unsere Ahnen. Sie sind älter als wir, sie haben Intelligenz und sie wissen offensichtlich mehr als wir. Wie wäre es, von ihnen zu lernen statt sie zu bekämpfen? Ohnehin können wir ohne Bakterien gar nicht überleben, denkt man nur mal an die Darmflora. Auch die Mitochondrien in unseren Zellen waren ursprünglich mal Bakterien, die irgendwann eine Symbiose mit Einzellern eingegangen sind.

Noch was Interessantes habe ich aus Stephen Buhners Buch erfahren: die berüchtigten Pyrrolizidin-Alkaloide, die dazu geführt haben, daß so viele uralte bewährte Heilpflanzen mittlerweile verteufelt und nicht mehr gehandelt werden dürfen (z. B. Beinwell, Huflattich, Wasserhanf, Borretsch – übrigens alles Pflanzen, die mir seit vielen Jahren wichtige Verbündete sind), sind wie der Name schon sagt alkaliartig. Deshalb brauchen sie, um in einem Tee gelöst zu werden, ein saures Milieu. Das Leitungswasser, das wir hier im Norden benutzen, ist aber sehr hart, also alkalisch. Damit hat sich mein starkes Gefühl, daß von diesen Pflanzen keine Gefahr ausgeht, bestätigt.

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Knetozän

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Heute auf dem Weg zur Arbeit fing es an zu regnen. In Kiel kam ein ordentlicher Schauer runter, auf dem Heimweg am späten Abend gleich noch einmal. Ich freute mich: endlich Regen für den durstigen Boden. Aber zu Hause musste ich feststellen, daß hier kein Tropfen gefallen ist. Ich habe jetzt angefangen zu gießen, weil die Dicken Bohnen schon anfangen schlapp zu machen.

Von Harald Welzer stammt der Begriff Knetozän für unser Zeitalter der rasanten Zerstörung des Lebendigen. Der gefällt mir viel besser als der mittlerweile immer häufiger gebrauchte Begriff Anthropozän. Denn Menschen gibt es schon recht lange, aber die große Vernichtung fing erst mit der Herrschaft des Kapitalismus, also der Knete, an.

Vor einigen Tagen hörte ich auf der Heimfahrt im Radio die Übertragung einer Veranstaltung in Braunschweig, in der es um die Wölfe in Deutschland ging. Ein paar Experten beantworteten Fragen. Eine war: Passt der Wolf in die heutige Landschaft Deutschlands?

Die Antwort: Ja, der Wolf passt ganz einfach deshalb, weil er freiwillig hergekommen ist und sich hier offensichtlich wohl fühlt. Er wird sich auch nicht hemmungslos vermehren, wie einige Bedenkenträger meinen, weil er klug ist und weiß, wann die Grenzen des Wachstums erreicht sind (letzteres wissen Politiker und Kapitalisten in der Regeln nicht, sonst würden sie nicht nach immer mehr Wachstum schreien). Dann wurde noch gesagt, daß es nicht immer nach dem Menschen geht, sondern daß auch Tiere Rechte haben müssten. Denn sie wollen auch leben und ihre Kinder groß ziehen.

Da fiel mir ein, daß Neuseeland vor nicht allzu langer Zeit einen heiligen Fluss der Maori, den Whanganui, zur juristischen Person erklärt hat. Ecuador hat Pachamama, Mutter Erde, als juristische Person in seine Verfassung aufgenommen. Und Indien hat die Flüsse Ganges und Yamuna zu lebenden Wesen mit dem Status einer moralischen Person erklärt. Solche Ereignisse lassen mich hoffen, daß sich die Erkenntnis immer mehr durchsetzt, daß nicht der Mensch das Maß aller Dinge ist. Und ich sehe keinen Grund, warum nicht z. B. ein Wolf, eine Beifußpflanze und ein Bakterium als Wesen mit gleichen Rechten anerkannt werden sollten. Das würde natürlich alles ändern. Aber es ist gar kein neues Denken, denn ähnlich haben unsere Urahnen gedacht und einige indigene Völker tun es heute noch. Letztlich wäre es ein Sich-Erinnern an etwas, das einmal völlig normal gewesen ist.

Wenn wir die Nase über Donald Trumps „America first“ rümpfen, verlieren wir aus dem Blick, daß wir ständig nach der gleichen Maxime handeln: Humans first! Die Menschen sind als erste dran, der Rest der lebenden Welt hat sich unserem Willen zu unterwerfen und wird auch gar nicht erst gefragt. So gesehen kann man Trump schon dankbar sein, weil er ein großartiger Spiegel ist.

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Wasser

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Es ist so trocken hier. Seit Wochen hat es nicht mehr geregnet. Wohl kam in Kiel während meines Nachtdienstes mal ein ordentlicher Guss runter, aber in meinem Dorf nicht.

Montag fuhr ich nach dem Frühdienst mit dem Auto meines Lieblingskollegen H. nach Flensburg, denn ich hatte M. versprochen, seine Bilder nach Kiel zu transportieren. Sie sind zu groß für meinen kleinen Skoda und M. hat die Möglichkeit, einige seiner Bilder auszustellen. Ich übernachtete in Flensburg und fuhr am Morgen mit M. und den Bildern nach Kiel. Dann hatte ich noch Zeit bis zum Spätdienst und suchte mir auf der anderen Seite des Nord-Ostsee-Kanals ein schönes Plätzchen. Das fand ich am Kanal nahe der Rathmannsdorfer Schleuse. Ein künstlicher Wasserfall ergießt sich dort in den Kanal. Ich hörte dem Rauschen des Wassers zu, dann fing ich an fürs Wasser zu singen. Ich erinnerte mich an die Flüsse meiner Kindheit: die Ahle bei Uslar mit ihren  Wasserpflanzen, die wie lange grüne Haare in der Strömung trieben, die Leine in Hannover, die Weser, über die ich viele Male mit der Fähre gefahren bin.  Wie habe ich es geliebt, Wasser aus dem Wasserhahn zu trinken. In Hannover wurde es dann irgendwann gechlort. Da mochte ich es nicht mehr. Und wie oft habe ich aus Quellen getrunken: in den Alpen, in der Rhön, im Harz, in der Auvergne.

Obwohl es knochentrocken ist, sieht der Garten doch so schön aus: alles blüht und leuchtet, obwohl ich nur die Tomaten und einige neu gepflanzte Blumen und Kräuter gieße.

Meine Tochter hat mir ein Buch mitgegeben, das ich gern empfehlen möchte: Die potente Frau von Svenja Flaßpöhler. Es ist schnell gelesen, weil es keine 50 Seiten hat und hat meine mulmigen Gefühle zur #MeToo-Debatte auf den Punkt gebracht. Sie zeigt auf, wie die besagte Debatte dem patriarchalen Denken in die Hände spielt: die Frau ist das ewige Opfer, die Männer die unbeherrschten Triebtäter.

Sie plädiert dafür, daß Frauen endlich anfangen, ihr eigenes Begehren zu leben und damit offensiv umzugehen. Ja, ja, ich weiß, wir haben gelernt, zumindest die Frauen meiner Generation und davor, daß wir kein Begehren haben und daß Männer uns nicht mehr achten können, wenn wir uns ihnen hingeben. Das sitzt in den Knochen und prägt das Verhältnis zu Männern auf eine sehr unerfreuliche Weise, bis eine sich von dieser kranken Sichtweise frei macht. Ja, ich weiß auch, daß der alte Siegmund Freud der Frau jegliche Lustfähigkeit abgesprochen hat und ihr einen Penisneid unterstellt hat (das kann nur eine Projektion sein, wahrscheinlich hatte er einen uneingestandenen Gebärmutterneid). Und daß Generationen von Psychiatern ihm das nachgebetet haben. Aber die Zeit ist schon lange reif, mit diesen Mythen aufzuräumen.

Männer können nicht wissen, wie ein weiblicher Körper sich fühlt. Und Frauen können nicht wissen, wie sich ein männlicher Körper fühlt. Das liegt einfach in der Natur der Sache und ist nichts Schlimmes. Aber Frauen können klar und deutlich sagen, was sie wollen. Und das sollten wir, finde ich, so oft wie möglich tun. Und ich glaube, daß dann Heilung des verletzten Verhältnisses von Männern und Frauen geschehen kann.

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Gartengeschenk

Körper und Seele

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Gestern Abend fuhren L. und ich in den Wald bei Stodthagen, um den Gesang der Unken zu hören. Im letzten Jahr hatte ich dieses Gebiet schon zweimal aus dem gleichen Grund besucht, leider umsonst. Auch gestern hörten wir nur das Konzert der Frösche. Die Stiftung Naturschutz hat ein großangelegtes Projekt zur Wiederansiedlung der Unken gestartet. Entweder waren sie noch nicht erfolgreich oder wir haben nicht die richtige Stelle gefunden. Wir brauchten einige Zeit für den Rückweg, weil wir uns weit vom Weg gewagt hatten, und irrten einige Zeit in der Dämmerung durch Wald und Moor. Mit diversen Schrammen von Brombeerranken und zwei Zecken am Körper kam ich nachts wieder zu Hause an.

Vorher hatten wir ein Gespräch über das Thema: Was bedeutet es, meinen Körper gut zu behandeln?

Wobei: ich habe eigentlich schon Schwierigkeiten mit dieser Formulierung. Denn für mich klingt sie so, als seien ich und mein Körper zwei getrennte, sich gegenüberstehende Wesenheiten. Aber so empfinde ich nicht. Wenn ich in der Zeit zurückgehe, erinnere ich mich an diesen Moment 1987, als die Musik (The Passenger in der Version von Siouxsie and the Banshees) plötzlich bewirkte, daß ich mich bewegen musste, dass ich mich sogar mit großer Lust bewegte und spürte, wie diese Lust quasi aus meinem Kreuzbein kam. Damals habe ich gesagt: meine Lebendigkeit sitzt in meinem Hintern. Heute würde ich sagen, daß damals wohl meine Kundalini wach wurde. Nicht umsonst heißt das Kreuzbein auf anatomisch os sacrum – der heilige Knochen. Jedenfalls habe ich damals begriffen, daß es keine Trennung zwischen dem, was wir Seele nennen und dem Körper gibt. Das stellt sich nach dem Tode sicher anders dar, aber für mich ist das derzeit nicht relevant.

Bei schweren Schockerlebnissen, aber auch im Traum können sich Körper und Seele voneinander trennen, also dissoziieren. Das ist sicher manchmal sinnvoll, um mit ansonsten unerträglichen Erlebnissen umgehen zu können.

Ich habe kürzlich ein sehr schönes Buch gelesen, das auch ganz viel mit der Einheit von Körper und Seele zu tun hat: Flowbirthing – Geboren aus einer Welle der Freude von Kristina Marita Rumpel. Ja, es geht tatsächlich um Geburt und obwohl das kein Thema mehr ist, was mich direkt betrifft, hat mich dieses Buch sofort, als ich es sah, sehr angesprochen. Die Autorin beschreibt Geburt auf eine so inspirierte Weise, daß es sich liest, als spräche eine größere Macht durch sie. Auch wenn es pathetisch klingen mag, aber so hat es sich angefühlt. Und es geht um nichts weniger als die weibliche Urkraft, die uns Frauen genommen wurde und die wir uns wiederholen können/müssen. Ich persönlich glaube übrigens, daß das Erinnern unserer Kraft, unserer Fähigkeit, Leben zu geben, untrennbar mit der Gesundung der globalen Krankheit zusammenhängt. D. h. je mehr wir Frauen wieder in unsere ursprüngliche Kraft kommen, von der die alten Mythen aller Kulturen erzählen, desto eher können der Wahnsinn unserer Zeit und die immensen Zerstörungen auf der Erde heilen.

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