Vor zwei Tagen hörte ich im Radio einen Ausschnitt eines Interviews mit der Schriftstellerin Juli Zeh. Sie erzählte, wie wenig sie die Zeit mit ihren Kindern genießen konnte, z. B. wenn sie mit ihnen auf dem Spielplatz war, weil sie immer daran denken musste, was es alles noch zu tun gab. Sie sagte auch, daß es praktisch unmöglich sei, Arbeit und Kind unter einen Hut zu bringen und beides noch gut zu machen. Da muss ich ihr aus vollstem Herzen zustimmen: ich weiß selbst, daß es nur ganz schlecht geht. Alle leiden darunter, am meisten Kind und Mutter. Bei mir musste es gehen, und ich war nicht nur voll berufstätig sondern auch in der Ausbildung, als mein Sohn noch sehr klein war. Ich habe das geschafft, weil es sein musste, aber der Preis war extrem hoch. Während der Vorbereitung auf die Krankenpflegeprüfung habe ich extrem an Gewicht verloren und war davor schon ein Leichtgewicht. Meinem Sohn bin ich nie gerecht geworden. Ich habe ziemlich viel Energie darauf verwendet, meinen damaligen Mann dazu zu bringen, seinen Anteil an der Hausarbeit zu übernehmen und habe diesen Kampf verloren. Ich habe über Jahre sehr wenig geschlafen, um alles zu schaffen. Im Rückblick kann ich nur sagen: die Sache ist nicht erstrebenswert. Ich finde nach wie vor, daß Frauen ihr eigenes Geld verdienen sollten. Mich hätte ein Dasein als Hausfrau und Mutter nicht erfüllt. Aber irgendwie müsste das anders geregelt werden. Ich finde, vier Stunden Arbeit am Tag reichen voll und ganz – und zwar für alle.
Genossen habe ich mein Kind auch nicht. Überhaupt wusste ich damals kaum etwas von Genuss. Daß man Essen, Musik, Sex und manche Menschen genießen kann, erfuhr ich erst viel später, als ich schon die erste Ehe hinter mir hatte. Woran das lag? Meinen Eltern kann ich es nicht anlasten. Sie haben mich zwar nicht zur Faulheit erzogen, aber ich habe mich in meinem Elternhaus auch nicht kaputt arbeiten müssen. Überhaupt habe ich das Arbeiten erst später gelernt. In der linken Organisation, in der wir damals tätig waren, wurden Wochenpläne geführt wie in der Schule. Es kam schon mal vor, daß einer der Obergenossen eine Person aufforderte, diesen Plan vorzuzeigen. Wenn es dann Lücken von ein oder zwei Stunden gab, wurden die ganz schnell mit Terminen vollgestopft: hier noch mal eben einen Büchertisch vor Karstadt, da noch ein paar Mitgliederbesuche machen. Schlafen galt als Zeitverschwendung. „Eine Revolution, bei der ich nicht tanzen kann, ist nicht meine Revolution“ – diesen berühmten Satz der Anarchistin Emma Goldmann kannte ich damals noch nicht. Hätte er mir denn die Augen dafür geöffnet, daß meine Organisation nicht besser war als alle Kapitalisten, die die Werktätigen ausquetschten bis aufs Blut? Damals wahrscheinlich nicht. Ich war wie die meisten von uns von dem Glaubenssatz besessen, daß es um Leben und Tod ging.
Heute ahne ich, daß es dieses Immer-Tun ist, was uns an den Abgrund gebracht hat. Und daß Genießen möglicherweise das ist, was uns und alles, was lebt, retten könnte.
Das ist Lenchen, die seit fast zwei Wochen bei mir lebt. Sie ist etwa ein Jahr alt und kommt aus dem Tierheim.
hallo marie-luise! ich hab nur mal kurz reingelesen in deinen schönen blog seit einer gefühlten ewigkeit und du schreibst mir sehr aus dem herzen (kinder, mutter.sein, unerfüllt sein, mann dazu bringen, landwirtschaft, katzen, nichtstun, ach ja!!!!) . mein mann, sohn und ich sind wieder in deutschl., sogar in s-h. bei elmshorn auf dem demeterhof schümann. haben portugal und die bio-kräuterfarm bei silves kurz vor den schlimmen bränden dort verlassen. ich schöpfe nach wie sehr vor von deinem pflanzenwissen und werde demnächst mal wieder beinwell-salbe kochen und tinktur herstellen. ganz viele liebe grüße, deine kathrin
Liebe Kathrin, wie schön etwas von dir zu lesen. Ich freue mich, daß es für dich mit den Pflanzenhelferinnen weitergeht. Komm gut wieder im Norden an und vielleicht kreuzen sich unsere Wege mal wieder in der realen Welt. Bis dahin alles Gute für dich, deine Marie-Luise