Wahl

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Gestern ließ ich mich in einem Ökoladen beraten, mit welchem Öl ich meine Gartenmöbel wetterfest machen könnte. Das endete übrigens damit, daß der gut gelaunte Verkäufer mir nur einen Pinsel verkaufte. Das von ihm empfohlene Öl hatte ich selbst zu Hause, wusste nur nicht, daß es auch für Gartenmöbel geeignet ist.  Der Mann gefiel mir und ebenso seine bestickte kurze Lederhose und als wir mit unserem ausführlichen Gespräch fertig waren, sagte ich: „Übrigens, eine hübsche Hose!“ Er freute sich und sagte: „Ja, frisch aus Kärnten mitgebracht!“ Ich freute mich auch, weil es mir so leicht gefallen war, ihm ein Kompliment zu machen. Welche Freiheit das Älterwerden mir gebracht hat!

Bei Kräuter-Pflug stand ein junger Mann, der offensichtlich schon eine ausführliche Beratung hinter sich hatte. Jedenfalls hörte ich, wie er sich ganz überschwänglich für die Geduld der Verkäuferin bedankte und voll des Lobes über den Laden war. Das kam so herzlich und authentisch aus ihm heraus, daß ich es einfach herzerfrischen fand.

Zwei erfreuliche Alltagserlebnisse hintereinander! Dann traf ich mich mit L. zum Essen im georgischen Restaurant Medea an der Holtenauer Straße, das ich sehr empfehlen kann: köstliche Sachen, irgendwie mediterran, aber ungewöhnlich gewürzt. Und die Frau, die uns bediente, war ein kleiner Sonnenschein.

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Vor mehr als 30 Jahren, als ich die Schnauze voll hatte von meiner chronisch depressiven Stimmung und eine Körpertherapie machte, die mein ganzes Leben, mein Denken und Fühlen änderte (ich habe an anderer Stelle davon berichtet), fragte mich mein Therapeut zu Beginn jeder Sitzung: „Was gibt es Schönes und Neues in deinem Leben?“ Ich fand diese Frage lange Zeit sehr nervig, kam ich doch zu ihm, weil es eben nichts Schönes und Neues in meinem Leben gab, sondern nur Probleme. Heute weiß ich, daß das die typisch depressive Blickverengung war. Ich habe oft mit depressiven Menschen zu tun, die wie ich damals nicht in der Lage sind, das Schöne, das Lebendige, das Ermutigende zu sehen. Depressive sind ein Fass ohne Boden, sie können nicht von außen, d.h. von anderen Menschen gefüllt werden. Nach meiner Erfahrung muss die im Körper gestaute Energie in Bewegung gebracht werden. Wenn sie sich erst wieder frei bewegen kann, ändert sich alles: der Blick wird weit, Bewegung wird lustvoll, das Denken hört auf, sich in sorgenvollen Endlosschleifen zu drehen. Ich halte übrigens nichts von Medikamenten zur Behandlung von Depression. Ihnen liegt ja die Idee zu Grunde, daß irgendwas im Hirnstoffwechsel nicht stimmt. Selbst wenn das so wäre – und das ist keineswegs bewiesen – stellte sich die Frage, wodurch sich denn der Hirnstoffwechsel verändert hat.

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Ich habe die Wahl: ich kann mich jeden Tag neu entscheiden, was ich sehen will. Natürlich bekomme ich mit, was es an Schrecklichem und Krankem in der Welt gibt. Ich sehe, daß Menschen unglaublich destruktiv sind. Ich höre Nachrichten, manchmal lese ich eine Zeitung, ganz selten schaue ich mir irgendwelche Videos im Internet an. Aber ich achte sehr darauf, meinen Blick auch auf das Schöne zu richten. Und ich muss sagen: davon gibt es viel, sehr viel. Und es gibt eine Menge tolle Menschen mit guten Ideen und ermutigenden Handlungen. Da muss ich Ilan Stephani recht geben, die mit voller Überzeugung und ohne jeden Zweifel sagte: „Menschen sind gut.“

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