Sehnsucht

Ich hatte das in meinem letzten Post empfohlene Buch Coronastaat kurz zur Seite gelegt, weil ein Mann aus meinem Umkreis mir ein Buch gegeben hat, was mich so in seinen Bann gezogen hat, daß ich es in wenigen Tagen durchgelesen hatte: Der Pferdejunge von Rupert Isaacson. Es ist von 2009 und handelt von der Heilung des autistischen Sohnes des Autors. Nachdem die Familie einen jahrelangen Leidensweg hinter sich hatte, ist sie in die Mongolei aufgebrochen, um dort bei Schamanen ihr Glück zu versuchen. Und sie hat es gefunden! Beim Lesen, vor allem als die Familie und die sie begleitenden Personen – Dolmetscher, ein Filmteam, Führer usw. – zu Pferd in die sibirische Taiga kamen und dort in einem Camp von Rentiernomaden den Schamanen antrafen, stieg eine große Sehnsucht in mir auf. Diese Sehnsucht ist alt und kommt immer dann, wenn ich Berichte über Rentiernomaden in Skandinavien und Sibirien lese. Es ist, als würde ein sehr alter Teil in mir berührt, einer, der sich an diese einfache und ursprüngliche Art von Leben erinnert. Und wie soviele Menschen in unserer Kultur habe ich eine starke Affinität zum Schamanentum, weil ich ahne, daß das etwas mit einer starken Verbindung mit der Natur und den geheimnisvollen Kräften zu tun hat, zu denen auch wir vor langer Zeit einmal Zugang hatten, als Menschen ihre Botschaften noch an den Wind weitergeben und mit Tieren und anderen Wesenheiten kommunizieren konnten. Vor etwa 2000 Jahren gab es auch bei uns in Mitteleuropa noch Menschen, die hinter die Dinge schauen konnten, die Seidkonas, die Weledas, Walas und Hagezussen. In der Edda gibt es noch Beschreibungen der alten Heil- und Zauberkünste. Aber mich zieht es noch weiter zurück, in die Welt der Jäger- und Sammlerkulturen, der Waldmenschen, die noch keine festen Häuser kannten, die mit den wilden Tieren zogen und für die alles belebt und beseelt war.

Ich glaube, daß wir die alten Fähigkeiten wieder in uns erwecken können. Und dann brauchen wir kein Internet und all den technischen Mist, der immer mehr zerstört und Menschen in eine virtuelle Realität führt, die sie letztlich dumm und unglücklich macht, weil sie zur äußersten Trennung von allem Lebendigen führt. Aber ich halte nichts von denjenigen, die ein paar Seminare gemacht haben und sich dann Schamane nennen. Davon habe ich einige kennengelernt und kann nur sagen: Nein danke! Um Schamane oder Seherin zu sein, braucht es mehr als ein paar Workshops.

Die Zwetschenernte reichte dieses Jahr nur für einen kleinen Kuchen

Zurück zum Buch: Der Schamane hat eine ziemlich große Summe von der Familie für seine Künste gefordert. Da fragte man sich zunächst, wieso ein Mann, der ein so bescheidenes Leben ohne großen Besitz führt, noch dazu in einer Umgebung, wo es nichts zu kaufen gibt, soviel Geld braucht. Dann aber stellt sich heraus, daß ein großer Teil dieses Geldes an die anderen Familien des Camps geht, damit kein Neid entsteht. Was für eine unglaublich andere Einstellung zu Besitz! Mittlerweile habe ich gehört, daß so ein Vorgehen nicht ungewöhnlich für indigene Völker ist und war: damit alle in Frieden leben können, wird geteilt. Besitz ist dann etwas Fließendes. Kein Neid, kein krampfhaftes Festhalten mehr, kein Horten, geschweige denn sowas Perverses wie Kredite und Zinsen. Die Erde macht es vor: sie gibt uns alles, was wir brauchen und alles kommt und geht in unendlichem Kreislauf.

Letzte Woche war ich in Hamburg. I , die mittlerweile dort in einem riesigen Neubaukomplex wohnt, hatte mich zu ihrem Geburtstag eingeladen. Ich habe gemerkt, daß ich so nicht leben könnte, in einem gigantischen Wohnkasten mit so vielen Menschen. In der S-Bahn schauten die meisten auf ihre Smartphones, es war bedrückend. Die ganze Stadt fühlt sich bedrückend an. Vielleicht liegt das auch an der elektromagnetischen Strahlung, die mittlerweile von überall herkommt. Vor vielen Jahren tauchten einmal ganz plötzlich die Worte „Diese Welt wird untergehen“ in mir auf und ich wusste, daß sie wahr waren. Ja, sie wird untergehen und sie muss untergehen, weil es so einfach nicht weitergehen kann.  Und es wird keinen Guru, keinen Führerin, keine erleuchtete Gestalt geben, der oder die uns rettet. Wir selbst müssen es tun, jeder einzelne von uns ist gefragt. Es geht darum, endlich erwachsen zu werden, davon bin ich überzeugt.

Wer Englisch verstehen kann, dem lege ich ein Video mit Charles Eisenstein ans Herz, indem es auch um diese Themen geht:

https://charleseisenstein.substack.com/p/visions-for-a-more-beautiful-world?publication_id=427455&post_id=136351437&isFreemail=true

„We are offered a choice“ (Charles Eisenstein). Wir entscheiden, wohin wir gehen.

Gute Lektüre

 

Mein Sohn und seine Freundin waren ein paar Tage zu Besuch. Während in anderen Teilen Europas große Hitze herrscht, haben wir hier im Norden durchwachsenes Wetter mit sehr viel Regen und teilweise herbstlichen Temperaturen. Das geht jetzt seit Juni so. Ich beschwere mich aber nicht, weil der Regen gut für die Erde ist. Man muss sich einfach kleidungsmäßig und mental drauf einstellen. Wir hatten jedenfalls eine gute Zeit und waren am Samstagabend in Holtenau im Schiffercafé am Tiessenkai, wo wir Fisch gegessen und den Kreuzfahrt- und Frachtschiffen zugesehen haben, die in der Förde fuhren. Schöner Platz mit toller Aussicht!

Von meinem Sohn habe ich zwei Bücher bekommen, die ich beide empfehlen kann:

Materialermüdung ist ein Roman von Dietrich Brüggemann. Der Autor ist Regisseur u. a. von wenigstens einem Tatort und einer der Initiatoren der Aktion #allesdichtmachen, die ich sehr mutig und gelungen fand. Viele der Künstler, die sich an dieser Aktion beteiligt hatten, mussten dafür erhebliche Nachteile in Kauf nehmen. Dietrich Brüggemann bekam eine Absage von dem Verlag, bei dem sein Buch eigentlich veröffentlicht werden sollte. Er hat dann aber glücklicherweise einen neuen gefunden, denn dieser Roman ist wirklich gut zu lesen. Er befasst sich auf unterhaltsame Weise mit all den Verrücktheiten unserer Zeit und nimmt zu meinem großen Vergnügen den immer unerträglicheren Wokismus sehr fein auf die Schippe.

Das zweite Buch habe ich gerade erst angefangen, kann aber jetzt schon sagen, daß es ein Schatz ist: Coronastaat von Alexander Christ. Alexander Christ ist der Pressesprecher der Anwälte für Aufklärung. Er ist selbst Anwalt und hat seit Beginn der Coronamaßnahmen Einschränkungen unserer Grundrechte mit scharfen Augen und wachem Verstand beobachtet, anwaltliche Hilfe geleistet und war Zeuge der ungeheuren Brutalität der Polizei bei den Demonstrationen der Maßnahmenkritiker in Berlin. Er hat nicht nur Jura sondern auch Philosophie studiert, was man dem Buch anmerkt. Es ist nicht immer leicht zu lesen, aber mir gefällt die Offenheit, mit der er seine ganz persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema beschreibt. Ich freue mich, daß es Menschen gibt, die den Mut haben aufzustehen und laut zu sagen: Hier ist ein großes Unrecht geschehen – und geschieht immer noch. Und bevor die ganze Sache aufgearbeitet wird, ist kein Verzeihen möglich. Er befasst sich auch mit der erschreckenden Obrigkeitshörigkeit eines großen Teils der Deutschen. Nix gelernt aus 33 – 45! Es wird Zeit, daß wir alle erwachsen werden, dann brauchen wir keine mehr, die uns sagen, was für uns gut und richtig ist.

Alexander Christ hat seinem Buch einen Satz von Kurt Tucholsky vorangestellt, dem ich aus ganzem Herzen zustimmen kann:

„Denn nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“

Synchronizitäten

Einige brauchen dicke Mauern (Château de Spesbourg)

Vorgestern schrieb ich über Kerstin Chavents Artikel über Tiere, in dem auch die Schlange angeführt wurde. Gestern Morgen beim Öffnen der Gartenpforte huschte eine Ringelnatter in den Polsterbeinwell; ich konnte gerade noch ihren Schwanz sehen. Als ich wenig später draußen war,  schlängelte sich diese Ringelnatter über die Stufen vor der Haustür; ich konnte deutlich die weißen Halbmonde an ihrem Kopf erkennen. Ich freute mich sehr und dachte: „Aller guten Dinge sind drei.“ Wenig später sah ich die Schlange wieder vor dem Haus. Dieses Mal verschwand sie unter der großen Salbeipflanze. Und es gab sogar noch eine vierte Begegnung, auch wieder vorm Haus. Es war, als hätte die Schlange Kerstin Chavents und meine Wertschätzung mitbekommen und wollte sich auf diese Weise erkenntlich zeigen. Wie auch immer, es gibt ja diese Märchen, wo eine Schlange in der Nähe von Menschen wohnt und von diesen mit einem Schälchen Milch versorgt wird. Wenn man sie schlecht behandelte oder tötete, kam Unglück über das Haus. Interessant finde ich auch, daß die Schlange in den Märchen oft von einem Kind versorgt wird. Das ist doch eine viel schlüssigere Geschichte als die von Eva und der Schlange, die zur Erbsünde geführt haben soll.

Gestern fuhr ich mit dem Fahrrad zum Kiesgrubenbiotop, um Pflanzen für meinen diesjährigen Kräuterbuschen zu sammeln. Ich traf dort einen Fasan, der sich beeilte wegzukommen, als er mich sah. Verständlich: es standen mindestens vier Hochsitze auf dem Areal, einer davon war umgestürzt. Jedes Jahr ändert sich dort die Vegetation ein wenig. Als ich vor mehr als 10 Jahren diesen Ort entdeckte, wurde an einer Stelle noch Kies abgebaut. Huflattich bedeckte einen großen Teil des Geländes und machte seinem Ruf als Pionierpflanze, die kaputte Böden regeneriert, alle Ehre. Huflattich regeneriert auch entzündete Bronchialschleimhäute und ist eine hervorragende Heilpflanze bei Bronchitis und Raucherhusten. Ich weiß, wovon ich rede: ich war mal starke Raucherin. In den folgenden Jahren kamen andere Pflanzen: Schlafmohn, Karden, Riesenbärenklau, Beinwell, Tausendgüldenkraut, Schafgarbe, Johanniskraut, Frauenmantel, Zahnwurz, Beifuß, Königskerze, roter und weißer Fingerhut. Einige davon haben sich gehalten, andere verschwanden bald wieder wie der gelbblühende, duftende Honigklee, der sich dort nur einen Sommer hielt.

Als ich meinen Strauß fast zusammenhatte und auf dem Weg zu meinem am Tor angeschlossenen Fahrrad war, entdeckte ich eine einzelne Eisenkrautpflanze. Noch eine Synchronizität wie mein Erlebnis mit der Ringelnatter. Ich habe zwei Eisenkrautpflanzen im Garten, die ich vor einigen Jahren in einer Wildpflanzengärtnerei gekauft habe. Aber ich hatte noch nie wildwachsendes Eisenkraut gesehen. Dann entdeckte ich diese Pflanze im Wald um den Odilienberg, wo sie massenweise auf den Wegen wuchs. Und jetzt fand ich sie hier! Sie musste dann natürlich auch in meinen Kräuterbuschen. Eisenkraut wurde früher nicht nur als Heilpflanze geschätzt sondern zu Friedensverhandlungen und Vertragsabschlüssen mitgenommen. Ihr botanischer Name Verbena ist vom lateinischen Verbum (Wort) abgeleitet. Eisenkraut war also die Pflanze, die bezeugte, daß das Wort galt. Wer zu schwierigen Verhandlungen ging, sollte ein Amulett aus Eisenkraut bei sich tragen.

Abends habe ich den Kräuterbuschen dann mit Salbei abgeräuchert und im Flur aufgehängt. Dort erinnert er daran, daß gegen jede Krankheit ein Kraut gewachsen ist.

Um Mitternacht ging ich in den Garten, um ein paar Perseiden zu entdecken. Die Sicht war klar, die Milchstraße spannte ihr Band von Nordost nach Südwest, ich konnte sogar das Reiterlein (Alcor) auf dem mittleren Deichselstern des großen Wagens erkennen, aber die Perseiden machten sich rar. Eine einzelne Sternschnuppe ließ sich blicken. Na immerhin!

Eigentlich…

…wollte ich heute einen internetfreien Tag einlegen und viel im Garten machen. Aber dann stellte ich fest, daß die Schlagsahne im Kühlschrank zur Neige ging und fuhr nach Lütjenburg, um welche zu kaufen. Natürlich ist es keine gute Idee, mit dem Auto 12 km hin und zurück nur wegen Sahne zu fahren, aber heute habe ich mir erlaubt, einer schlechten Idee zu folgen. Weder im Bioladen noch auf dem sehr vollen Markt noch im Reformhaus war Schlagsahne erhältlich. Also fuhr ich etwas missgestimmt zurück und hatte dann eine neue Idee: nämlich in der Selenter Flohmarkthalle nach einem Wäschekorb zu schauen. Ich fand tatsächlich einen sehr gut erhaltenen für 28 Euro.

Ich war schon länger auf der Suche nach einem Ersatz für meinen hässlichen Plastikwäschekorb in 70er Jahre Orange und hatte auch im Onlinehandel danach gesucht. Bei einem Ökoversand gab es relativ preiswerte, ich vermute made in China, denen man aber auf dem Foto schon ansah, daß sie schlecht verarbeitet waren. Ein anderer Anbieter wollte knapp 300 Euro, was vielleicht für Handarbeit ein angemessener Preis, aber für mich einfach zuviel ist. Ich finde den Gedanken, gebrauchte Dinge zu kaufen, sehr sinnvoll: es gibt ohnehin schon mehr als genug Gegenstände in der Welt, die weiterbenutzt werden können. Nur bei Kleidung bin ich noch nicht soweit auf Second Hand zurückzugreifen. Ich trage aber meine Kleidungsstücke in der Regel sehr viele Jahre, d. h. ich brauche sie oft richtig auf.

Dann fing es an aus Eimern zu schütten und damit hatten sich meine Gartenpläne erledigt. Ich setzte mich also vor den Laptop und bestellte ein Ersatzteil für meinen Kaminofen, eine Reinigungsplatte aus Gusseisen. Die alte war durch Hitze völlig verformt und fing an sich aufzulösen. Anfang des Jahres hatte ich die bei dem Mann bestellt, der vor 13 Jahren meinen Ofen eingebaut hatte. Das war nicht einfach, denn er ist telefonisch praktisch nicht erreichbar, ruft auch nicht zurück, wenn man ihm eine Nachricht hinterlässt und hat nur eine Stunde in der Woche seinen Laden geöffnet. Er sagte mir gleich, daß es schwer sei, Ersatzteile zu bekommen. Dann hörte ich nichts mehr von ihm und konnte ihn auch nicht erreichen. Als meine Geduld im Mai zu Ende war, bestellte ich das Teil bei einem Ofenanbieter in Kiel. Dort ging es professioneller zu; meine Bestellung wurde am Computer aufgenommen und ich hatte Hoffnung. Nichts geschah. Irgendwann fragte ich nach und erfuhr, daß man auf die Lieferung warte. Als ich gestern im Internet nach dem Teil forschte, wurde ich sofort fündig und erfuhr, daß es lieferbar sei. Warum ich das so ausführlich erzähle? Ich versuche so oft wie möglich den Einzelhandel zu unterstützen. Den ganz großen Onlineanbieter, dessen Namen jeder kennt, umgehe ich konsequent. In diesem Fall handelt es sich um einen Ofenanbieter aus Meck-Pom. Was ich nun nicht begreife: warum können die beiden Unternehmen, die ich ursprünglich beauftragt habe, das Ersatzteil nicht bekommen? Rätselhaft.

Während vor dem Fenster der Regen fiel, surfte ich ein wenig herum und stieß auf Texte, die ich weiterempfehlen möchte: blog.bastian-barucker.de/im-gespraech-mit-klimaaktivisten-verstaendnis-fuer-die-letzte-generation/

Sehr lesenswert, weil völlig ohne Polemik und alle Seiten sehr offen ausleuchtend. Ich bin es zunehmend leid, im Internet und auch im privatem Kontext dem Dauergeschimpfe auf die „Anderen“ zu begegnen. Ja, es gibt eine Menge Gründe, wütend und empört zu sein und die vergangenen dreieinhalb Jahre haben diese Gefühlszustände noch potenziert. Aber es ist immer das gleiche unheilvolle Muster: dort ist der Feind und hier sind die Guten. Das sagen dann alle und es kann rein logisch nicht stimmen. Außerdem bedienen wir mit dieser Haltung die Absichten derer, die uns beherrschen. Bastian Barucker hat sich also mit den Klimaaktivisten unterhalten, jeder kam zu Wort und jedem wurde zugehört. So kann sich etwas Neues entwickeln.

Auch die wunderbare Kerstin Chavent hat wieder schöne Texte verfasst, z. B. diesen hier: bewusstseinimwandel.blogspot.com/2023/07/verlorene-macht.html

Es geht um die ehemals als heilig angesehenen Tiere Schlange, Ratte und Spinne. Daß die drei nun gerade in unserer Kultur gefürchtet und als vernichtenswert angesehen werden, hat seinen Ursprung in der christlichen Religion. Ich habe viele Spinnen als Mitbewohnerinnen und weiß, daß ihr Anblick für einige meiner Besucherinnen eine Herausforderung ist. Wenn mir ab und zu im Garten oder auf meinen Wanderungen eine Ringelnatter begegnet, freue ich mich. Tja, und Ratten gibt es hier auch. Ich möchte sie nicht im Haus haben, aber ich weiß, daß sie überaus kluge und soziale Tiere sind und bisher halten wir respektvoll Abstand.

 

Tiergeschichten

Jetzt bin ich seit einer Woche wieder zu Hause und denke noch oft ans Elsass zurück. Ich würde gern wieder dahin fahren und dort in Ruhe die alten Stätten und die Pflanzen erkunden.

In der Nähe unseres Dorfes trafen wir bei einem Gehöft auf eine sehr kleine rot-weiß getigerte Katze, vielleicht vier Wochen alt, die uns begrüßte, um meine Beine strich und dann auf Schritt und Tritt folgte. Dann zeigten sich auch ihre Geschwister, die auf einem Holzstapel zwischen Obstbäumen saßen und nicht so zutraulich wie ihr kleiner Bruder oder ihre kleine Schwester waren. Ihre Mutter beobachete uns von Weitem. Nachdem wir ausführlich mit dem kleinen Wesen geschmust hatten, setzten wir unseren Weg fort und das Tier folgte uns. Ich fing an mir Sorgen zu machen. Würde es uns immer weiter begleiten? Und wie würde es zurück zu seiner Familie kommen? Ich weiß ja, daß Katzen einen enormen Orientierungssinn haben, aber diese war so klein und schien uns immer weiter folgen zu wollen. Dann hörten wir lautes Rufen: eins der Katzengeschwister kam hinter uns her und rief. Das Kleine drehte um und ging zu seiner Familie zurück. Es war so schön und rührend, daß dieses Tier keine Scheu vor uns Menschen hatte.

Der Maennelstein, von dem wir bis zum Schwarzwald sehen konnten

Auf der Suche nach dem Jardin des Fées haben wir uns verirrt. Vielleicht lag es an ungenügender Ausschilderung, vielleicht hatten wir beide etwas übersehen, vielleicht wollten die Feen uns nicht empfangen, jedenfalls entschieden wir am späten Nachmittag den Rückweg anzutreten. Wir hatten uns mittlerweile weit von unserem Ausgangspunkt im Ort Lutzelhouse entfernt und kamen unbeabsichtigt am Rande von Urmatt wieder in bewohntes Gebiet. Von dort ging es dann nochmal mit müden Füßen auf Asphaltstraßen einige Kilometer Richtung Auto. An einer Straßenkreuzung entdeckte K. einen Spatz auf der Straße. Er lag auf dem Bauch, einen Flügel seltsam abgespreizt, und atmete sichtbar. Einen Schritt weiter lag der nächste Spatz auf dem Rücken, die kleine Füße angewinkelt. Auch er atmete und sah uns blinzelnd aus glänzenden Augen an. Was war geschehen? Vermutlich waren beide gegen ein vorbeifahrendes Auto geflogen. Sollten oder konnten wir etwas tun? Ich war so erschöpft und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und sagte zu K.: „Wir können sie hier nur in Ruhe sterben lassen.“ Wir gingen weiter, jede mit schweren Gedanken. Meine Tochter fragte: „Wäre es nicht besser gewesen, die beiden an die Seite zu legen, damit kein Auto über sie fährt?“ Ja, vielleicht. Vielleicht auch nicht. K. schlug vor, die Vögel in Sicherheit zu bringen, wenn wir mit dem Auto an dieser Stelle vorbeikämen. Das war nach etwa 20 Minuten. Beide Vögel waren verschwunden. Keine toten Vögel, keine Spur auf dem Asphalt. Langsam kam zögernde Erleichterung: sehr wahrscheinlich hatten die Tiere sich wieder berappelt und waren weggeflogen. Ich habe das vor einigen Jahren mal mit einem Buntspecht erlebt, der mit lautem Knall gegen eins meiner Küchenfenster geflogen war und draußen im Kies lag, lebendig, aber sichtlich benommen. Glücklicherweise hielt sich die Katze drinnen auf. Ab und zu sah ich nach dem Vogel, der schwer atmete und offensichtlich damit beschäftigt war, sich wieder zu sortieren. Irgendwann war er dann weg.

Andlau

 

Elsass

Die Heidenmauer – le mur païen

2008 war ich im Rahmen des Lehrgangs bei Alma mater im Elsass, um dort die Spuren vorchristlicher Stätten zu besuchen. Wir machten damals vom Odilienberg, dem heiligen Berg der Elsässer, Ausflüge und zum Abschluss ein schönes Schnitterinritual unterhalb des Odilienklosters.

Genau im gleichen Zeitraum, nur 15 Jahre später habe ich dieses Jahr mit meiner Tochter diese Stätten besucht. Wenn ich unsere Reise mit einem Wort beschreiben müsste, würde ich sagen: „Anstrengend.“ Das fing schon mit der Anreise per Auto an (bedauerlicherweise ist die Deutsche Bahn mittlerweile gar keine Option mehr; zu unzuverlässig und unberechenbar): Baustellen und Staus ohne Ende. Wir machten Zwischenstation in Bonn bei meinem Sohn, anders wäre es gar nicht gegangen. In Frankreich wurde es dann angenehmer auf der Autobahn, die uns an Straßburg vorbeiführte. Das letzte Mal war ich 1994 in Frankreich. Mittlerweile funktionieren die Péagestationen, an denen Maut bezahlt werden muss, vollautomatisch. Irgendwie finde ich das traurig. Nach all den Staus entschieden wir uns, die Rückfahrt nachts zu machen. Aber aus unerklärlichen Gründen landeten wir in Köln statt auf der A1 in Leverkusen und es dauerte, bis wir wieder auf dem richtigen Weg waren. Dann kam mitten in der Nacht wieder ein Stau mit absolutem Stillstand. Ein großer Abschleppwagen bahnte sich seinen Weg durch die drei vollbesetzten Spuren. Irgendwann ging es dann weiter. Es regnete sehr stark, so daß schnelles Fahren gar nicht möglich war. Ab Münster war es dann trocken und wir konnten endlich ohne Behinderung nach Hause fahren. Für die  Zukunft stellt sich die Frage, wie man noch verreisen kann: weder Auto noch Bahn sind eine gute Lösung, Fliegen macht auch keine Freude. Sicher ist die Ferienzeit besonders ungeeignet für Urlaube, aber da muss ich mich nach meiner Tochter richten, die berufsbedingt nur in den Ferien reisen kann.

Aber natürlich gibt es auch Schönes zu berichten: von Ottrott aus, wo wir eine Ferienwohnung gemietet hatten, machten wir lange Wanderungen auf und um den Odilienberg und besuchten dort die Heidenmauer, die Odilienquelle, das Kloster, die Grotte des Druides, den Maennelfelsen, von dem aus wir bis zum Schwarzwald schauen konnten und eine Gedenkstätte, die an einen Flugzeugabsturz im Wald erinnert. In unserer Wohnung lag Infomaterial. Da wurden alle Steinsetzungen, die man im Umkreis findet, als keltischen Ursprungs datiert, das sei wissenschaftlich bewiesen. Ich musste lachen, weil es immer wieder die gleiche falsche Behauptung ist. Diese Steinsetzungen sind in vorkeltischer Zeit entstanden und die Heidenmauer, die sich über 10 km um den Odilienberg windet, ist auch keine Befestigungsanlage, da es damals keine Siedlungen im Umkreis gegeben hat. Befestigungen kamen wesentlich später, wie wir an den reichlich vorhandenen Burgen erkennen konnten, z. B. dem Château de Spesbourg und dem Château d’Andlau. Die meterdicken Mauern, die Türme, die Zinnen gibt es erst, seit es Herrschaft und Krieg gibt.

An einem der Tage fuhren wir nach Andlau, einem kleinen Ort, in dem eine überdimensionale romanische Kirche steht. Dort gibt es ein großes Gemälde von Richardis, einer Kaiserin aus dem Stamm der Merowinger, die einen Bären an ihrer Seite hat. Unter der Kirche befindet sich die Krypta. Auch dort findet sich eine Bärin aus Stein. Zu ihren Füßen gibt es eine Klappe aus Holz. Wenn man sie öffnet, kann man sich auf einen Felsen stellen und wenn eine die Hand gleichzeitig in das Maul der Bärin legt, ist ganz deutlich ein starker Energiestrom zu spüren. Die Legende sagt, daß die Bärin Richardis diesen Platz gezeigt hat, indem sie an dem Felsen gekratzt hat. Daraufhin hat Richardis dort eine Kirche bauen lassen. Es gibt etliche schamanische Elemente sowohl in der Geschichte von Richardis als auch der von Odilia. Aber all die alten Geschichten wurden in einem badenwürtenbergischen Kloster zu Märtyrergeschichten umgeschrieben. Das war die Strategie der Kirche, wenn die Bevölkerung an den alten Riten festhielt und nicht bereit war, eine Religion anzunehmen, die auf einem Menschenopfer beruht. Richardis hatte also eine verbündete Bärin und Odilia schlief auf einem Bärenfell und wurde mit der Heilung von Augenkrankheiten in Verbindung gebracht.

Der Wald in diesem Teil der Vogesen unterscheidet sich sehr vom norddeutschen Wald: vorherrschend sind Esskastanienbäume, Robinien, gelegentlich Walnussbäume und Stechpalmen, auch Tannen. Und es gab es reife Blaubeeren. Es gibt auch viele Fichtenmonokulturen, die wie bei uns in einem trostlosen Zustand sind. Es lagen unglaublich viele gefällte Bäume im Wald herum und stellenweise hatten Harvester den Boden verwüstet. Später erfuhren wir auf einer Infotafel, daß man möglichst schnell alle vom Borkenkäfer befallenen Fichten fällen und abtransportieren wolle. Ob das eine gute Idee ist, bezweifle ich. Mir leuchtet da eher ein, was Peter Wohlleben zum Thema Fichten und Borkenkäfer sagt: nicht die Borkenkäfer sind das Problem sondern die Monokulturen.  Man solle diese Bäume sterben lassen und dann den Wald sich selbst überlassen. Wie alle lebendigen Systeme werde er sich regenerieren.

Ich entdeckte eine Tollkirsche im Wald, Stechäpfel, viele riesige Wasserhanfpflanzen, Eisenkraut, das mitten auf den Wanderwegen wuchs und einiges mehr, was ich zu Hause nicht finde. Mein Pflanzenbestimmungsbuch hatte ich zu Hause gelassen, haderte damit aber nur kurz, weil ich auf diese Weise die unbekannten Pflanzen viel genauer betrachten musste, um innere Bilder für die spätere Bestimmung mitzunehmen.

Am Donnerstag besuchten wir den Markt von Obernai, einer nahegelegenen Kleinstadt. Der befand sich in einer Lindenallee auf den Remparts, die sich um die ganze Innenstadt ziehen und auf denen die alte Stadtmauer stand. Wir deckten uns mit Gemüse, Eiern und Käse ein. Ein Imker verkaufte Tannenhonig und ich kam mit ihm ins Gespräch – auf Französisch. Wir haben richtig gefachsimpelt und ich freute mich darüber, daß mein Französisch dank François‘ tollem Unterricht so gut geworden ist, daß ich mich recht flüssig unterhalten und die Menschen verstehen konnte. In der Altstadt von Obernai ließ uns ein lautes Klappern nach oben schauen und da saß ein Storchenpaar auf seinem Nest. Später sahen wir auch viele Störche auf einer Wiese.

Am vorletzten Abend gingen wir essen: lecker und teuer. Ich aß Choucroute (Sauerkraut) mit Fisch. Sauerkraut ist typisch für das Elsass und die Kombination mit Fisch fand ich überraschend  gelungen. Später ging der Koch herum und fragte, wie es geschmeckt habe. Er sprach Deutsch und ich antwortete auf Französisch. Er wirkte gut gelaunt und tätschelte meinen Rücken. In Barr hatten wir eine seltsame Begegnung: ein älterer Mann sprach uns auf Deutsch an und forderte uns auf seinen Garten anzusehen. Das wollten wir nicht und ich sagte, daß wir einen Salon de thé (witzigerweise heißen die Cafés in Frankreich so) suchten. Er führte uns zu einem, redete dabei die ganze Zeit ein mir weitgehend unverständliches Deutsch, lachte seltsam und machte ebenso seltsame Sprüche über Deutsche („Die Deutschen sind da, dann ist alles klar“). Glücklicherweise folgte er uns nicht ins Café, wo wir Gâteau de myrtilles (Blaubeerkuchen) und Forêt noire (Schwarzwälder Kirschtorte) aßen. Kochen und backen können sie, die Franzosen! Ich fand die Leute fast überall sehr freundlich. Man grüßt sich auf den Wegen und der Straße mit „bonjour“ und einige setzten sogar ein „mesdames“ dazu, zum Abschied wünscht man sich „bonne journée“ oder „bonne soirée“. Ein alter Mann half mir an der Tankstelle mit dem Benzinschlauch, der sehr lang gezogen werden musste, weil meine Tanköffnung auf der falschen Seite war. Dabei verwickelte er mich in ein Gespräch über die horrenden Spritpreise, die den deutschen entsprechen.