Scham

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Gedenktafel an der Feldstraße in Kiel, wo der Zug der roten Matrosen auf dem Weg in die Wik beschossen wurde

Donna Haraway erzählt in Unruhig bleiben, daß sie glaubte in ihrer Menopause Östrogene einnehmen zu müssen, um einem Herzinfarkt vorzubeugen. Sie war damals nicht allein: die Pharmafirmen, die Hormonpräparate für Frauen in den Wechseljahren herstellten, warben damit, daß diese Herzkrankheiten, Osteoporose, Stimmungsschwankungen, Hitzewallungen und andere angebliche Folgen der Menopause verhindern könnten. Anfang dieses Jahrtausends wurde dann endlich publik, daß Östrogene keinen Herzinfarkt verhindern konnten und außerdem verantwortlich für eine signifikante Zunahme an Brustkrebserkrankungen waren. Das Mittel, daß Donna Haraway nahm, heißt Premarin und wird aus dem Urin trächtiger Pferdestuten gewonnen, deren einziger Lebenszweck darin besteht, schwanger in einer engen Box zu stehen und Urin in einen umgeschnallten Auffangbeutel abzugeben. Sie beschreibt in sehr klaren Worten, wie sie über diese tierquälerischen Bedingungen hinweggesehen hat. Ihr Resümee: „Scham ist ein Anstoß für lebenslanges Neudenken und Neuherstellen der eigenen Rechenschaften.“

Zur sogenannten Hormonersatztherapie (HormoneReplacementTherapy): Es ist schon tragisch, wie sich Frauen von den Pharmakonzernen verarschen lassen haben und es noch tun. Man erzählte uns, daß die Wechseljahre mit einem Hormonmangelsyndrom einhergehen, dem man mit Östrogengaben beikommen könne/müsse. Daran hat sich nicht viel geändert: heute arbeiten viele Frauen mit Soja-, Yamswurzel- und anderen östrogenartig wirkenden Pflanzen gegen den angeblichen Hormonmangel in der Menopause an. Und es werden immer noch Hormone aus Pferdeurin gewonnen. Wenn aber wir Frauen anfangen selber zu denken, kommen wir schnell dahinter, daß wir mit den Wechseljahren in einen neuen Lebensabschnitt eintreten, der unsere Physiologie natürlich verändert und daß wir dem mit Akzeptanz, Offenheit und Neugierde begegnen können. Die körperliche Umstellung entspricht in gewisser Weise der Pubertät, nur daß wir mental und psychisch viel besser als in jungen Jahren für diese enorme Metamorphose gerüstet sind . Ich selbst habe starke Hitzewallungen gehabt und sie als spannendes energetisches Erlebnis abgespeichert. Und meine Schlafstörungen waren schlagartig nach der Trennung von meinem Mann vorbei und hatten gar nichts mit Hormonen zu tun. Meine damalige Bibel war übrigens Menopausal Years von Susun S. Weed;  ich kann das Buch wärmstens empfehlen. Unsere Ahninnen wussten schon: es gibt drei Phasen im Leben einer Frau – die weiße, die rote und die schwarze. Mit dem Übergang in die schwarze Phase habe ich Gelassenheit, Zufriedenheit und Lebensfreude gewonnen. Es lohnt sich also, die Wechseljahre als Abenteuer anzunehmen und über den Bullshit vom Hormonmangel laut zu lachen. Im Übrigen kann ich als artenübergreifende Feministin natürlich nicht hinnehmen, daß Pferdefrauen gequält werden, damit Menschenfrauen mit Hormonen versorgt werden.

Zur Scham: sie ist ein sehr unangenehmes Gefühl und ich kenne sie gut. Wie oft erinnere ich mich an Begebenheiten, wo ich andere schlecht behandelt habe, wo ich verbal übergriffig, fordernd, überheblich, beleidigend, belehrend war oder mich einer schlechten Familienangewohnheit, dem Über-andere-reden hingegeben habe. Aber in dem Moment, wo ich Scham fühle, öffnet sich auch die Tür zum Umlernen. Und wenn ich mir zugestehe, daß ich lebenslänglich dazu lerne, kann ich das auch anderen zugestehen.

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Ein Kommentar zu „Scham

  1. Hallo meine liebe Mit-Kompo(ni)stin, liebste Marie-Luise,
    Eigentlich hätte ich dir gerne weniger öffentlich zum Geburtstag gratuliert, aber meine Mail hat gerade irgendeine Schleife – und überhaupt ist schamlose Öffentlichkeit ja ein vielbewanderter Ort der alten Weiber … 🙂
    In diesem Sinne grüsse ich dich mal wieder aus dem Süden, wieder ein Jahr vergangen in dem wir uns nicht in der sog. Echtzeit getroffen haben, mein Herz jedoch immer wieder mit dir war und ist. Im Gespinst der Spinster (auch eine schöne Wortschöpfung der „Spinnerin“ Mary Daily!) bist du mir die nördlichste aller verbundenen Mitreisenden, Gefährtin, Inspirationsquelle und angewählte Stammesgenossin.
    Ich wünsche dir für dieses neue Lebensjahr weitethin einen starken Faden, den Mut, dich in das Unergründliche fallen zu lassen und immer viel Wind unter den Segeln! Sei geherzt und geküsst, deine Astrid

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