Winter is coming

Zwei Geburtstage: erst der meiner Tochter, wenige Tage später meiner. Früher musste ich mir oft anhören, welch unbeliebte Charaktere die Skorpione sind. Mag sein, daß uns der eine oder die andere problematisch findet. Da ich aber nicht an Einsamkeit leide, kann es ganz so schlimm nicht sein. Man sagt den Skorpionen nach, daß sie tief sehen können und das, was sie sehen, deutlich aussprechen. Außerdem sollen sie extrem resilient sein und in sehr schwierigen Situationen voll in ihrer Kraft sein können. Ich glaube, da ist was dran. Ja, wir sind manchmal ungemütlich und kompromisslos. Ich habe gelernt, das als Qualität zu sehen. Ein weiteres Lebensjahrzehnt ist also vollendet und ich bin mal wieder erstaunt, wie lange ich es in meiner derzeitigen Inkarnation schon aushalte. Die Erde ist ja eigentlich ein sehr schöner Ort, aber die heutigen Zeiten sind teilweise kaum zu ertragen: Krieg, Korruption in der Politik, Naturzerstöung. Jetzt gerade werden massenweise Bäume im Reinhardswald gefällt, um gigantische Windräder aufzustellen, die alles andere als nachhaltig sind. Wir werden von Verrückten regiert, die sich offensichtlich vorgenommen haben, den letzten Rest Lebendigkeit auf dieser Planetin zu zerstören. Ich muss in den letzten drei Jahren oft an George Orwells 1984 denken. Die Verfilmung dieses Romans, der sich mittlerweile als visionär herausgestellt hat, gehörte während meiner Schulzeit zum Pflichtprogramm, um deutlich zu machen: so funktioniert Diktatur. Mittlerweile kann man sagen, daß die Slogans dieser dystopischen Gesellschaft auch in unserer Realität gelten: Krieg ist Frieden, Lüge ist Wahrheit, Freiheit ist Sklaverei. Der Genozid an den Palästinensern wird als Selbstverteidigung Israels  dargestellt und von unserer Chefdiplomatin abgesegnet. Diplomatie hat also offensichtlich auch einen Bedeutungswandel erfahren. Und wer solche Sätze schreibt, kann damit rechnen, als Antisemit bezeichnet zu werden. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Angriffe der Hamas sind ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber das Auslöschen eines ganzen Volkes ist es auch.

1992 saß ich am Hafen von Piräus und wartete auf die Fähre nach Naxos, wo J. mich erwartete. Ein junger Israeli sprach mich an und lud mich zum Kaffee ein, was ich annahm. Ich bin immer neugierig auf die Geschichten von Menschen aus anderen Kulturkreisen. Wir unterhielten uns und irgendwann fragte ich ihn nach der Situation der Palästinenser. Ich kam nämlich gerade von einem Treffen von Körpertherapeuten auf Korfu, wo ich einen Palästinenser kennengelernt hatte. Der lebte schon seit Jahren in der Schweiz und hatte mir erzählt, daß seine ganze Familie im Exil lebte, weil es für sie in Palästina nicht mehr erträglich war. Der Israeli sagte mit verächtlicher Stimme und kaltem Gesicht: „The palestinians can live in the desert. There ist enough space.“ (Die Palästinenser können in die Wüste gehen. Da ist genug Platz). Es ist wohl so, daß ehemalige Opfer Gefahr laufen, selbst zu Tätern zu werden, auch über Generationen hinweg.

Wer sich für die Informationen interessiert,  die die Leitmedien nicht bringen, dem kann ich die Nachdenkseiten empfehlen.

Fruchtstand des Bilsenkrauts

Der Winter ist da. Heute Morgen lag eine dünne Schneedecke auf der Landschaft. Ich hatte schon vor einigen Tagen zwei Regentonnen ausgeleert, damit das gefrierende Wasser sie nicht sprengt. Heute versuchte ich das bei der dritten. Aber der Holzdeckel war festgefroren. Ich goss einen Eimer mit heißem Wasser darüber, was sofort zu Eis wurde. Dann benutzte ich einen Keil zum Holzspalten und einen Hammer und konnte den Deckel erfolgreich lösen. Eimer für Eimer schöpfte ich das Wasser aus dem Holzfass.

Ein Zaunkönig schlüpfte durch die leicht geöffnete Luke ins Gewächshaus und sah sich da in Ruhe um; die Amseln machen sich über die durchgefrorenen Äpfel her. Ich saß mit meinem Kaffee im Garten und war sehr zufrieden, weil die Sonne schien, alles so still und friedlich war und fast alle Gartenarabeiten erledigt sind. Einen der spärlichen regenfreien Tage habe ich genutzt, um den Kompost umzusetzen. Jetzt muss nur noch die Sense gedengelt und der Rosmarin mit Laub und Fichtenzweigen vor Frost geschützt werden. Dann kann ich die Hände in den Schoß legen.

Theodor Adorno hat vor langer Zeit den vielzitierten Satz gesagt: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Der hat mich früher sehr deprimiert. Mittlerweile denke ich, daß der gute Adorno unrecht hatte. Es ist wie mit dem Wald: da wo es noch Inseln von intakter Natur gibt, dahin ziehen sich die Lebewesen zurück und breiten sich wieder aus, wenn die Bedingungen sich ändern. Es gibt auch unter uns diejenigen, die noch nicht so abgetrennt vom Natürlichen und Lebendigen, von der inneren und äußeren Natur sind. Das sind in meinen Augen diejenigen, von denen Heilung ausgehen kann. Und tief in uns gibt es den Ort, der nicht zerstört werden kann. Das ist unsere Seele.

Wer schöne aufbauende Texte lesen möchte, dem empfehle ich Kerstin Chavent: bewusstseinimwandel.blogspot.com. Mein absoluter Favorit ist ihr Buch Die Waffen niederlegen.

 

Ärger

Ich habe ein schönes Zitat gefunden von Henry David Thoreau gefunden:

„Lebendigkeit und Wildheit entsprechen sich. Das Lebendigste ist auch das Wildeste.“

Wie wahr!

Seit ich vor etwa 40 Jahren eine schwere Bauchspeicheldrüsenentzündung hatte, macht mir ab und zu mein Verdauungstrakt zu schaffen. Die Ärzte haben mir damals keine gute Prognose gestellt und gemessen daran hat sich alles sehr gut entwickelt. Prognosen können wie ein Fluch wirken und ich finde mittlerweile, Ärzte sollten sie ganz unterlassen, denn wie sich eine Krankheit entwickelt, hängt von so vielen Faktoren ab, die niemand überschauen kann. Am allerwichtigsten scheint mir die innere Haltung des Patienten zu sein: Was will mir diese Krankheit sagen? Wie kann sie mir auf meinem Weg helfen? Ich glaube, daß viele Krankheiten, vielleicht sogar alle, ein Hinweis des Lebens sind, daß etwas verändert werden will. Vor einiger Zeit hat mich meine Chinesische Medizinfrau darauf hingewiesen, daß die Leber nicht nur mit stofflichen Giften sondern auch mit Ärger umgehen muss. Das war mir nicht neu, aber bisher hatte ich es nicht auf mich bezogen. Zunächst war ich etwas unwirsch und dachte: was soll ich denn mit so einer Aussage anfangen?

Kürzlich konnte ich mich selbst dabei beobachten, wie ich mich über einiges ärgerte: Vorwürfe, weil ich unausgesprochene Erwartungen nicht erfüllt hatte, eine Anfrage, auf die keine Antwort kam, eine Frau, die auf unangenehme Weise für den christlichen Glauben missionierte. Ich ertappte mich dabei, wie ich mit den Menschen, durch die mein Ärger aufgeflammt war, innere Dialoge führte und mir damit meinen Tag versaute. Da wurde mir klar, daß sowohl der Ärger wie auch die fruchtlosen inneren Dialoge eine alte Gewohnheit sind. Die möchte ich gern ablegen. Denn ich kann ja keine davon überzeugen, daß sie keine Erwartungen an mich richten soll. Ich kann keinen dazu bringen, meine Anfragen zu beantworten. Ich kann mich aber fragen: wo habe ich unausgesprochene Erwartungen? Wo antworte ich nicht auf eine Anfrage? Wo versuche ich Menschen von etwas zu überzeugen, was ich für richtig halte und verhalte mich dabei rechthaberisch und belehrend? Da muss ich nicht lange suchen. Immer wenn in mir Sätze auftauchen, die mit „Er/sie sollte…“, „Er/sie hätte…“ und „Er/sie müsste…“ anfangen, bin ich auf dem Holzweg. Denn wenn die Anderen sollten, hätten und müssten, hätten sie es getan.

Eigentlich ist es eine schöne Sache, sich selbst immer mehr auf die Spur zu kommen.

Und dann geschehen auch Dinge, die mich erfreuen: nachdem ich mich aus einer Gruppe verabschiedet habe, in der wir das Lesen im Bewusstseinsfeld geübt haben, bekam ich heute einen Anruf von einer Frau, die mir ans Herz gewachsen ist. Sie bedauerte meinen Abschied von der Gruppe und wir verabredeten, daß wir beide weiterhin üben wollen. Eine andere Frau schrieb mir aus dem gleichen Grund eine PN. Auch mit ihr werde ich mich weiter zum Lesen treffen.

Im Übrigen genieße ich den Herbst, auch wenn er sich von seiner wasserreichen Seite zeigt. Wenn dann die Sonne mal durch die Wolken scheint, freue ich  mich an den goldenen Blättern, die von den Bäumen schweben. Ich bin oft draußen. Ein Falke hat sich heute zum zweiten Mal in meinem Garten auf einer der Zwillingsfichten im Knick gezeigt und ein Trupp Wacholderdrosseln kommt fast täglich vorbei und macht sich über die Äpfel her, die noch am Holsteiner Cox hängen.