Es ist schon lustig, daß eine, die so gar nichts für die repräsentative Demokratie übrig hat, in den Wahlvorstand berufen wird. Genau das ist mir, der jahrzehntelang überzeugten Nichtwählerin (tatsächlich habe ich nur zweimal in meinem Leben gewählt) geschehen. Ich bekam vom Amt einen Brief mit der Aufforderung, die Funktion der stellvertretenden Wahlvorsteherin für die Kreis- und Gemeindewahl zu übernehmen. Gut, warum nicht! Ist vielleicht eine interessante Erfahrung. Ohnehin glaube ich, daß auf Kommunalebene noch andere Dinge möglich sind als in höheren Etagen, wo die Lobbyisten ein- und ausgehen, Politik und Kapital eng verflochten sind und Korruption zur Normalität gehört, wie wir zur Zeit so deutlich vorgeführt bekommen.
Erstmal musste ich eine Schulung besuchen. Die dauerte etwas mehr als zwei Stunden, in denen ein 97seitiges Buch durchgearbeitet wurde, glücklicherweise in sehr großer Schrift und mit vielen Beispielen von gültigen und ungültigen Wahlzetteln. Nach der Schulung hatte ich Zweifel, daß ich zu dieser Aufgabe in der Lage sein würde. Alles wirkte überaus kompliziert. Aber glücklicherweise war ich nicht allein und hatte ein Frau an der Seite, die sich sehr viel besser auskannte. Insgesamt waren wir acht Frauen, seltsamerweise keine Männer dabei. Vier machten die Frühschicht, vier die Spätschicht.
Wir hatten nicht viel zu tun. Ab und zu kamen Menschen zum Wählen. Manche brauchten kleine Anweisungen, z. B. auf welche Weise der Wahlzettel zusammenzufalten sei. Manche blieben eine Weile da um zu schnacken. Einer bot an, für uns neuen Kaffee zu kochen, was wir annahmen. Für uns gab es belegte Brötchen, für die Kinder Süßigkeiten. Draußen schien die Sonne und ich fing zwischendurch Wespen und Bienen, die sich in den Saal verirrt hatten, und ließ sie nach draußen. Alles war sehr entspannt.
Um 18:00 kam die Frühschicht wieder ins Wahllokal und die Stimmenauszählung begann. Gleichzeitig füllte sich auch der Raum mit den Kandidaten und anderen Dorfbewohnern, die die Ergebnisse mitbekommen wollten. Die Wahlzettel wurden nach einem sinnvollen System auf Stapel gepackt. Als wir an die Stimmenauszählung gingen, wurde es mucksmäuschenstill im Saal. Das war der anstrengende Teil der ganzen Veranstaltung, weil viele Stimmen, wenn sie nicht en bloc für eine Partei gegeben worden waren, einzeln ausgezählt werden mussten. Dabei mussten wir immer wieder unsere Ergebnisse auf den Zähllisten vergleichen. Aber das Ganze hat auch Spaß gemacht und ich habe neue Leute kennengelernt.
Ganz in meiner Nähe an einem blühenden Rapsfeld: gut gemeint, aber leider Massentierhaltung
Gegen 20:30 fuhr ich mit dem Fahrrad nach Hause, froh mich wieder bewegen zu können. Übrigens Fahrrad: ich fahre weiterhin konsequent mindestens zweimal in der Woche eine Runde und meine Kondition ist mittlerweile so gut, daß ich die Gangschaltung kaum noch benutzen muss.
Ich möchte nochmal Kerstin Chavent empfehlen. Vor längerer Zeit hatte ich über ihr tolles Buch Die Waffen niederlegen geschrieben. Sie schreibt öfter für Rubikon, das mittlerweile in Manova umbenannt wurde. Kürzlich war sie zusammen mit neun weiteren Journalisten aus Alternativ- und Leitmedien in Tamera, um zu erforschen, wie man Frieden in die Welt bringen könne. Über ihr Blog kommt ihr auf die Manovaseite: https://bewusstseinimwandel.blogspot.com/. Der Eintrag heißt „Abenteuer Mensch“ und ist vom 7. Mai. Mir gefallen ihr freies Denken, ihre teilweise sehr persönlichen Mitteilungen und die Art, wie sie ihre Krebserkrankung als lebensverändernde Erfahrung genutzt hat, indem sie die Botschaft der Krankheit entschlüsselt und angenommen hat.
Der Frühling ist da und bis auf zwei warme Tage ist es immer noch recht kalt. Trotzdem habe ich heute die Tomaten in den Garten gepflanzt, weil sie auf meiner Küchenfensterbank so hoch gewachsen waren, daß die umzuknicken drohten. Ich habe ihnen gut zugeredet, daß sie bitte durchhalten mögen, auch wenn die Nächte wieder kühl werden. Die Bienen fliegen und kommen mit dicken Pollenhosen heim. Vor einigen Wochen lagen morgens immer viele tote Bienen vor dem Flugloch, darunter auffällig viele Drohnen. Da habe ich mir Sorgen gemacht, aber mittlerweile machen sie einen gesunden Eindruck. Die Zwetsche ist verblüht, die Apfelbäume tragen ihr weißes Blütenkleid und die Wiese ist mit Blütenblättern bestreut, das Quittenbäumchen hat gerade seine schönen großen Blüten geöffnet und an den Johannisbeersträuchern hängen schon grüne Früchte. Jetzt ist die Zeit, wo alles am schnellsten wächst und ich gar nicht hinterher komme mit alldem, was getan werde möchte. Seit Ende April sind die Schwalben wieder da, weniger als im letzten Jahr und leider ist kein Rauchschwalbenpärchen in das Nest im Holzschuppen eingezogen. Dafür habe ich auf einem der Lagerhäuser des Guts ein Turmfalkenpärchen entdeckt.