Sprachfaschismus

Ich bin jetzt mit der Brüderlichkeit der Dreigliederer im Reinen. Ich will keine Sprachfaschistin sein und ihnen vorschreiben, welche Worte sie benutzen sollen. Sowas würde ich ja auch empört von mir weisen. Vor einigen Jahren war ich ja noch Fanin vom Gendersternchen und fand den Gedanken naheliegend, das generische Femininum einzuführen, weil in der weiblichen Form meistens die männliche schon enthalten ist. Aber mittlerweile geht mir der Genderkram ziemlich auf den Geist und es hört sich blöd an, wenn Menschen beim Sprechen die Lücke einbauen: Lehrer _ Innen. Klingt wie ein Sprachfehler.

Man kann Sprache nicht vorschreiben. Und Sprache verändert sich von selbst, mit der Zeit, mit den Generationen. Ich sehe Sprache wie einen Fluss, der die Informationen der Landschaften, durch die er fließt, in sich aufnimmt.

 

 

Versteinerung

Gestern bekam ich eine Einladung zu einem Vortrag über die Soziale Dreigliederung. Das ist ein Konzept, dessen Urheber Rudolf Steiner war. In den C-Jahren hat es Aufwind erlebt als Alternative zum bestehenden Gesellschafts- und Herrschaftssystem. Der Leitsatz der Dreigliederungsbewegung ist der Slogan der Französischen Revolution: Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit. Ich störe mich an dem Begriff Brüderlichkeit, weil es Frauen ausschließt. Da es im Deutschen den Begriff Geschwisterlichkeit gibt, könnte man meines Erachtens doch den benutzen. Das habe ich in der Vergangenheit mehrmals vorgeschlagen und bin damit jedes Mal gescheitert.

Bemerkenswert sind dazu die Begründungen: die erste kam von einer Frau, die auf meinen Einwand überhaupt nicht einging, dafür aber einen ermüdend langen Text zu ihren schlechten Erfahrungen mit Radikalfeministinnen schrieb. Offensichtlich hat sie mich in dieser Ecke verortet. Mein zweiter Einwand gegenüber einer Internetseite, die sich mit menschlichem Wirtschaften nach dem Dreigliederungskonzept befasst, wurde überhaupt nicht beantwortet. Die dritte Antwort kam von einem in Deutschland lebenden Franzosen, der mich darüber aufklärte, daß der ursprüngliche Leitsatz der Französischen Revolution Freiheit – Gleichheit – Grundbesitz geheißen habe. Er nahm keine Stellung zu meinem Einwand und forderte mich auf, bei den Dreigliederern mitzumachen, weil man Frauenmangel habe. Aha! Mittlerweile habe ich allerdings erfahren, daß das wohl nicht der Fall sein soll.

Die dritte Antwort kam von dem Vortragsredner, auf dessen Einladung ich reagiert hatte. Er erklärte, daß er bei dem Begriff Brüderlichkeit bleiben werde und fügte als Begründung u. a. ein Zitat von Rudolf Steiner an: „Denn von der menschlichen Brüderlichkeit … können wir nur dann sprechen, wenn wir den anderen Menschen in uns tragen wie uns selber.“

Ich habe jetzt beschlossen, diesem Thema keine Energie mehr zu geben. Es scheint da ein unüberbrückbares Verständnisproblem zu geben. Ich habe allerdings noch einen anderen Verdacht, der mir schon öfter in Gesprächen mit überzeugten Anthroposophen gekommen ist: Was Rudolf Steiner gesagt hat, ist ehernes Gesetz. Ich habe Bücher von Rudolf Steiner gelesen; ich fand einiges gut, einiges war für  mich schlicht unverständlich. Ich habe gute Erfahrungen mit der anthroposophischen Medizin gemacht. Aber ich habe auch bei einigen Anthroposophen eine große Rigidität erlebt. Rudolf Steiner hat vor 100 Jahren gelebt. Seitdem ist viel Wasser den Rhein entlang geflossen. Es gibt da meines Erachtens einige Anachronismen, die man mal bearbeiten könnte.

Eine Bekannte sprach vor kurzem mir gegenüber von einer „Versteinerung“, die sie in der Anthroposophie ausgemacht habe. Der Begriff gefällt mir gut und ich werde ihn in meinen Wortschatz übernehmen.


		

Krankheitsdämonen

Es war, wie man mir gesagt hatte: nach einer knappen Woche war die Krankheit vorbei. Nun fühle ich mich wieder fit und als ich heute Morgen meine Yogaübungen wieder aufnahm, war auch die alte Kondition wieder da. Auch der Geruchssinn ist zurückgekommen. Vor einigen Tagen habe ich ein kleines Ritual gemacht und mich trommelnd und räuchernd von den Krankheitsdämonen verabschiedet: „Danke, daß ihr da wart und mir geholfen habt zu erkennen, was in meinem Leben sich verändern möchte. Jetzt brauche ich euch nicht mehr.“ Ich habe ja die Erfahrung gemacht, daß jede Krankheit zu etwas gut ist. Dieses Mal hat sich deutlich die Frage gestellt: Wen und was möchte ich aus meinem Leben entlassen? Welche Kontakte tun mir gut, von wem möchte ich mich verabschieden? Was macht mir wirklich Freude und was trage ich aus einem Gefühl von Verpflichtung mit mir herum? Welche Informationen nehme ich zu mir? Mehr denn je habe ich den Wunsch, mit leichtem Gepäck zu reisen.

Dazu passt auch meine derzeitige Lektüre, Cambra Skadés zauberhaftes Buch „Die Silberfüchsin“. Es geht ums Altern. Die Autorin beschreibt so vieles, was ich selbst kenne: die Ungeniertheit, die sich mit zunehmendem Alter einstellt. Es spielt immer weniger eine Rolle, ob ich anderen gefalle. Das Bedürfnis nach einem männlichen Gefährten hat mich bereits vor einigen Jahren verlassen. Ich genieße es, meine Räume und meine Zeit mit niemandem teilen zu müssen. Immer wichtiger ist dagegen im Laufe der Zeit meine Zugehörigkeit zur Erde geworden, immer häufiger empfinde ich mich deutlich als Teil der Landschaft, in der ich lebe. Immer mehr fühle ich mich eingebunden in das Netz allen Lebendigen: alles spricht miteinander, alles ist miteinander verwoben, alles bringt seine ganz eigenen Fähigkeit ins Große Ganze ein. Es ist ein großes Glück das zu erleben.

Ich bin übrigens keine Seniorin. Das ist eine Bezeichnung, die ich mir ausdrücklich verbitte. Ich bin eine alte Frau. Das sage ich unverblümt und so möchte ich auch gesehen werden. Eine alte Frau mit viel Lebenserfahrung. Wer will, dem teile ich sie gern mit. Aber auch das muss nicht sein. Ich kann aus dem Vollen schöpfen. Ich habe viele Fehler gemacht und viel gelernt. Alles gehört dazu. Die grauen Haare, die Altersflecken, die dünner werdende Haut, die Falten. Ich befinde mich im Herbst meines Lebens und bald kommt der Winter. Und irgendwann gehe ich über die große Schwelle. Ich denke manchmal an die Bücher von Carlos Castaneda, die ich in den 70er und 80er Jahren verschlungen habe. Durch sie erfuhr ich, daß der Tod immer hinter uns steht. Noch schöner finde ich die Vorstellung von der Tödin, die uns irgendwann in ihre Arme nimmt. Und dann können wir entscheiden, ob wir in eine neue Inkarnation oder zurück in die große Einheit, zu Quelle gehen.

 

krank

Nachdem ich ein paar Tage bei Tochter und Schwiegersohn verbracht und geholfen hatte, die Tapeten in ihrer neuen Wohnung von den Wänden zu entfernen, wurde ich krank. Schnell war klar, daß mich Covid erwischt hatte, das erste Mal. Nein, ich habe mich nicht getestet. Ich habe die Insignien der Angst-Pandemie – Masken und Tests – vor längerer Zeit entsorgt und hätte mir ohnehin niemals freiwillig die giftigen Stäbchen in die Nase gesteckt. Diese Krankheit verlief deutlich anders als ich das von einer echten Grippe kenne. Und davon hatte ich in meinem Leben drei, soweit ich mich erinnern kann.

Montagmorgen wachte ich mit schlechter Stimmung auf. Ich wollte ein Stück Wiese mit der Sense mähen, wozu ich im September nicht gekommen war. Aber die Aussicht auf diese Arbeit rief starken Widerwillen in mir hervor. Als ich aufstand, merkte ich an leichten Halsschmerzen, daß ich krank war. Ich brachte ein Päckchen mit dem Auto zur Poststelle ins Nachbardorf; normalerweise erledige ich die drei Kilometer mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Danach wollte ich „mal eben“ die Wiese mähen und mich dann ins Bett legen. Aus dem Wiesemähen wurde nichts. Ich legte mich gleich ins Bett, mit Pullover und Wärmflasche, weil mir furchtbar kalt war. Meine Muskeln schmerzten, als hätte ich heftige Verspannungen. Sogar in meinem Brustkorb gab es einen tiefen Schmerz, wie ich ihn noch nie gehabt habe.

Ich trank Mädesüß- und Holunderblütentee; das half gegen die Schmerzen und gegen den aufkommenden Husten. Ich versuchte es auch mit Artemisia annua-Tinktur, die ich mir im letzten Jahr hergestellt hatte. Aber das fühlte sich nicht richtig an. Nachts wälzte ich mich hin und her und fand keine Position, in der ich gut schlafen konnte. Und ich fühlte mich einfach ungeheuer kaputt und missgestimmt.

Bei Feinstaub machen FFP2-Masken wohl Sinn; als Infektionsschutz sind sie nachgewiesenermaßen sinnlos.

In der dritten Nacht schlief ich dann endlich einigermaßen gut und seitdem geht es langsam wieder aufwärts. Ich hätte lieber eine richtige Grippe gehabt mit hohem Fieber und dem damit einhergehenden Dämmerzustand, der den Verstand aushebelt, damit die Körperweisheit ungestört ihr Heilungswerk tun kann. Ich habe dieses Virus als ziemlich unfreundlich erlebt. Was will eine aber auch von einem im Labor gezüchteten Erreger erwarten.

Welche Geschenke mir diese Krankheit bringen wird, muss sich noch zeigen. Zur Zeit spüre ich sehr deutlich, was ich brauche und was nicht. Das geht sogar so weit, daß ich heute morgen den bereits rausgelegten Pullover nicht anziehen mochte, weil ich seine Farbe abstoßend fand. Diesen Pullover trage ich sonst sehr gern. Mein Nachbar T. bot mir seine Hilfe an. Die nahm ich zwar kaum in Anspruch, aber es tat gut, daß er jeden Tag nach mir schaute. Und nachdem ich meinen Kassendienst in der Einkaufsgemeinschaft abgesagt hatte, haben die vielen guten Wünsche mich richtig überwältigt.

Wenn ich mich nicht gerade im Bett rumwälzte, habe ich gelesen: sehr schön und aufbauend das neue Buch Die Silberfüchsin von Cambra Skadé über das Altwerden.

Sabrina Gundert, die mich 2012 für ihr Buch Auf dem Herzensweg – Lebensgeschichten spiritueller Frauen interviewt hatte, hat ein neues Buch herausgebracht und ich durfte es lesen: Schwellenzeiten – Wandelzeiten. Sie beschreibt den gesetzmäßigen Verlauf von Lebenskrisen und wie sie genutzt werden können. Das Buch ist in einer klaren Sprache verfasst und gibt eine Menge Anregungen, die wohltuenderweise nicht belehrend daherkommen. Gut gefallen hat mir, wie der Ablauf einer Krise mit dem Jahreskreis in Beziehung gesetzt wird und daß Sabrina sehr persönliche Erlebnisse preisgegeben hat. Die Essenz ist: jede Krise ist eine Schwelle in einen neuen Raum. Auch Krankheiten sind Schwellenerlebnisse.