Verantwortung

Am Wochenende war ich in Flensburg. Es hat fast ununterbrochen geregnet. Eigentlich geht das schon den ganzen Winter so, aber laut einer Meldung im Radio sind die Wasserreservoirs nach den trockenen Sommern noch nicht wieder aufgefüllt. Mir geht es ja wie wohl den meisten Menschen: sonniges Wetter macht mir gute Stimmung. Aber mittlerweile nehme ich auch Regen ohne zu hadern. Wir leben in Zeiten des Klimawandels. Das einzig Sinnvolle, was ich tun kann, ist mit aller Leidenschaft zu leben und mich an dem zu freuen, was schön ist. Und das ist viel.

Wir sind also bei Regen nach Holnis gefahren, eine kleine Landzunge bei Glücksburg, die teilweise nur den Vögeln gehört, und haben dort einen Spaziergang gemacht. Ansonsten gab es gutes Essen wie immer: vormittags Frühstück im Café K., abends vegetarische Pasta bolognese mit Linsen zu Hause. Sehr lecker, ich werde es in mein Repertoire aufnehmen. Wenn man den Pecorino wegließe, wäre es vegan.

In der letzten Zeit kommt es mir so vor, als begegnete ich ständig Menschen, die in ihren negativen Mustern feststecken. Das sieht so aus: es geht einer Person schlecht, sie macht Andere dafür verantwortlich, daß eigene Erwartungen nicht erfüllt werden, die anscheinend die unverzichtbare Voraussetzung für das persönliche Wohlergehen sind. Wenn ich versuche, einen Perspektivwechsel herbeizuführen, stoße ich auf massiven Widerstand: nein, es ist immer schon schlecht gewesen, es wird nie gut werden, man war schon immer ungeliebt, hatte keine Freunde, wird nie welche haben usw. Ganz offensichtlich wurde ich da Zeugin, wie eine sich in eine handfeste Depression hineinschraubte. Ich habe schon mal gesagt, daß meiner Meinung nach Depression durch falsches Denken entsteht. Und bevor sich einige meiner Leser*innen jetzt vielleicht angegriffen fühlen, weil ich ihre Depression nicht als Krankheit sondern als fatale Angewohnheit sehe: Ich weiß, wovon die Rede ist, ich habe diese Zustände selber vor langer Zeit gewohnheitsmäßig gehabt und durch immer die gleichen Gedankenschleifen aufrechterhalten: Keiner versteht mich, keiner nimmt mich wahr, wie ich wirklich bin, keiner interessiert sich für mich, es liegt ein Fluch auf mir, für mich ist Glück in diesem Leben nicht vorstellbar. Ich kenne es, daß eine dann Verantwortliche sucht. Das sind im Zweifelsfall natürlich die Eltern, vor allem die Mutter. Dann kann man lange und ausführlich darüber lamentieren, was die Eltern alles falsch gemacht haben. Freund*innen, die noch nicht die Flucht ergriffen haben, bemühen sich dann vielleicht, eine auf bessere Gedanken zu bringen, aufzumuntern, Ratschläge zu geben. Aber damit scheitern sie in der Regel. Weil es da diese heimliche Sucht gibt, sich unglücklich zu fühlen. Weil es eine Art Lust ist, sich dem Elend hinzugeben, darin sozusagen zu schwelgen. Oft gibt es dann noch Streit, und ich behaupte, daß dieser Streit von der unglücklichen Person auch gewollt wird, nicht ganz bewusst, aber doch als Bestätigung für ihre Überzeugung, daß sie sowieso die ärmste Sau auf der ganzen Welt ist. Depression ist eine schlechte Angewohnheit, behaupte ich.

Bei mir kam der Wendepunkt Weihnachten 1985. Da bekam ich einen Brief von meiner Freundin P., die mir mitteilte, daß sie Weihnachten nicht mit mir verbringen wollte wie eigentlich geplant. Sie habe das Gefühl, daß unsere Wege auseinander gingen, sie fühle sich nicht mehr wohl in meiner Gegenwart. Die Depression, die danach folgte, war tief und düster. Aber anders als sonst gab es einen Teil in mir, der das Ganze beobachtete: wie ich mich mit meinen Gedanken in die Tiefe schraubte, wie die Musik, die ich hörte, mich vollends ins tiefe Loch rissen (Heart and Soul von Joy Division), wie all meine Energie in ein schwarzes Loch gezogen wurde. Und am nächsten Tag wusste ich mit großer Klarheit: ich will diese Zustände nicht mehr. Ich brauche Hilfe. Ich brauche eine Körpertherapie.

Von da an ging es aufwärts mit mir. Ja, es gab noch Zeiten, wo ich für kurze Zeit in mein altes Muster rutschte, aber der Bann war gebrochen, der ewige Grauschleier war verschwunden. Gelernt habe ich dabei, daß es gut sein kann, eine Person zu haben, die in diesem Prozess Hilfestellung gibt. Aber die Grundvoraussetzung ist der klare Wille, etwas Neues zu lernen und dran zu bleiben. Das ist Arbeit, die über Jahre geht und sie lohnt sich.

Im Nachhinein bin ich P. dankbar für ihren Brief. Wir waren danach keine Freundinnen mehr, aber sie hat mir die Verantwortung für mein Leben zurückgegeben. Und damit hat sie mich auf den Weg zur Heilung gebracht.

Veredeln und verbessern?

Die Mail einer meiner Leserinnen regt mich zu folgenden Erwägungen an: in der anthroposophischen Medizin und Landwirtschaft wird viel Wert darauf gelegt, der Natur entnommene Substanzen durch Bearbeitung zu verbessern, bzw. zu veredeln. Ich vermute, daß Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie seine diesbezüglichen Inspirationen aus der Alchemie bekommen hat.

Vorab: ich habe mit der anthroposophischen Medizin wesentlich bessere Erfahrungen als mit der Schulmedizin gemacht. Was die Landwirtschaft angeht, gibt es einige Methoden, denen ich folgen kann: z. B. das lange Rühren von Pflanzenbrühen und Tees, um die Substanzen zu potenzieren. Das wird ja auch in der Homöopathie gemacht, mit der ich übrigens gemischte Erfahrungen gemacht habe.

Es gibt da aber auch viel, was ich richtig falsch finde: z. B. wird in einem anthroposophischen Gärtnerbuch empfohlen, die Beete vor dem Winter umzugraben wegen der Frostgare. Oder man soll oft zu bestimmten Zeiten seine Beete durchhacken, um „kosmische Einflüsse“ in die Erde zu bringen. Das habe ich früher brav so gemacht (na ja, mit dem Hacken kam ich aus Zeitmangel nicht so richtig hinterher). Heute weiß ich, daß das Umgraben richtig schädlich ist, weil es die organische Ordnung des Boden völlig durcheinander bringt und Bodenorganismen massiv stört. Ich arbeite mittlerweile viel mit Mulch und hacke nur noch oberflächlich. Sehr harten Boden lockere ich, indem ich mit der Grabgabel reinsteche und sie einige Male vor und zurückbewege. Dann kann ich auch unerwünschte Pflanzen einigermaßen leicht rausziehen.

Wenn ich Pflanzentinkturen herstelle, setze ich auf Einfachheit. Das habe ich von Susun Weed gelernt, und es hat mir von Anfang an eingeleuchtet: ich lasse die frisch gesammelten und zerkleinerten Pflanzen zusammen mit hochprozentigem Alkohol (meistens ist das Wodka, manchmal Weingeist) in Gläsern auf der Fensterbank sechs Wochen lang ziehen und setze sie damit dem Einfluss von Sonne und Mond aus. Das genügt, um wirksame Medizinen herzustellen.

Ich finde nicht, daß wir Menschen kosmische Einflüsse in den Boden oder sonstwohin bringen müssen, damit etwas besser wird. Ich halte dieses Denken für überheblich, weil es voraussetzt, daß wir kleinen Lichter besser wüssten als die freie wilde Natur, was gut ist. Die kosmischen Kräfte kommen schon von selbst, wenn sie Lust dazu haben.

Wild und frei lebende Tiere wissen, welche Pflanzen sie bei Krankheiten zu sich nehmen müssen. Das funktioniert offensichtlich gut bei ihnen. Sie brauche keine Impfungen, keine Antibiotika, keine Hygienevorschriften, keine Desinfektionsmittel. Ja, und manchmal werden sie nicht wieder gesund und sterben. Das ist normal. Das ist das Leben. Erst wir Menschen haben alles so kompliziert gemacht. Gesünder sind wir dadurch nicht geworden, im Gegenteil.

Neulich hörte ich im Radio, daß man jetzt einen Impfstoff gegen Gürtelrose habe. Der ganze Bericht war übrigens eine einzige Warnung: Gürtelrose sei eine gefährliche Krankheit, sie sei hochansteckend (was absolut nicht wahr ist) und heile oft nicht aus. Dieses Hysterieschüren geht mir gewaltig auf den Geist, und ich frage mich, welche Pharmafirma da schon wieder hintersteht. Ich hatte vor zwei Jahren eine Gürtelrose, die ich ohne jegliche Medikamente auskuriert habe. Die Schmerzen waren moderat und es wurde nur dann unangenehm, wenn ich mich angestrengt hatte. Also folgte ich meinem Körper: ich ließ mich krank schreiben und erlaubte mir Ruhe, gutes Essen und trank Tees aus Mädesüß und Melisse. Außerdem vermied ich den Kontakt mit anstrengenden Menschen.

Mal wieder Sturm

Dieses freundliche Rind habe ich bei meinem Strandspaziergang letzte Woche getroffen

Vorgestern waren die Nachrichten voll mit der Ankündigung eines gewaltigen Orkans. Was mich daran nervt: ständig wird wegen irgendeiner Sache Panik geschürt. Meine Güte, wir leben im Norden, wo Stürme an der Tagesordnung sind. Die Menschen, die hier leben, wissen, was das bedeutet und richten sich darauf ein. Es ist ja eine richtige Sucht, alles Mögliche so dramatisch wie möglich darzustellen. Angst ist ein wichtiges Gefühl, das uns beim Überleben helfen kann, weil es die notwendige Handlungsenergie liefert. Panik ist (selbst)gemacht. Sie hilft nie weiter, sondern treibt Menschen entweder in die völlige Handlungunfähigkeit oder zu wenig sinnvollen Handlungen. Das bemängle ich auch an Greta Thunbergs oft wiederholtem Satz: „I want you to panic.“ Ich weiß, daß sie da von ihrer eigenen Panik redet und werfe es ihr daher nicht vor.

Ich jedenfalls liebe Sturm. Das ist so, seit ich Kind war. Ich habe Sturm als lebendige Wesenheit erfahren. Damit bin ich nicht allein: die westafrikanische Oya ist eine Sturmgöttin und auch im Deutschen findet sich im Begriff „Windsbraut“ eine Personifizierung des Windes. Daß es auch Anderen geht wie mir, habe ich gestern abend im Schleswig-Holstein-Magazin gesehen: die Menschen an der Westküste, die richtig glücklich aussahen, weil sie diese Naturkraft mit allen Sinnen erfahren durften.

Ich traf mich gestern nachmittag mit M. in Hohwacht zum Kaffeetrinken. Bei der Gelegenheit sah ich mal wieder, daß mir dieser Ort überhaupt nicht zusagt: so hundertprozentig touristisch, und jetzt hat man direkt am Strand mehrere schnieke Häuser errichtet, deren untere Etagen mit Sicherheit nach jedem größeren Sturm überflutet sein werden.

An der Steilküste von Hubertsberg

Dann fuhr ich allein nach Hubertsberg und machte eine Spaziergang an der Steilküste. Unten war es geradezu windstill. Auch das Meer wirkte fast glatt. Mir begegnete ein Paar, das offensichtlich Bernsteine im angeschwemmten Tang suchte und fand. Ich war ein bisschen neidisch, denn ich habe bis jetzt noch kein Auge für Bernstein, wohl aber für Lochsteine und Donnerkeile. An einer geeigneten Stelle kletterte ich nach oben. Da musste ich dann aber einen respektvollen Abstand zur Abbruchkante halten, weil der Sturm hier so stark blies, daß er mich mühelos in die Tiefe geweht hätte.

Auf dem Heimweg dämmerte es schon. Hinter dem Ortsausgangsschild von Selent in der Kurve standen drei Autos. Zwischen ihnen lag eine schenkeldicke Fichte. Ich schaltete die Warnblinkanlage an, zog mir tatendurstig schon mal meine Handschuhe an und stieg aus dem Auto. „Schaffen wir’s den Baum gemeinsam aus dem Weg zu räumen?“ fragte ich die Leute, die abgefallene Äste wegräumten. Aber natürlich hatten sie das schon vergeblich versucht. Einer telefonierte und sagte, daß die Feuerwehr gleich käme. Ich überlegte kurz, ob ich den Waldweg nehmen sollte, den ich immer zu Fuß nach Selent gehe. Aber da wäre ich wahrscheinlich im Schlamm versunken, und eine Garantie, daß dort keine weiteren umgestürzten Bäume lagen, gab es auch nicht. Also fuhr ich zurück bis Bellin und nahm den Feldweg von hinten ins Dorf. Das ging gut und dann machte ich es mir am warmen Ofen gemütlich und hörte dem Brausen des Sturms zu.

Ostsee bei Sturm