Das Wilde

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Der grüne Landwirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Jan Philipp Albrecht, hat einen Wolf zum Abschuss freigegeben, der wiederholt Zäune überwunden haben soll. Auch anderswo in Deutschland wird wieder laut über den Abschuss von Wölfen nachgedacht. Das beunruhigt mich und macht mich traurig. Es ist die immer gleiche Kriegsmentalität, die sich da äußert und die wir alle in unseren Genen tragen, seit es Besitz gibt.

Ich möchte gern, daß Wölfe in Deutschland leben können. Sie waren mal ausgerottet und sind wieder gekommen, das sehe ich als Zeichen, daß das Wilde letztlich stärker ist als die menschliche Regulierungssucht. Das Wilde ist in meinen Augen das, was in der Tiefe von allem lebt, unreguliert, unzivilisiert, nicht-linear, vernetzt, mit allem verbunden.

Unsere Kriegsmentalität bringt uns dazu, ständig in das geheimnisvolle Netzwerk des Lebens einzugreifen, ohne letztlich zu überblicken, was wir damit anrichten. Dabei handeln wir nach einer linearen Logik: wenn ich die Bakterien/die Schnecken im Garten/die Wölfe töte, kann ich nicht mehr krank werden/wird das Gemüse nicht mehr abgefressen/werden keine Schafe mehr gerissen…

Charles Eisenstein hat in Climate – a New Story ganz schön beschrieben, was solch lineares Denken zur Folge hat. Er beschreibt das am Beispiel der zunehmenden Borrelioseerkrankungen, die mit den Mitteln der Schulmedizin kaum behandelbar sind. Er gibt selbst zu, daß er die „wirklichen Ursachen“ für Borreliose nicht kennt, aber daß dabei möglicherweise folgende Faktoren eine Rolle spielen:

– ein geschwächtes Immunsystem

– der Verlust großer zusammenhängender Wälder und zunehmende Besiedlung ehemals wilder Gebiete durch Menschen

– starke Zunahme von Rehen und Hirschen (die Hauptträger von Zecken) durch die  Ausrottung von Raubtieren wie Wölfen und Pumas (in Mitteleuropa sind das Wölfe und Luchse).

– abnehmende Gesundheit der Wälder, Verlust von Unterholz (Rehe und Hirsche fressen die jungen Baumschösslinge, wenn sie in sehr großen Populationen wie bei uns in Deutschland vorkommen – auch das eine Folge der Ausrottung der großen Raubtiere). Das führt zu einem Verlust an Biodiversität und vermehrter Ausbreitung von Zecken.

– das Verschwinden von Fasanen und anderen Vögeln, die Zecken fressen, wegen Überjagung und der Zerstörung des Unterholzes

– der großflächige Einsatz von Insektiziden führt zum Verschwinden der insektenfressenden Vögel

– die für unsere Kultur typische und nach außen verlagerte Angst vor der Natur, auf die diese quasi antwortet: „Okay, jetzt gebe ich euch etwas, wovor ihr euch wirklich fürchten müsst.“

Und am Grunde von all dem Abschießen, Vergiften, Ausrotten finden wir die große Trennung von der Natur, das verlorene Bewusstsein von unserer Verbindung mit allem.

Ich habe es an anderer Stelle schon mal gesagt: ich weiß nicht, wie ich damit umgehen würde, wenn ich Schäferin wäre und totgebissene Schafe auf der Weide fände. Ich wüsste gern, wie die Italiener mit den Wölfen umgehen. Sie halten auch Schafe und die Wölfe waren bei ihnen nie ausgerottet.

Was kann ich tun? Nicht viel, aber ich will darauf achten, wo und in welchen Situationen ich bei mir selbst Kriegsmentalität wahrnehme.

Heute bin ich nach Selent zur Poststelle gegangen und habe mich dabei dem Sturm ausgesetzt – auch eine wilde Kraft, die ich schon als Kind sehr gern hatte.

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Buche und Eiche – Baumfreundinnen

 

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