Unfall

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Die Sonnenblume hat sich ihren Platz selbst ausgesucht

Gestern Abend, kurz vor meinem Zuhause, hatte ich plötzlich ein Auto mit eingeschalteter Warnblinkanlage vor mir. Es fuhr ganz langsam. Dann sah ich warum: auf der linken Straßenseite saß ein Damtier. Ich wusste, daß es angefahren worden war. Ich fuhr sehr langsam an ihm vorbei und sah das Blut, das aus seinem Genitale zu kommen schien, den aufgerichteten Hals und die geweiteten dunklen Augen, in denen blankes Nicht-Begreifen stand. Das war einer von diesen Momenten, wo eine etwas überdeutlich sieht, was sie eigentlich gar nicht sehen möchte. Das Auto vor mir hatte mittlerweile angehalten. Das tat ich auch und stieg aus. In dem Wagen saß eine junge Frau. Ich fragte, ob ich ihr helfen könne. Sie telefonierte schon mit der Polizei. Die Polizistin schien mit der Standortbeschreibung nicht klarzukommen, obwohl sie völlig korrekt war und verlangte schließlich, mich zu sprechen. Ich erklärte also noch mal, wo wir standen und bat sie, einen Jäger zu schicken, der das verletzte Tier schnell erlösen solle. Sie sagte, man habe eine Liste mit Jägern, außerdem könnten auch ihre Kollegen das übernehmen.

Dann standen wir beide da und beschäftigten uns irgendwie: Warndreieck suchen (es war in dem supersauberen Auto nicht auffindbar, aber auch nicht wichtig, da ihr Wagen nicht im Wege stand. Die Frau war den Tränen nahe. Ich legte ihr eine Hand auf den Rücken, statt meinem Impuls nachzugeben sie zu umarmen. Ich sagte ihr, daß ich auch schon mal ein Tier totgefahren hätte (einen Fuchs) und daß es schrecklich sei. Ich schlug ihr vor nachzusehen, welchen Schaden ihr Auto hatte. Der rechte Kotflügel war eingedrückt. Sie machte ein Foto davon. Ein Mann hielt an und fragte, ob wir Hilfe brauchten. Dann sagte die junge Frau: „Das Tier war mit ihrem Kind zusammen, aber ich weiß nicht, wo es geblieben ist.“ Ich sagte ohne nachzudenken: „Dann wollen wir hoffen, daß das Kind eine Adoptivmutter im Rudel findet.“ Das Damtier hielt seinen Kopf jetzt nicht mehr aufrecht, vielleicht war es schon tot. Irgendeine Scheu hielt mich davon ab, zu ihm zu gehen. Ich fragte noch einmal, ob ich noch etwas tun könne. Die junge Frau sagte nein, gab mir die Hand und wünschte mir einen schönen Abend. Ich nehme an, sie stand ziemlich unter Schock. Später zu Hause dachte ich, es wäre vielleicht besser gewesen noch bei ihr zu bleiben, bis die Polizei kam.

Zu Hause setzte ich mich in den Schuppen und sah in den Sternenhimmel. Lenchen kam und setzte sich auf meinen Schoß. Das fühlte sich tröstlich an. Ich war sicher, daß sie wusste, wie es mir ging. Ich bat die Helferwesen aus der anderen Welt um Beistand für das sterbende Tier und um eine Pflegemutter für ihr Kind. Ich bat auch um Unterstützung für die junge Frau. Ich war mir dabei bewusst, daß ich das auch für mich tat, einfach um mich besser zu fühlen. Bevor ich ins Bett ging, schüttelte ich zehn Minuten lang den Schock aus meinen Knochen. Trotzdem konnte ich lange nicht einschlafen. Ich hatte immer den Blick des verletzten Tieres vor meinen Augen. Irgendwann schlief ich doch und träumte von toten Damtieren.

Heute dachte ich mal wieder verschärft darüber nach, wie ich hier ohne Auto leben könnte, aber die Busverbindungen sind miserabel. Mir kam auch die Idee, an den Unfallort zu gehen und dort Ringelblumen aus meinem Garten abzulegen. Ich habe das nicht getan, vielleicht mache ich es noch.

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Übrigens ist seit einigen Wochen ein Zaun um die wilde Streuobstwiese, die zur Blomenburg gehört. An der Stelle ist oft reger Wildwechsel und ich fahre da immer besonders achtsam. Wie die beiden Tiere den Zaun überwinden konnten – keine Ahnung. Die Blomenburg ist eine seltsame Ansammlung von Gebäuden völlig unterschiedlicher Stile, die von einem Grafen mit zuviel Geld im vorletzten Jahrhundert errichtet wurden. Es gehört auch ein Turm mit Zinnen dazu, das Neuschwanstein des Nordens sozusagen. Seit kurzem ist die Asklepios-Gruppe Besitzerin des Gemäuers , die dort eine Privatklinik für ausgebrannte Manager betreiben will. Monatelang wurde gebaut und das Gelände Tag und Nacht mit gleißendhellem Flutlicht bestrahlt, was mir den schönen Blick auf den Sternenhimmel versaute. Ich bin also gar nicht gut auf dieses Schickeriading zu sprechen. Mal sehen wie lange es sich hält. Die Blomenburg war schon Standort für mehrere gescheiterte Projekte.

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