Spätsommerfülle

Wermut

Heute regnet es ergiebig. Ich kann nichts im Garten tun. Auch gut, ein Tag zur freien Verfügung. Ich sehe den Staren zu, die spektakelnd im Zwetschenbaum sitzen und sich die Bäuche vollschlagen. Ich habe zwei Zwetschenkuchen gebacken, Zwetschen verschenkt und Zwetschen entkernt und eingekocht. Den Rest können sich gern die Stare holen.

Im Schuppen trocknen die Zwiebeln und der Knoblauch, die Kartoffeln sind geerntet, die Tomaten eingekocht, Huflattich, Melisse, Schachtelhalm und Wermut befinden sich in Kartons und Gläsern  und im Regal stehen etliche Gläser mit Apfelmus aus den Klaräpfeln. Oft denke ich an meine Oma und Mutter, wie sie im Sommer Beeren sammelten, Marmelade und Gelee kochten und Zwetschen, Kirschen und Apfelmus machten. Das stand dann alles im Keller in Holzregalen. Ich mag diese Tätigkeiten; sie verbinden mich mit der Fülle. Demnächst werde ich blühenden Efeu sammeln und wieder eine Medizin für meine Schilddrüse machen. Alles ist da, es muss nur erkannt werden.

Am Sonntag kam mein Imkerfreund HU vorbei und wir räumten gemeinsam den Stock des ausgeraubten Bienenvolks aus. Es waren nur fünf Waben gebaut worden, kein Tropfen Honig mehr – die Räuberinnen hatten ganze Arbeit gemacht. Dieses Volk war zu klein und schwach gewesen; es hatte einen schlechten Start und hätte den Winter nicht überlebt. Es war aber schön, alles gemeinsam anzusehen und sich auszutauschen.

Jetzt geht es auf die Herbst-Tag-und-Nachtgleiche zu und das ist auch die Zeit, in der für die Ernte gedankt.

Strecknitzaltar im Lübecker Dom

David Seven Deers sagte, daß wir Menschen in Europa in der Schule Geschichten aus dem Nahen Osten lernten, also alles, was in der Bibel steht. „Aber ihr habt eure eigenen Geschichten.“ Und das stimmt ja auch: unsere eigenen Geschichten aus der Zeit, bevor die Kirchen die heiligen Haine zerstörten und ihre Gotteshäuser auf die heiligen Plätze setzten, aus der Zeit, als Menschen noch die Sprache der Tiere verstanden und sich als Teil der Landschaft erlebten, sind verdrängt worden, überleben noch in Märchen, in  alten Bildern, oft in verstümmelter Form. Es sind die Geschichten unserer Ahnen, die hier gelebt haben, die ihre Erfahrungen, ihre Fertigkeiten, ihr Heilwissen, ihre Rituale von Generation zu Generation weitergegeben haben. In der Schule waren diese Geschichten kein Thema. Dennoch sind Geschichten oft das einzige, was geblieben ist.

Die drei Frauen auf dem Strecknitzaltar im Lübecker Dom enthalten auch eine alte Geschichte: abgebildet sind von links die heilige Katharina mit dem Schwert, Maria mit dem Kind und die heilige Barbara mit dem Turm. Katharina und Barbara sieht man auf vielen alten Darstellungen zusammen mit Margarete: „Barbara mit dem Turm, Margarete mit dem Wurm, Katharina mit dem Radl, das sind die drei heiligen Madln“. Lange bevor die drei zu Märtyrerinnen umgedeutet wurden, waren sie im alten Glauben die drei heiligen Frauen, zu denen auch die drei Nornen der germanischen Mythologie gezählt wurden. Barbara mit dem Turm konnte vor Blitzschlag schützen, Margarete hielt einen Wurm (=Drachen) und war damit die Hüterin der Erdenergien und zu Katharina gehört das achtspeichige Jahresrad. Auf diesem Altarbild hat man Margarete mit Maria und dem Kind ersetzt und Katharina ein Schwert gegeben.

Die spirituelle Frauenbewegung hat seit den 80er Jahren viele alte Geschichten ausgegraben, zunächst auch eher die aus fremden Kulturen, dann mehr und mehr unsere eigenen: Heide Göttner-Abendroth und Vera Zingsem sind nur zwei der vielen Frauen, die sich mit unseren eigenen spirituellen Wurzeln befasst haben.

 

 

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