Vor mehr als einem Jahr habe ich mich von meinem Kundalini-Yoga-Kurs abgemeldet, an dem ich 17 Jahre teilgenommen hatte. Der Anlass war die 2G-Regelung, die mich vom Yoga ausschloss. Ich fing dann im letzten Sommer mit Hatha-Yoga in meiner Nähe an, was mir neue Erfahrungen bescherte. Gleichzeitig wurde meine Sehnsucht nach Kundalini-Yoga immer größer: mir fehlten das Mantrasingen und die Meditationen, die besondere Atmosphäre und die ruhige und besondere Art meines Yogalehrers. Am letzten Donnerstag ging ich das erste Mal wieder zu ihm und es war einfach schön. Während wir unsere Übungen machten, standen die Glastüren wegen des schwülen Wetters weit auf und dann kam endlich das Gewitter. Ich genoss das Rauschen des Regens nach all den Wochen der extremen Trockenheit, ich genoss die Mantras und die Kriya (Übungsreihe) und fuhr mit einem satten und wohligen Gefühl nach Hause.
Es regnete dann auch das ganze Wochenende, das ich bei K. und M. in Flensburg verbrachte, und ich freute mich: endlich Wasser! Meine Regentonnen sind wieder voll, der Garten ist gut getränkt, alle Pflanzen sehen gut aus. Mein Sohn kam für zwei Tage vorbei. Als er das üppige Basilikum vor der Haustür entdeckte, schlug er vor, ligurisches Pesto zu machen. Wir sahen uns einen kleinen Film mit der Köchin Samin Nosrat an, in dem sie von einer italienischen Frau im Pestomachen unterwiesen wurde – im Mörser. Mein Sohn mörserte die Zedernüsse (Ersatz für Pinienkerne), das Basilikum und Salz, während ich den Pecorino rieb. Nicht alles sind Originalzutaten; wir nahmen halt, was da war. Dann kam noch Olivenöl dazu. Ich habe nie ein so gutes Pesto gegessen. Ich kaufe kein Pesto im Glas, weil da immer Sachen drin sind, die ich nicht essen möchte und die da auch nicht reingehören, z. B. Verdickungsmittel. Im Frühjahr leiste ich mir ab und zu Bärlauchpesto vom Freiburger Olivenstand auf dem Markt, was selbstgemacht und ziemlich lecker ist. Aber dieses hatte ein besonders feines Aroma, sicher wegen der Frische, ich vermute aber, daß auch die Zubereitung im Mörser statt mit dem Pürierstab den Unterschied machte. Der Kontakt mit dem Metall lässt das Basilikum oxydieren.
Eine kleine Wildwiese auf dem Balkon in Flensburg, die von Insekten besucht wird
Beim Yoga kam die Rede auf Yogi Bhajan. Das ist der Mann, der Kundalini-Yoga in den Westen gebracht hat. Vor einigen Jahren wurde, ausgelöst durch das Buch einer seiner Schülerinnen, bekannt, daß er sie und wohl auch andere Frauen sexuell missbraucht hat. Seitdem wird dieses Thema in der Kundalini-Yoga-Szene aufgearbeitet. Wer sich dafür interessiert, kann sich ein Interview mit dem Hamburger Yogalehrer Satya Singh ansehen, daß ich sehr gut finde: www.youtube.com/watch?v=ctf58WV2MTQ. Mir gefällt Satya Singhs ruhige, reflektierte und ehrliche Art. Außerdem hat er Humor. Und mir gefällt, wie mit den Enthüllungen um Yogi Bhajan umgegangen wird. Hier scheint wirkliche Aufarbeitung stattzufinden, was ja sonst nicht üblich ist, siehe Missbrauchsfällte in der katholischen Kirche, um nur ein Beispiel zu nennen.
Daß ein Lehrer, Therapeut oder sich in einer vergleichbaren Machtposition befindende Mensch seine Schülerinnen, Klientinnen missbraucht, ist nicht neu und auch nicht selten. Ich weiß es aus der Körpertherapeutenszene und habe Frauen gekannt, die persönlich betroffen waren, ebenso Therapeuten, die ihre Klientinnen missbraucht haben. Ich selbst war nicht betroffen. Im Kundalini-Yoga gibt es klare Regeln, wie Sexualität zu gestalten ist: in einer lebenslänglich monogamen Beziehung, einmal im Monat. Nun, für Yogi Bhajan galten diese Regeln ganz offensichtlich nicht. Ich finde es immer höchst verdächtig, wenn Menschen Regeln für sexuelles Verhalten aufstellen. In unserem Kulturkreis hat das die katholische Kirche in der beginnenden Neuzeit gemacht (Missionarsstellung, Monogamie). In meiner Jugend war es noch üblich, unverheiratete Frauen zu ächten, die schwanger wurden. Die Männer, die sie geschwängert hatten, wurden aber nicht geächtet. Mir ist von meinem Vater eingebläut worden, daß mein Leben als sexuelles Wesen vorbei wäre, wenn ich vor der Ehe schwanger würde, weil mich dann kein Mann mehr ansehen würde.
Im Laufe meines bald 70jährigen Lebens habe ich das gelernt: der Versuch, Sexualität zu regulieren und zu tabuisieren, funktioniert nicht. Der Trieb ist eine gewaltige Kraft, die sich nicht in Ketten legen lässt. Irgendwann brechen die lange unterdrückten Bedürfnisse durch und suchen Erfüllung. Die Strategien, mit der diese wilde Kraft gezähmt werden soll, haben in den letzten zweitausend Jahren aber zu erheblichen Störungen bei Männern und Frauen ungeführt, zu Verzerrungen des sexuellen Verhaltens. Da ist viel Heilungsarbeit notwendig. Ich lese gerade das Buch Sacred Sex von Vivian Dittmar, das mir meine Tochter geschenkt hat. Ich mag die Art, wie sie sich dieses Themas annimmt. Sie ist so klar, so freundlich und sie verzichtet gänzlich auf Schuldzuweisungen an die Männer. Sehr angenehm!
Buchweizen