Sehnsucht

Ich hatte das in meinem letzten Post empfohlene Buch Coronastaat kurz zur Seite gelegt, weil ein Mann aus meinem Umkreis mir ein Buch gegeben hat, was mich so in seinen Bann gezogen hat, daß ich es in wenigen Tagen durchgelesen hatte: Der Pferdejunge von Rupert Isaacson. Es ist von 2009 und handelt von der Heilung des autistischen Sohnes des Autors. Nachdem die Familie einen jahrelangen Leidensweg hinter sich hatte, ist sie in die Mongolei aufgebrochen, um dort bei Schamanen ihr Glück zu versuchen. Und sie hat es gefunden! Beim Lesen, vor allem als die Familie und die sie begleitenden Personen – Dolmetscher, ein Filmteam, Führer usw. – zu Pferd in die sibirische Taiga kamen und dort in einem Camp von Rentiernomaden den Schamanen antrafen, stieg eine große Sehnsucht in mir auf. Diese Sehnsucht ist alt und kommt immer dann, wenn ich Berichte über Rentiernomaden in Skandinavien und Sibirien lese. Es ist, als würde ein sehr alter Teil in mir berührt, einer, der sich an diese einfache und ursprüngliche Art von Leben erinnert. Und wie soviele Menschen in unserer Kultur habe ich eine starke Affinität zum Schamanentum, weil ich ahne, daß das etwas mit einer starken Verbindung mit der Natur und den geheimnisvollen Kräften zu tun hat, zu denen auch wir vor langer Zeit einmal Zugang hatten, als Menschen ihre Botschaften noch an den Wind weitergeben und mit Tieren und anderen Wesenheiten kommunizieren konnten. Vor etwa 2000 Jahren gab es auch bei uns in Mitteleuropa noch Menschen, die hinter die Dinge schauen konnten, die Seidkonas, die Weledas, Walas und Hagezussen. In der Edda gibt es noch Beschreibungen der alten Heil- und Zauberkünste. Aber mich zieht es noch weiter zurück, in die Welt der Jäger- und Sammlerkulturen, der Waldmenschen, die noch keine festen Häuser kannten, die mit den wilden Tieren zogen und für die alles belebt und beseelt war.

Ich glaube, daß wir die alten Fähigkeiten wieder in uns erwecken können. Und dann brauchen wir kein Internet und all den technischen Mist, der immer mehr zerstört und Menschen in eine virtuelle Realität führt, die sie letztlich dumm und unglücklich macht, weil sie zur äußersten Trennung von allem Lebendigen führt. Aber ich halte nichts von denjenigen, die ein paar Seminare gemacht haben und sich dann Schamane nennen. Davon habe ich einige kennengelernt und kann nur sagen: Nein danke! Um Schamane oder Seherin zu sein, braucht es mehr als ein paar Workshops.

Die Zwetschenernte reichte dieses Jahr nur für einen kleinen Kuchen

Zurück zum Buch: Der Schamane hat eine ziemlich große Summe von der Familie für seine Künste gefordert. Da fragte man sich zunächst, wieso ein Mann, der ein so bescheidenes Leben ohne großen Besitz führt, noch dazu in einer Umgebung, wo es nichts zu kaufen gibt, soviel Geld braucht. Dann aber stellt sich heraus, daß ein großer Teil dieses Geldes an die anderen Familien des Camps geht, damit kein Neid entsteht. Was für eine unglaublich andere Einstellung zu Besitz! Mittlerweile habe ich gehört, daß so ein Vorgehen nicht ungewöhnlich für indigene Völker ist und war: damit alle in Frieden leben können, wird geteilt. Besitz ist dann etwas Fließendes. Kein Neid, kein krampfhaftes Festhalten mehr, kein Horten, geschweige denn sowas Perverses wie Kredite und Zinsen. Die Erde macht es vor: sie gibt uns alles, was wir brauchen und alles kommt und geht in unendlichem Kreislauf.

Letzte Woche war ich in Hamburg. I , die mittlerweile dort in einem riesigen Neubaukomplex wohnt, hatte mich zu ihrem Geburtstag eingeladen. Ich habe gemerkt, daß ich so nicht leben könnte, in einem gigantischen Wohnkasten mit so vielen Menschen. In der S-Bahn schauten die meisten auf ihre Smartphones, es war bedrückend. Die ganze Stadt fühlt sich bedrückend an. Vielleicht liegt das auch an der elektromagnetischen Strahlung, die mittlerweile von überall herkommt. Vor vielen Jahren tauchten einmal ganz plötzlich die Worte „Diese Welt wird untergehen“ in mir auf und ich wusste, daß sie wahr waren. Ja, sie wird untergehen und sie muss untergehen, weil es so einfach nicht weitergehen kann.  Und es wird keinen Guru, keinen Führerin, keine erleuchtete Gestalt geben, der oder die uns rettet. Wir selbst müssen es tun, jeder einzelne von uns ist gefragt. Es geht darum, endlich erwachsen zu werden, davon bin ich überzeugt.

Wer Englisch verstehen kann, dem lege ich ein Video mit Charles Eisenstein ans Herz, indem es auch um diese Themen geht:

https://charleseisenstein.substack.com/p/visions-for-a-more-beautiful-world?publication_id=427455&post_id=136351437&isFreemail=true

„We are offered a choice“ (Charles Eisenstein). Wir entscheiden, wohin wir gehen.

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