Vorgestern waren die Nachrichten voll mit der Ankündigung eines gewaltigen Orkans. Was mich daran nervt: ständig wird wegen irgendeiner Sache Panik geschürt. Meine Güte, wir leben im Norden, wo Stürme an der Tagesordnung sind. Die Menschen, die hier leben, wissen, was das bedeutet und richten sich darauf ein. Es ist ja eine richtige Sucht, alles Mögliche so dramatisch wie möglich darzustellen. Angst ist ein wichtiges Gefühl, das uns beim Überleben helfen kann, weil es die notwendige Handlungsenergie liefert. Panik ist (selbst)gemacht. Sie hilft nie weiter, sondern treibt Menschen entweder in die völlige Handlungunfähigkeit oder zu wenig sinnvollen Handlungen. Das bemängle ich auch an Greta Thunbergs oft wiederholtem Satz: „I want you to panic.“ Ich weiß, daß sie da von ihrer eigenen Panik redet und werfe es ihr daher nicht vor.
Ich jedenfalls liebe Sturm. Das ist so, seit ich Kind war. Ich habe Sturm als lebendige Wesenheit erfahren. Damit bin ich nicht allein: die westafrikanische Oya ist eine Sturmgöttin und auch im Deutschen findet sich im Begriff „Windsbraut“ eine Personifizierung des Windes. Daß es auch Anderen geht wie mir, habe ich gestern abend im Schleswig-Holstein-Magazin gesehen: die Menschen an der Westküste, die richtig glücklich aussahen, weil sie diese Naturkraft mit allen Sinnen erfahren durften.
Ich traf mich gestern nachmittag mit M. in Hohwacht zum Kaffeetrinken. Bei der Gelegenheit sah ich mal wieder, daß mir dieser Ort überhaupt nicht zusagt: so hundertprozentig touristisch, und jetzt hat man direkt am Strand mehrere schnieke Häuser errichtet, deren untere Etagen mit Sicherheit nach jedem größeren Sturm überflutet sein werden.
Dann fuhr ich allein nach Hubertsberg und machte eine Spaziergang an der Steilküste. Unten war es geradezu windstill. Auch das Meer wirkte fast glatt. Mir begegnete ein Paar, das offensichtlich Bernsteine im angeschwemmten Tang suchte und fand. Ich war ein bisschen neidisch, denn ich habe bis jetzt noch kein Auge für Bernstein, wohl aber für Lochsteine und Donnerkeile. An einer geeigneten Stelle kletterte ich nach oben. Da musste ich dann aber einen respektvollen Abstand zur Abbruchkante halten, weil der Sturm hier so stark blies, daß er mich mühelos in die Tiefe geweht hätte.
Auf dem Heimweg dämmerte es schon. Hinter dem Ortsausgangsschild von Selent in der Kurve standen drei Autos. Zwischen ihnen lag eine schenkeldicke Fichte. Ich schaltete die Warnblinkanlage an, zog mir tatendurstig schon mal meine Handschuhe an und stieg aus dem Auto. „Schaffen wir’s den Baum gemeinsam aus dem Weg zu räumen?“ fragte ich die Leute, die abgefallene Äste wegräumten. Aber natürlich hatten sie das schon vergeblich versucht. Einer telefonierte und sagte, daß die Feuerwehr gleich käme. Ich überlegte kurz, ob ich den Waldweg nehmen sollte, den ich immer zu Fuß nach Selent gehe. Aber da wäre ich wahrscheinlich im Schlamm versunken, und eine Garantie, daß dort keine weiteren umgestürzten Bäume lagen, gab es auch nicht. Also fuhr ich zurück bis Bellin und nahm den Feldweg von hinten ins Dorf. Das ging gut und dann machte ich es mir am warmen Ofen gemütlich und hörte dem Brausen des Sturms zu.