Novembersonne
Als Evo Morales 2006 bolivianischer Präsident wurde, war er der große Hoffnungsträger: der erste Indigene in dieser Position hatte eine klar antikapitalistische Ausrichtung und – was ich am bemerkenswertesten fand – er sorgte dafür, daß Pachamama, Mutter Erde, in die Verfassung aufgenommen wurde. Danach kam eine relativ gute Zeit für die Bolivianer, allen voran die Indigenen, die bis dahin immer die Benachteiligten waren. 2010, beim Internationalen Goddess-Kongress auf dem Hambacher Schloss hielt der bolivianische Botschafter, ein kleiner Mann von indigener Abstammung, eine Rede in sehr gutem Deutsch. Er erklärte, warum die Kokapflanze für die Andenvölker so wichtig ist und reichte dann einen Sack mit getrockneten Kokablättern herum, von dem jede etwas nehmen konnte. Ich habe auch ein paar Blätter gekaut, aber nicht wirklich etwas gemerkt. Ich fand den Mann sympathisch und seine Ausführungen nachvollziehbar.
Warum Evo Morales die Verfassung dahingehend geändert hat, daß er für mehr als zwei Amtszeiten gewählt werden konnte, weiß ich nicht. Vielleicht war es die Krankheit der Mächtigen, die sich von ihrem Amt nicht mehr trennen können und sich für so überaus wichtig halten, daß sie keinen Anderen an der Spitze mehr zulassen können. Wie auch immer: daß seine selbsternannte Nachfolgerin Jeanine Áñez demonstrativ das Folterkreuz der christlichen Religion ins Parlament bringt und die Fahne der Indigenen verboten wird, verheißt nichts Gutes. Ich habe keine Ahnung, ob Evo Morales oder die Gegenseite Wahlbetrug begangen haben. Aber ich weiß, daß Bolivien ein Land mit reichem Lithiumvorkommen ist und es mutet schon verdächtig an, daß dieser Umsturz in Bolivien zu einer Zeit stattfindet, da Lithium massenhaft zur Herstellung von Akkus, z. B. für Elektroautos, gebraucht wird. Ich werde den Verdacht nicht los, daß hinter alldem eine mächtige internationale Wirtschaftslobby steckt.
Charles Eisensteins großartiges Buch Climate – a New Story ist jetzt auf deutsch erschienen: Klima – eine neue Perspektive. Gestern Abend, als ich nach Kiel fuhr, hatte ich einige Trecker vor mir, die wohl gerade von ihrer Protestfahrt aus Berlin zurückkamen. Es sind übrigens keine Biobauern, die das organisiert haben, sondern die sogenannten traditionellen Bauern, die sich auf diese Weise mehr Wertschätzung erkämpfen wollen und dagegen protestieren, daß sie jetzt nicht mehr ganz soviel Gülle auf die Felder kippen dürfen wie bisher. Ich kann diese Bauern nicht wertschätzen: sie wissen, daß sie Gift in den Boden bringen, sie wissen, daß die Humusschicht durch ihre Form der Bodenbearbeitung schwindet, sie wissen, daß diese Art von Landwirtschaft die Erde zerstört. Mir kann kein Bauer erzählen, daß er das nicht weiß, denn es ist hinlänglich bekannt. Und sie wissen, daß es Alternativen gibt, nämlich ökologischen Landbau. Trotzdem sind sie mit von der Bundesregierung subventioniertem Diesel nach Berlin gefahren. Charles Eisenstein schildert sehr schlüssig, daß alle von Staaten ergriffenen Maßnahmen, die den Klimawandel aufhalten sollen, das Gegenteil bewirken, weil sie nie das Ganze berücksichtigen. Er beschreibt das sehr gut am Beispiel eines chinesischen Staudamms, der für die Stromgewinnung gebaut wurde. Ich kann das in seiner Komplexität hier nicht wiedergeben, aber letztendlich wird mehr CO2 in die Luft geblasen als ohne Staudamm. Die Windräder verschandeln nicht nur die Landschaft und töten Vögel, sondern sie enthalten hochgiftige Stoffe, die schwer zu entsorgen sind. Außerdem wird für sie Balsaholz gebraucht, was aus den Tropen herbeigeschafft wird. Ähnlich ist es mit den Solaranlagen. Das Problem ist der Strom, ohne den nichts läuft, auch kein Handy, kein Internet, kein Navi, gar nichts. Wir verbrauchen einfach viel zu viel. Heute war ich in Kiel im Sophienhof um einzukaufen. Ich hasse Shopping und erst recht in diesen überdachten und überhitzten Einkaufszentren mit ihren Menschenmassen. Heute war alles mit tausenden LED-Lichterketten beleuchtet, überall Glitzer und Flimmern. Wer braucht das eigentlich?
Ich glaube, daß Charles Eisenstein Recht hat, wenn er sagt, daß wir den Klimawandel anders angehen müssen: als allererstes muss sich die Landwirtschaft ändern, muss regenerativ werden. Es sollten mehr Menschen aufs Land gehen und sich genau dieser Aufgabe widmen, ob nun als Bauern oder als kleine Gärtner*innen. Und allesallesalles würde sich ändern, wenn Menschen wieder anfingen, die Erde als lebendiges Wesen zu lieben und zu ehren und sich als Teil von ihr zu fühlen.
Übrigens habe ich in diesem Jahr soviel Gemüse und Früchte aus meinem Garten bekommen wie noch nie. Darüber freue ich mich jeden Tag. Danke, danke, danke, liebe Erde!