Unken

Gestern bekam ich Besuch von H., der sich gerade in Deutschland aufhält. Wir machten einen langen Spaziergang zum Selenter See und aßen köstlichen Schokoladenkuchen im Badehaus. Ich freute mich über den reichlich am See vorhandenen Baldrian, der kurz vor der Blüte steht, die Bachnelkenwurzpflanzen mit ihren hübschen rosafarbenen Blüten und das bittere Schaumkraut, das ähnlich wie Brunnenkresse schmeckt. Wenn eine die Augen aufmacht, kann sie soviel Schönheit und Vielfalt entdecken. Wir hatten gute Gespräche über Gemeinschaften und die Notwendigkeit, lebensfördernde Strukturen von unten entstehen zu lassen. Und darüber, wie schwer und gleichzeitig notwendig es in diesen Zeiten der Spaltung ist, miteinander im Gespräch zu sein und es auszuhalten, daß die Sichtweisen oft weit auseinander gehen.

Eine meiner Mitwahlhelferinnen hat mir beschrieben, wie ich im nahegelegenen Wald zu einem Tümpel komme, in dem Rotbauchunken leben. Ich habe den seltsamen Ruf dieser Tiere zum ersten Mal 2009 in Mecklenburg-Vorpommern in der Nähe der Boitiner Steinkreise gehört und seitdem bin ich hinter ihnen her. K. nennt den Ruf „mystisch“, was ich ziemlich passend finde. Ich kann ihn gar nicht beschreiben, aber er geht mir jedes Mal, wenn ich ihn höre, ans Herz. Unken brauchen natürliche stehende Gewässer und die sind selten geworden. Somit gehören sie zu den Wesen, die durch unsere Zivilisation bedroht sind. Vor einigen Jahren waren L. und ich bei einem von der Stiftung Naturschutz arrangierten „Froschkonzert“ in Stodthagen. Das hat mir nicht gefallen: es waren sehr viele Menschen da und man holte Unken aus dem Wasser und packte sie in Plexiglasgefäße, damit man sie genau ansehen konnte. Da strampelten die kleinen Tiere dann herum und ich konnte buchstäblich ihre Panik fühlen. Ich verstehe durchaus das Bedürfnis sie ansehen zu wollen. Aber sie tun mir so leid und ich habe einen immer größeren Widerwillen gegen die Selbstverständlichkeit, mit der wir uns anderer Lebewesen bemächtigen. L. und ich bewegten uns von der Menschenansammlung weg zu einem anderen Tümpel, wo wir allein waren. Man pfiff uns zurück mit der fadenscheinigen Begründung, daß Kühe auf der Weide seien und wir uns daher mit unseren Alleingängen in Gefahr begäben.

Heute am Spätnachmittag machte ich mich auf den Weg. Ich ließ das Fahrrad am Waldrand zurück und ging den beschriebenen Weg, dachte ich jedenfalls. Aber ich kam nicht zum Tümpel. Da folgte ich meinem inneren Kompass, verließ die Wege und ging einfach querfeldein. Nach einer Weile hörte ich durch das ständige Sausen des Windes in den Bäumen ein anderes Geräusch und dann stand ich am Teich und hörte die  melancholischen Rufe der Unken. So schön! So besonders!

Heute habe ich die letzten Holzscheite aufgestapelt. Eine Kröte hatte sich darunter verkrochen und suchte nach einem neuen Unterschlupf. Ich fühlte den Impuls, sie hochzunehmen und an einen Platz zu bringen, der mir passend erschien. Aber ich gab diesem Impuls glücklicherweise nicht nach. Irgendetwas sagte mir, daß die Kröte ihren Platz viel besser selbst finden würde. So war es auch: sie kroch unter die Zinkbadewanne am Schuppen. Manchmal greife ich aber ein: heute Morgen rettete ich einen Spatz, der im Gewächshaus gegen die Glasscheiben flog. Ich nahm seinen kleinen leichten Körper in beide Hände und als ich sie wieder öffnete, flog er in die Freiheit.

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