Tag der roten Matrosen

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Allerheiligen zog ich zwei Tarotkarten.  Die erste war XVIII Der Turm. Im Haindl-Tarot ähnelt der Turm dem World Trade Center, kurz nachdem eins der beiden Flugzeuge hineingerast ist. Ich zog die zweite Karte in der Hoffnung auf etwas Milderes: Zehn der Schwerter. Beide zusammen also das Worst Case Scenario. Nun glaube ich nicht, daß ich in den Tarotkarten meine Zukunft lesen kann, ich benutze sie eher als Reflektionshilfen. Aber so sehr ich nachdachte, ich konnte sie nicht auf mich beziehen, eher auf die globale Lage. Es fühlte sich jedenfalls nicht gut an.

Am nächsten Tag erfuhr ich, daß der neue brasilianische Präsident den Regenwald Brasiliens zum Ausverkauf freigeben will. Und gestern hörte ich auf NDR Info, daß die finnische Ministerpräsidentin eine neue Bahntrasse von Rovaniemi durch Schweden zum norwegischen Kirkenes bauen lassen will. Dann hätte sie direkten Zugang zum Meer und könnte per Frachtschiff Waren auf dem kurzen Weg durchs Polarmeer nach z. B. Japan und China transportieren lassen. Es ist ja ohnehin schon eine Katastrophe, daß das Nordmeer mittlerweile so eisfrei ist, daß dort Schiffe fahren können. Der Bau der Bahntrasse hätte darüber hinaus fatale Folgen für die Wälder Lapplands und damit für die Rentiere und die Samen. Wenn ich solche Nachrichten höre, wird mir richtig schlecht. Es bestätigt mir mal wieder, daß die ganz gefährlichen Geisteskranken diejenigen sind, die uns regieren. Ich muss auch Frau Merkel dazurechnen, die öffentlich darüber nachdenkt, die Feinstaubgrenzwerte heraufzusetzen, um Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in den Städten zu verhindern. Es geht wie immer um die Wirtschaft, nicht um das Lebendige. Aber wenn demnächst Leben auf dieser Planetin unmöglich geworden ist, wem nützt dann die Wirtschaft? Diese Herrschaften benehmen sich wie Selbstmordattentäter. Wir leben tatsächlich im Kapitalozän, im Zeitalter der Knete.

Diese Nachrichten haben meine Stimmung erst mal für zwei Tage ziemlich gedämpft. Am Donnerstag, während meines wöchentlichen Yoga-Abends in Kiel kreisten zwei Stunden lang einer oder mehrere Hubschrauber über uns. Das verstärkte das unbehagliche Gefühl noch. Am nächsten Tag erfuhr ich dann, daß die Polizei per Hubschrauber nach Einbrechern gefahndet hatte.

Aber gestern habe ich mich gefreut. In den Kieler Nachrichten, die ich manchmal in der Klinik lese, wurde ausführlich über die Kieler Matrosen berichtet, die heute vor 100 Jahren einen Aufstand machten, indem sie sich weigerten auf ihre Schiffe zu gehen und als Kanonenfutter zu dienen. Man nennt sowas Meuterei, aber für mich sind sie die wahren Helden der Geschichte. Ihr Aufstand war der Beginn der Novemberrevolution und hat zum Ende des Ersten Weltkrieges und des Kaiserreichs geführt. In Folge haben sich in diversen Städten Arbeiter- und Soldatenräte gebildet. Und für kurze Zeit sah es so aus, als bräche eine herrschaftsfreie Zeit in Deutschland an. Am Kieler Jensendamm wurde 1982 ein Denkmal ihnen zu Ehren eingeweiht. Die CDU-Fraktion verweigerte allerdings ihre Teilnahme, da es sich bei dem Aufstand ja um etwas Illegales gehandelt habe. Das spricht für sich. Immerhin heißt der Platz vor dem Kieler Hauptbahnhof Platz der Kieler Matrosen.

In der Vergangenheit haben oft diejenigen, die sich nicht an Gesetz und Ordnung sondern an ihrer eigenen inneren Stimme, ihrem Herzen oder wie auch immer man diese Instanz nennen möchte, orientiert haben, eine entscheidende Wendung im Weltgeschehen herbei geführt.

"In Erwägung unsrer Schwäche machtet
ihr Gesetze, die uns knechten solln. 
Die Gesetze seien künftig nicht beachtet
in Erwägung, daß wir nicht mehr Knecht sein wolln.
In Erwägung, daß ihr uns dann eben
mit Gewehren und Kanonen droht, 
haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben
mehr zu fürchten als den Tod."

(aus dem Lied der Kommunarden von Bert Brecht)
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Bei allem Wahnsinn der Menschheit hatte ich heute doch einen schönen Tag. Die Sonne schien, ich arbeitete mit der Sense vorm Haus. Spaziergänger und Nordic Walker gingen vorbei. Man begrüßte sich, lächelte sich an und mit einem Ehepaar kam ich ins Gespräch. Je älter ich werde, desto mehr weiß ich Small Talk zu schätzen (wenn er nicht zu lange dauert, versteht sich). Was zählt, ist diese ganz alltägliche Freundlichkeit, die Menschen sich entgegen bringen können. Das kostet nichts und fühlt sich gut an.

 

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