Inspirationen

Um meine Französischkenntnisse zu erweitern, lese ich seit einiger Zeit den Roman L’ange du patriarche der Haitianerin Kettly Mars. Darauf aufmerksam geworden bin ich durch eine Buchbesprechung im Radio (als ich noch Radio beim Autofahren gehört habe, also vor längerer Zeit). Das Buch gibt es auch auf Deutsch, ich glaube unter dem Titel Der Engel des Patriarchen. Ich komme langsam voran, weil ich viel im Wörterbuch nachsehen muss und meistens nur die Ferien dafür nutze; in der Schulzeit bin ich damit beschäftigt, die Hausaufgaben für den Französichkurs zu machen. Aber jetzt bin ich an dem Punkt angekommen, wo mich dieses Buch richtig gepackt hat. Es geht um eine moderne haitianische Familie und ihre Schicksale. Und da kommt dann natürlich auch Vodoo ins Spiel, der wohl auch für moderne Haitianer eine Rolle spielt und ungeniert neben dem allgemein verbreiteten Katholizismus praktiziert wird. Ich habe durch dieses Buch erfahren, daß 1791 eine geheime Vodoo-Zeremonie von einem Mann namens Boukman und einer Frau (im Buch wird sie Marinette genannt) in einem Wald veranstaltet wurde, die der Start der Revolution war, die 12 Jahre später zur Befreiung von der Sklaverei führte. Fasziniert hat mich, daß ein spirituelles Ereignis den entscheidenden Anschub und die Kraft für diesen Befreiungsakt gab. Es gibt in der Geschichte mindestens ein weiteres Beispiel für eine Revolution auf spiritueller Grundlage: Gandhis Satyagraha-Bewegung, die Indien aus der Herrschaft der Briten befreite. Allerdings unterscheiden sich beide Ereignisse insofern, als Gandhis Satyagraha-Bewegung strikt gewaltfrei und der Sklavenaufstand auf Haiti mit sehr viel Blut verbunden war.

Weil ich mich schon lange und immer wieder mit afrikanischen Kulten und ihren Varianten Candomblé, Macumba (Brasilien) und Vodoo beschäftige und meine Faszination mich vor Jahren in Münster auch zum westafrikanischen Trancetanz geführt hat, habe ich mir noch mal Maya Derens Buch Der Tanz des Himmels mit der Erde vorgenommen. Maya Deren war eine junge US-amerikanische Filmemacherin, die in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts viel Zeit auf Haiti verbracht, dort an Vodoo-Ritualen teilgenommen hat und dabei sogar selbst mehrmals von einem der Loas (Geistkräfte) „geritten“ wurde. Ute Schiran hat uns erzählt, daß die Ahnen sehr ungeduldig seien, weil sie so lange keinen Ort in unseren Körpern zu Verfügung gestellt bekommen hätten. Aber es brauche eben feste Formen, Rituale, um diesen Kräften einen Raum zu geben. Allgemein gilt ja in unserer kirchlich geprägten Kultur so etwas als Besessenheit, also als etwas Negatives. Das Konzept der Besessenheit kommt auch in anderen Kulturen vor. Im Vodoo werden allerdings die Loas, die wohl als Ahnen verstanden werden können, mit Hilfe von Trommelrhythmen und Tanz ausdrücklich eingeladen, im Rahmen eines Ritual, das von einem Hougan oder einer Mambo (Zeremonienmeister und -meisterin) geleitet wird. Dieses Ritual dient dazu, Rat und Begleitung von den Ahnen zu erbitten, aber auch sie zu würdigen und lebendig zu halten. Das dient immer dem Wohl der Gemeinschaft und nicht den  Bedürfnissen eines Einzelnen. Dieses Konzept spricht mich in der Tiefe an. Ich vermute, daß es Vergleichbares auch in unserer europäischen Vergangenheit gegeben hat, wahrscheinlich in den meisten Kulturen.

Dieses Buch inspiriert mich also zu weiteren Forschungen. Und es macht Mut, weil es zeigt, daß keine Gewaltherrschaft ewig andauern kann. Der Drang der Menschen nach Freiheit und Selbstbestimmung ist letztendlich immer stärker als Ausbeutung und Unterdrückung. Ich möchte es da aber eher mit Gandhis strikter Gewaltfreiheit halten.

Heute brachte der Postbote passend zum Thema die neue Brennstoff, diese wunderbare kleine Zeitschrift aus Österreich, in der ein langer Artikel über Gandhi steht. Man findet die Zeitschrift auch als Online-Version im Internet. Ich möchte daraus ein Zitat bringen, das ich sehr aktuell finde:

„Rache und immer wieder Rache! Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen. Nur Blut, das soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden.“ Das sagte Berta von Suttner vor über 100 Jahren. Es macht mal wieder deutlich, wie absurd es ist, Krieg mit Krieg beenden zu wollen. Aber wir leben ja auch in extrem absurden Zeiten.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert