Wesensgemäß

Nach mehr als drei Jahren war ich gestern endlich wieder auf einem Treffen meines Imkervereins. Gastreferent war Torben Schiffer, Biologe und Bienenforscher. Bekannt wurde er durch seine Forschungen zum Bücherskorpion, der ein natürlicher Mitbewohner in Bienenstöcken ist und Varroamilben futtert. Er hat dazu ein Buch geschrieben und war auch im Fernsehen. Seine Erkenntnisse haben ihm, so erzählte er gestern, viel Feindseligkeit von Seiten der Imkerschaft eingetragen, weil sie eigentlich deren komplettes Selbstverständnis über den Haufen werfen. Imker*innen verstehen sich als Naturschützer, besonders die Ökoimker, zu denen ich gehöre. Aber laut Torben meinen wir es zwar gut, aber wie so oft, bewirken wir damit das Gegenteil. Einige seiner Forschungsergebnisse kannte ich bereits, neu war mir allerdings, daß wir mittlerweile soviele Honigbienen haben, daß andere Insekten wie Wildbienen, Hummeln und Schmetterlinge nicht mehr ausreichend Nahrung finden. Torben berichtete, daß er böse Angriffe aushalten musste: zerstochene Autoreifen, gecancelte Artikel, Angriffe von Imkervereinen, u. a. eines großen deutschen Ökoimkervereins und andere Hasskapagnen. Torben sieht sich nicht mehr als Imker, sondern als Artenschützer. Er ist ein leidenschaftlicher Mensch, der sich voll für seine Sache engagiert und ich finde alles schlüssig, was er sagt. Ich kann ihm nur viel Kraft und Standvermögen wünschen; das habe ich ihm auch gesagt und war nicht die einzige.

Als ich 2011 in der Waldorfschule in Neumünster das Imkern lernte, war es das Aushängeschild „wesensgemäßes Imkern“, was mich in der Tiefe angesprochen hatte. Ja, ich wollte dem Wesen der Bienen gerecht werden. Meine Lehrer, zu denen immer noch Kontakt besteht, haben einen anthroposophischen Hintergrund und wollten, wie wir alle, nur Gutes für die Bienen und die Erde. Im Laufe der Jahre bekam ich allerdings immer mehr Zweifel an dem, was ich mit den Bienen machte. Die Behandlungen gegen die Varroamilbe, vor allem die Ameisensäurebehandlungen im Sommer, fielen mir von Jahr zu Jahr schwerer. Sie sind eine Qual für die Bienen, führen wohl auch zu schwerwiegenden Verätzungen und ich entwickelte immer größeren Widerwillen dagegen. Ich bin dann vor drei Jahren dazu übergegangen, im Sommer eine Oxalsäurebehandlung zu machen, die nicht ganz so strapaziös für die Bienen sein soll, für den Imker aber aufwendiger ist, weil Wabe für Wabe rausgezogen und von beiden Seiten eingesprüht werden muss. Im Jahr darauf rissen zwei Waben unter ihrer schweren Honiglast ab und ich musste mit der Behandlung vorzeitig aufhören, weil ich sonst noch größere Zerstörung angerichtet hätte. Ich machte dann im Winter 2021 noch eine Oxalsäurebehandlung, die ich von oben einträufelte, aber auch das schon mit klarem Widerwillen. Diese Eingriffe sind immer eine massive Störung. Das wäre so, als käme ein Riese ungebeten in unsere Wohnung, würde uns mit irgendeinem Gift einnebeln und sagen: „Es ist nur zu eurem Besten!“ Während ich das schreibe, fällt mir auf, daß wir in den letzten zwei Jahren etwas durchaus Vergleichbares erlebt haben. – Im letzten Sommer habe ich gar nicht mehr behandelt und vor Weihnachten habe ich beide Völker auf einer schamanischen Reise besucht und gefragt. Sie haben mir ganz deutlich zu verstehen gegeben: „Lass uns in Ruhe!“ Das habe ich getan. Ich habe in den letzten zwei Jahren keinen Honig entnommen und keine Fütterungen mit Zuckerlösung gemacht. Beide Völker sind noch am Leben; wenn ich das Ohr an die Fluglöcher halte, höre ich sie summen und bei milden Temperaturen sehe ich sie fliegen. Wenn ein Volk stirbt, werde ich das akzeptieren. Es wird neue Schwärme geben. In der Imkerschule habe ich das verbreitete Credo gelernt: Ohne den Imker (und seine Eingriffe), stirbt die Honigbiene. Mittlerweile wissen wir aus der Forschung u. a. von Thomas Seeley, dem Gotlandexperiment und aus Wales, das das nicht stimmt. Ohne Imker werden viele Bienen sterben, aber die überlebenden Völker sind die wirklich starken Völker.

Ich weiß mittlerweile auch, daß meine zwei Völker schon eins zu viel sind, auch wenn sie nicht so dicht beieinander stehen. In freier Natur braucht ein Bienenvolk ein Areal von einem 1 km². Zur Zeit bin ich die einzige Imkerin im Dorf, aber im Sommer stellt vielleicht wieder ein Imker 10 und mehr seiner Völker an der Lindenallee ab. Das ist natürlich Massentierhaltung. Als ich mit dem Imkern anfing, galten Top Bar Hives (sehen aus wie Kindersärge), als eine sehr wesensgemäße Behausung für Bienen, wahrscheinlich weil sie nur mit Oberträgern statt mit Rähmchen arbeiten und den Bienen Naturwabenbau erlauben. Also ließ ich mir zwei TBHs schreinern.  Aber seit einigen Jahren weiß ich, daß sie keine gute Lösung sind. Überhaupt ist alles Eckige und Großräumige, ebenso mehrere Zargen übereinander alles andere als wesensgemäß. Eigentlich ist es so einfach: Schau in die Natur und du erkennst, was gut ist. Bienen brauchen hohle Bäume, ihre Ruhe und eine intakte Umwelt. Bienen brauchen ihren eigenen Honig. Honig ist kein Lebensmittel und sollte, wenn überhaupt, nur ganz selten und in kleinsten Mengen verwendet werden. Leider gibt es kaum noch Wälder mit alten hohlen Bäumen, also müsste auch die Forstwirtschaft mit ins Boot genommen werden, damit Bienen und andere Wildinsekten wieder angemessene Habitate vorfinden.

Ganz schlimm ist die Entwicklung in großen Städten wie Hamburg und Berlin. Dort hat sich mittlerweile eine völlig krasse Überpopulation von Bienen entwickelt, weil so viele Menschen sich angesichts des Bienensterbens aufgerufen fühlten, diese Tiere zu halten. Firmen, die sich ein nachhaltiges Image geben wollen, stellen sich Bienenvölker aufs Dach und verschenken den Honig als Werbegeschenk an ihre Kunden. Das ist der Gipfel der Perversion.

Einjährige Karde

Frisch angesetzte Kardenwurzeltinktur

Nach Torbens langem Vortrag waren wir alle erst mal ziemlich erschlagen. Später sprachen wir über unsere Eindrücke und Gefühle. Es zeigte sich, daß es ein großes Bedürfnis gibt, die ganze Imkerei auf den Prüfstand zu stellen, wenn auch sicher nicht bei allen gleich stark. Hinterfragt wurde auch das ziemlich hoch gegriffene Etikett „wesensgemäß“. Es ist in meinen Augen ziemlich arrogant von wesensgemäßer Bienenhaltung zu sprechen, zumal wir Menschen selbst weit von einem wesensgemäßen Leben entfernt sind. Für mich heißt es, daß ich mich nicht mehr Imkerin nennen werde, vielleicht Bienenhüterin. Ich nehme ohnehin keinen Honig und werde mich auch nicht mehr in das Leben der Völker, die mit mir zusammenleben, einmischen. Das Schwärmen habe ich immer schon zugelassen. Ich denke, daß ich auch keine Schwärme mehr weitergebe, allenfalls an Menschen, die ich kenne und von denen ich weiß, daß sie die Bienen als gleichrangige Wesen sehen.

Es gab aber auch sehr schöne Erlebnisse gestern: das Zusammentreffen mit Menschen, die ich schätze und gernhabe, nach so langer Zeit; inspirierende Gespräche; ein Feld, indem Offenheit und Ehrlichkeit möglich sind. Und was mich ganz besonders gefreut hat: ich habe von etlichen erfahren, daß sie die Geschehnisse der letzten drei Jahre ähnlich sehen wie ich und diese Zeit als anstrengend, aber auch notwendig für den nächsten großen Entwicklungsschritt von Mama Erde sehen. Und ich habe mal wieder mit Freude gesehen, daß Männer genauso zu tiefen Gefühlen und Empathie fähig sind wie Frauen.

Hier noch der Link zu einem tollen Interview mit Sahra Wagenknecht zu ihrem Manifest für Frieden und den Reaktionen darauf: www.nachdenkseiten.de/?p=94067

 

 

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