Hier ist weiterhin richtiger Winter: heute Morgen waren es -7° C auf dem Thermometer neben meiner Haustür. Eine Freundin meiner Mutter rief an und erzählte, in Münster seien es -15° C. Dagegen ist es hier fast warm. Sie haben dort auch viel mehr Schnee, soviel, daß viele gar nicht zur Arbeit gekommen sind. Im verschneiten Garten kann ich sehen, wer sich da alles herumtreibt: außer den Vögeln an der Futterstelle und den Pfotenabdrücken meiner Katze fand ich auch Fuchsspuren. Ich habe extra noch mal in meinem Spurenbuch nachgeschaut und fand es bestätigt. Ich freue mich, wenn wilde Tiere so nah herankommen.
Gestern machte ich in Kiel meine wöchentlichen Einkäufe. An einem Stand fragte ich den Besitzer, ob ihm nicht kalt sei unter seiner Zeltplane. Er zeigte nach unten auf einen für mich unsichtbaren Gasbrenner. Dann reichte er mir wortlos seine Hand über den Tresen. Ich streckte ihm meine entgegen und er umfasste sie mit seiner großen warmen Hand. „Das ist schön“, sagte ich und lachte ihn an. Wir hatten beide keine Maske auf; ich hatte auch kein Schild gesehen, daß hier Maskenpflicht sei. Diese Begegnung bewirkte, daß ich gar nicht anders konnte, als fröhlich grinsend zu meinem Auto zu gehen. Und den Rest des Tages habe ich mich weiter darüber gefreut, wann immer mir diese Situation einfiel.
In den Nachrichten wird oft bemängelt, daß Deutschland in der Digitalisierung so weit hinten liege, was sich jetzt in Zeiten des Online-Unterrichts für Kinder besonders zeige. Ich habe ein sehr gespaltenes Verhältnis zur Digitalisierung. Ich mag vieles am Internet, benutze es aber pro Tag meist weniger als eine Stunde. Ich sehe selten Videos, einfach weil ich nicht die Geduld aufbringe, mir Sachen anzusehen, die länger als 10 Minuten dauern. Na gut, beim Neuen Evangelium war es ausnahmsweise anders. Mein Französischunterricht findet mittlerweile per Zoom statt. Das ist besser als nichts, aber kein Vergleich zu Präsenzunterricht. Ich glaube auch, das die Digitalisierung Probleme mit sich gebracht hat, die wir vorher nicht hatten und zudem ziemlich viel Zeit frisst. Und wenn ich daran denke, welcher Raubbau an der Erde geschieht, damit Digitalisierung möglich ist, dann glaube ich, daß wir es eher mit einem Fluch als mit einem Segen zu tun haben. Überhaupt scheint es mir, daß mit jeder technischen Neuerung, die ja angeblich immer irgendein Problem lösen soll, mehrere neue Probleme entstehen. Beispiel: erneuerbare Energien. Auf dem Weg nach Flensburg sah ich die Windkraftanlagen, die mittlerweile überall die Landschaften verschandeln. Ja, auch ich beziehe Ökostrom aus Wasserkraft, Wind- und Sonnenenergie. Aber Öko ist eigentlich nicht der richtige Name. Denn um etwa Windkraftanlagen zu bauen, braucht es sogenannte seltene Erden. Dafür wird unter anderem der Kongo (Coltan) ausgeplündert, dafür werden Regierungen weggeputscht (Bolivien wegen seiner Lithiumvorkommen) usw. Wenn dann die Windräder nach ungefähr 20 Jahren entsorgt werden müssen, weiß man nicht, wohin mit den giftigen Altlasten. Ähnliches gilt für die überaus hässlichen Photovoltaikanlagen. Wie man es dreht und wendet, unser Stromverbrauch muss drastisch reduziert werden. Warum auch nicht? Was spricht dagegen, wieder mehr Handarbeit einzusetzen? Was spricht dagegen, das Leben wieder zu vereinfachen, was auch bedeutet, den Besitz an elektronischen und elektrischen Geräten einzuschränken. Wozu braucht ein normaler Autofahrer z. B. ein Navi? Wenn ich Sahne mit meinem mechanischen Gerät steif schlage, brauche ich exakt genauso lange wie mit dem elektrischen Gerät. Eischnee kann eine prima mit einer Gabel steif schlagen. Körperliche Arbeit hebt die Stimmung, das erlebe ich immer wieder. Bestimmt haben wir unsere Körper nicht dafür, ab und zu irgendwelche Knöpfe zu drücken. Gerade jetzt, wo es wenig Möglichkeiten gibt, Geld auszugeben, außer man bestellt online (was ich genauso wenig mache wie in Vor-Corona-Zeiten), merke ich, daß mir nicht wirklich was fehlt. Als ich jung war, hätte ich gern mehr Geld gehabt, um mir Klamotten und Schuhe zu kaufen. Das kennt wahrscheinlich jede Frau. Ja, ich mag mich immer noch gern schön anziehen, aber ich trage meine Sachen mittlerweile oft mehr als 10 Jahre. In Flensburg unterhielten wir uns über dieses Thema und kamen zu dem Schluss, daß das ganze Konsumieren, so typisch für unsere Kultur, im Grunde ein Ersatz ist für etwas, was wir vor langer Zeit verloren haben. Heini Staudinger von den Waldviertler-Werkstätten in Österreich erzählt in der Zeitschrift Brennstoff oft, daß er auf seinen Afrikareisen viel Armut gesehen habe, aber gleichzeitig viel, viel mehr Lebensfreude als in Europa. Und heute fand ich in einem alten Tagebuch die Nachricht von Ute Schirans Tod, in der ihre Lebensgefährtin Rita folgenden Satz schrieb: „Die Einfachheit und der daraus erwachsende Reichtum, mit dem sie gelebt hat und gestorben ist, möge sich fortsetzen.“ Der Reichtum, der aus Einfachheit entsteht, ja, wie schön und wie wahr.
Denn was erfreut denn viel mehr als ein schönes neues Kleidungsstück? Da bin ich wieder bei dem fremden Mann, der seine warme Hand um meine legt und mich zum Lachen bringt…