Am 17. Mai hat meine Mutter ihr Erdenleben in Frieden beendet. Alles ist, auch wenn das jetzt komisch klingen mal, perfekt gelaufen. Eigentlich wäre mein nächster Besuch in Münster erst Anfang Juni geplant gewesen. Aber etwa zwei Wochen, bevor meine Mutter starb, erfuhr ich von meinem Bruder, der kurz vorher zu Besuch bei ihr gewesen war, einen Tag später dann vom Pflegeheim, daß es wohl nicht mehr lange dauern würde, weil sie die meiste Zeit schliefe und ihre Beine nur noch sehr unzulänglich mit Blut versorgt würden. Man bat mich, meine Einwilligung zum Absetzen sämtlicher Medikamente zu geben. Das tat ich sofort. Ich war auch damit einverstanden, daß das Palliativnetz mit der weiteren medizinischen Versorgung beauftragt wurde. Das hat sich als eine gute Sache herausgestellt: meine Mutter bekam Morphium gegen die Schmerzen, das in Rücksprache mit mir bei Bedarf angepasst wurde. Ich halte ja bekanntermaßen nur noch äußerst wenig von der derzeit praktizierten Medizin, die seelenlos und profitorientiert ist. Aber ich muss doch zugeben, daß bei meiner Mutter einige Sachen viel besser gemacht wurden, als ich es bei meinem Vater vor neun Jahren und bei Patienten in der Klinik erlebt habe. Man hat dazugelernt, indem man einem Sterbenden z. B. keine Flüssigkeit mehr zuführt, weil die Nieren die ersten Organe sind, die sterben und sich dann das Wasser in der Lunge sammelt. Gegen die Mundtrockenheit gab es ab und zu Sprühstöße aus einer Wassersprühflasche. Ich als Feindin von den allermeisten Medikamenten finde Morphium eine ziemlich gute Sache, mit der man großzügig umgehen sollte.
Perfekt war auch, daß ich am Wochenende vor dem Tod meiner Mutter nach Bonn fahren wollte, weil mein Sohn allen Familienmitgliedern den Besuch einer Vorstellung von Michael Hatzius (Die Echse) geschenkt hatte. Am Tag nach der Vorstellung bin ich dann mit meiner Tochter und ihrem Freund nach Münster gefahren. Meine Mutter hat mich sogar erkannt und mit meinem Kindernamen „Ise“ angesprochen. Das hat mich in der Tiefe berührt. Am nächsten Tag kam dann auch meine Sohn, um sie noch einmal zu sehen. Abends waren wir bei Freunden zum Essen eingeladen und Stefan sagte zum Abschied: „Oma, du kannst jetzt gehen. Alle sind bei dir gewesen. Nun kannst du endlich loslassen.“ Das hat sie sich offensichtlich zu Herzen genommen, denn wenige Stunden später war sie tot. Das Heim hatte versucht mich anzurufen, als die Atmung sich veränderte, aber offensichtlich nicht die richtige Nummer gewählt. So kam es, daß meine Mutter alleine starb. Vielleicht war es auch das, was sie wollte.
Wir alle waren vor allem erleichtert, denn sie hat in den letzten eineinhalb Jahren seit ihrem Schlaganfall nur noch sterben wollen. Das rapide Nachlassen ihres Sehvermögens, der zunehmende Autonomieverlust, die Abhängigkeit von Pflegepersonal, das nie genug Zeit hatte, hatten ihr schwer zugesetzt. Sie ist dann schnell dement geworden, was vielleicht auch ein Segen war.
Jetzt können wir ihr ihren großen Wunsch nach einer schönen Totenfeier erfüllen, so wie wir es ihr versprochen haben. Das Timing ihres Todes war auch perfekt, weil die Feier nicht durch irgendwelche nervigen Coronarestriktionen gestört wird. Übrigens gab es direkt nach ihrem Tod soviel zu erledigen: ihre persönlichen Sachen aus dem Zimmer im Pflegeheim räumen, das Bestattungsunternehmen aufsuchen und dort alles klären, ein Gespräch mit dem Pfarrer führen. Es wird jetzt eine Zeit brauchen, bis ich alles verdaut habe.
Ich habe nie eine besonders enge Beziehung zu meiner Mutter gehabt. Ich glaube auch, ich war ihr immer etwas fremd mit meiner Art und meinen Interessen. Aber ich habe von ihr Dinge mitbekommen, für die ich dankbar bin: mein Interesse an Sprachen, die Freude an Handarbeiten, besonders am Stricken, was sie mir beigebracht hat, als ich sechs Jahre alt war, das Interesse an gutem Essen und seiner Zubereitung. Und ich habe meine Mutter bewundert für ihre Energie und ihre Lebendigkeit. Sie ist bis zu ihrem Schlaganfall im Herbst 2020 körperlich und geistig aktiv und am Leben interessiert gewesen. Einen Monat vor ihrem Tod ist sie 95 Jahre alt geworden.
Ich war länger ohne Laptop, der wegen einer Reparatur beim Techniker war. Dabei hätte ich soviel zu schreiben gehabt. Das werde ich jetzt nach und nach tun. Hier kommt jetzt erst mal ein Link zum Blog der Künstlerin Cambra, in dem sie mir voll aus der Seele spricht: https://cambraskade.blog/2022/05/23/schnittmengen/
Ja, so ist es: als Pazifistin steht eine heutzutage ziemlich allein auf weiter Flur. Vor einiger Zeit habe ich hier mal geäußert – damals noch auf die Haltung zur geschürten Coronahysterie bezogen – daß sich jetzt die Spreu vom Weizen trennt. Das hört sich zugegeben erstmal ziemlich überheblich an. Was ich aber meine: es zeigt sich jetzt auch angesichts des Krieges, ob Menschen die Überzeugungen, die sie bislang öffentlich vertreten haben, auch tatsächlich leben. Und da stelle ich fest, daß es von bisher angeblich friedliebenden Menschen jetzt oft eine erschreckende Kriegsgeilheit gibt. Die Russen sollen mit allen Mitteln plattgemacht werden und Menschen wie Alice Schwarzer, die zusammen mit einigen anderen prominenten Personen einen offenen Brief an die Bundesregierung unterzeichnet hat, den Krieg in der Ukraine nicht mit Waffenlieferungen zu befeuern, werden aufs Übelste gedisst.
Ich bleibe dabei: Gewalt bringt immer nur neue Gewalt hervor. Oder mit dem alten so zutreffenden Spruch: „Bombing for peace ist like fucking for virginity.“ So isses!