Elsass

Die Heidenmauer – le mur païen

2008 war ich im Rahmen des Lehrgangs bei Alma mater im Elsass, um dort die Spuren vorchristlicher Stätten zu besuchen. Wir machten damals vom Odilienberg, dem heiligen Berg der Elsässer, Ausflüge und zum Abschluss ein schönes Schnitterinritual unterhalb des Odilienklosters.

Genau im gleichen Zeitraum, nur 15 Jahre später habe ich dieses Jahr mit meiner Tochter diese Stätten besucht. Wenn ich unsere Reise mit einem Wort beschreiben müsste, würde ich sagen: „Anstrengend.“ Das fing schon mit der Anreise per Auto an (bedauerlicherweise ist die Deutsche Bahn mittlerweile gar keine Option mehr; zu unzuverlässig und unberechenbar): Baustellen und Staus ohne Ende. Wir machten Zwischenstation in Bonn bei meinem Sohn, anders wäre es gar nicht gegangen. In Frankreich wurde es dann angenehmer auf der Autobahn, die uns an Straßburg vorbeiführte. Das letzte Mal war ich 1994 in Frankreich. Mittlerweile funktionieren die Péagestationen, an denen Maut bezahlt werden muss, vollautomatisch. Irgendwie finde ich das traurig. Nach all den Staus entschieden wir uns, die Rückfahrt nachts zu machen. Aber aus unerklärlichen Gründen landeten wir in Köln statt auf der A1 in Leverkusen und es dauerte, bis wir wieder auf dem richtigen Weg waren. Dann kam mitten in der Nacht wieder ein Stau mit absolutem Stillstand. Ein großer Abschleppwagen bahnte sich seinen Weg durch die drei vollbesetzten Spuren. Irgendwann ging es dann weiter. Es regnete sehr stark, so daß schnelles Fahren gar nicht möglich war. Ab Münster war es dann trocken und wir konnten endlich ohne Behinderung nach Hause fahren. Für die  Zukunft stellt sich die Frage, wie man noch verreisen kann: weder Auto noch Bahn sind eine gute Lösung, Fliegen macht auch keine Freude. Sicher ist die Ferienzeit besonders ungeeignet für Urlaube, aber da muss ich mich nach meiner Tochter richten, die berufsbedingt nur in den Ferien reisen kann.

Aber natürlich gibt es auch Schönes zu berichten: von Ottrott aus, wo wir eine Ferienwohnung gemietet hatten, machten wir lange Wanderungen auf und um den Odilienberg und besuchten dort die Heidenmauer, die Odilienquelle, das Kloster, die Grotte des Druides, den Maennelfelsen, von dem aus wir bis zum Schwarzwald schauen konnten und eine Gedenkstätte, die an einen Flugzeugabsturz im Wald erinnert. In unserer Wohnung lag Infomaterial. Da wurden alle Steinsetzungen, die man im Umkreis findet, als keltischen Ursprungs datiert, das sei wissenschaftlich bewiesen. Ich musste lachen, weil es immer wieder die gleiche falsche Behauptung ist. Diese Steinsetzungen sind in vorkeltischer Zeit entstanden und die Heidenmauer, die sich über 10 km um den Odilienberg windet, ist auch keine Befestigungsanlage, da es damals keine Siedlungen im Umkreis gegeben hat. Befestigungen kamen wesentlich später, wie wir an den reichlich vorhandenen Burgen erkennen konnten, z. B. dem Château de Spesbourg und dem Château d’Andlau. Die meterdicken Mauern, die Türme, die Zinnen gibt es erst, seit es Herrschaft und Krieg gibt.

An einem der Tage fuhren wir nach Andlau, einem kleinen Ort, in dem eine überdimensionale romanische Kirche steht. Dort gibt es ein großes Gemälde von Richardis, einer Kaiserin aus dem Stamm der Merowinger, die einen Bären an ihrer Seite hat. Unter der Kirche befindet sich die Krypta. Auch dort findet sich eine Bärin aus Stein. Zu ihren Füßen gibt es eine Klappe aus Holz. Wenn man sie öffnet, kann man sich auf einen Felsen stellen und wenn eine die Hand gleichzeitig in das Maul der Bärin legt, ist ganz deutlich ein starker Energiestrom zu spüren. Die Legende sagt, daß die Bärin Richardis diesen Platz gezeigt hat, indem sie an dem Felsen gekratzt hat. Daraufhin hat Richardis dort eine Kirche bauen lassen. Es gibt etliche schamanische Elemente sowohl in der Geschichte von Richardis als auch der von Odilia. Aber all die alten Geschichten wurden in einem badenwürtenbergischen Kloster zu Märtyrergeschichten umgeschrieben. Das war die Strategie der Kirche, wenn die Bevölkerung an den alten Riten festhielt und nicht bereit war, eine Religion anzunehmen, die auf einem Menschenopfer beruht. Richardis hatte also eine verbündete Bärin und Odilia schlief auf einem Bärenfell und wurde mit der Heilung von Augenkrankheiten in Verbindung gebracht.

Der Wald in diesem Teil der Vogesen unterscheidet sich sehr vom norddeutschen Wald: vorherrschend sind Esskastanienbäume, Robinien, gelegentlich Walnussbäume und Stechpalmen, auch Tannen. Und es gab es reife Blaubeeren. Es gibt auch viele Fichtenmonokulturen, die wie bei uns in einem trostlosen Zustand sind. Es lagen unglaublich viele gefällte Bäume im Wald herum und stellenweise hatten Harvester den Boden verwüstet. Später erfuhren wir auf einer Infotafel, daß man möglichst schnell alle vom Borkenkäfer befallenen Fichten fällen und abtransportieren wolle. Ob das eine gute Idee ist, bezweifle ich. Mir leuchtet da eher ein, was Peter Wohlleben zum Thema Fichten und Borkenkäfer sagt: nicht die Borkenkäfer sind das Problem sondern die Monokulturen.  Man solle diese Bäume sterben lassen und dann den Wald sich selbst überlassen. Wie alle lebendigen Systeme werde er sich regenerieren.

Ich entdeckte eine Tollkirsche im Wald, Stechäpfel, viele riesige Wasserhanfpflanzen, Eisenkraut, das mitten auf den Wanderwegen wuchs und einiges mehr, was ich zu Hause nicht finde. Mein Pflanzenbestimmungsbuch hatte ich zu Hause gelassen, haderte damit aber nur kurz, weil ich auf diese Weise die unbekannten Pflanzen viel genauer betrachten musste, um innere Bilder für die spätere Bestimmung mitzunehmen.

Am Donnerstag besuchten wir den Markt von Obernai, einer nahegelegenen Kleinstadt. Der befand sich in einer Lindenallee auf den Remparts, die sich um die ganze Innenstadt ziehen und auf denen die alte Stadtmauer stand. Wir deckten uns mit Gemüse, Eiern und Käse ein. Ein Imker verkaufte Tannenhonig und ich kam mit ihm ins Gespräch – auf Französisch. Wir haben richtig gefachsimpelt und ich freute mich darüber, daß mein Französisch dank François‘ tollem Unterricht so gut geworden ist, daß ich mich recht flüssig unterhalten und die Menschen verstehen konnte. In der Altstadt von Obernai ließ uns ein lautes Klappern nach oben schauen und da saß ein Storchenpaar auf seinem Nest. Später sahen wir auch viele Störche auf einer Wiese.

Am vorletzten Abend gingen wir essen: lecker und teuer. Ich aß Choucroute (Sauerkraut) mit Fisch. Sauerkraut ist typisch für das Elsass und die Kombination mit Fisch fand ich überraschend  gelungen. Später ging der Koch herum und fragte, wie es geschmeckt habe. Er sprach Deutsch und ich antwortete auf Französisch. Er wirkte gut gelaunt und tätschelte meinen Rücken. In Barr hatten wir eine seltsame Begegnung: ein älterer Mann sprach uns auf Deutsch an und forderte uns auf seinen Garten anzusehen. Das wollten wir nicht und ich sagte, daß wir einen Salon de thé (witzigerweise heißen die Cafés in Frankreich so) suchten. Er führte uns zu einem, redete dabei die ganze Zeit ein mir weitgehend unverständliches Deutsch, lachte seltsam und machte ebenso seltsame Sprüche über Deutsche („Die Deutschen sind da, dann ist alles klar“). Glücklicherweise folgte er uns nicht ins Café, wo wir Gâteau de myrtilles (Blaubeerkuchen) und Forêt noire (Schwarzwälder Kirschtorte) aßen. Kochen und backen können sie, die Franzosen! Ich fand die Leute fast überall sehr freundlich. Man grüßt sich auf den Wegen und der Straße mit „bonjour“ und einige setzten sogar ein „mesdames“ dazu, zum Abschied wünscht man sich „bonne journée“ oder „bonne soirée“. Ein alter Mann half mir an der Tankstelle mit dem Benzinschlauch, der sehr lang gezogen werden musste, weil meine Tanköffnung auf der falschen Seite war. Dabei verwickelte er mich in ein Gespräch über die horrenden Spritpreise, die den deutschen entsprechen.

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