Der Frühling kommt! Nach den vielen Stürmen der letzten Wochen gab es heute mal wieder schönsten Sonnenschein. Die Bienen flogen, jeden Tag finde ich neue Blüten auf der Wiese, die Bachstelzen und Gartenrotschwänzchen sind aus ihrem Winterquartier zurück. Heute Morgen brachte ich mein Autochen zur Inspektion nach Selent und mein Mechaniker bot mir an, mich nach Hause zu bringen. Das nahm ich glatt an. Dafür ging ich am Nachmittag die 2,5 km zu Fuß, traf in Selent eine Mit-Flüchtlingshelferin und ihren Mann, hielt einen Schnack mit den beiden, ging über den Friedhof, wo mich der Pfarrer, der gerade aus der Kirche kam, begrüßte. Man kennt sich hier mittlerweile; das gefällt mir. Die Sonne machte gute Laune.
Im Garten legte ich einen Totholzhaufen und einen Steinhaufen als Unterkunft für Insekten, Blindschleichen, Ringelnattern, Kröten und Eidechsen an.
In Climate (das Buch gibt es übrigens im Spätsommer auch auf Deutsch) zitiert Charles Eisenstein den Yanomami-Schamanen Devi Kopenawa: „Wir ziehen der Erde niemals die Haut ab. Wir bearbeiten nur die Oberfläche, weil dort ihr Reichtum liegt. Indem wir das tun, folgen wir den Wegen unserer Ahnen. Die Blätter und Blüten der Bäume hören nie auf, zum Waldboden zu fallen und häufen sich dort an. Das gibt ihm seinen Geruch und seinen Wert für das Wachstum. (…) Sobald du die großen Bäume fällst (…) wird der Waldboden hart und heiß. Diese großen Bäume machen, daß Regen kommt und halten ihn im Boden… Die Bäume, die die Weißen pflanzen, die Mangobäume, die Kokospalmen, die Orangenbäume und die Cashewbäume, wissen nicht, wie man Regen ruft.“
Als ich das las, musste ich daran denken, daß wir Menschen aus dem globalen Norden solche Dinge nicht von unseren Ahnen lernen. Unsere Ahnen und Urahnen sind seit Tausenden von Jahren von der Natur abgetrennt, und dieser Prozess der Abtrennung geht weiter. Sie wissen nicht mehr, daß man die Erde nicht aufreißen darf, sie haben vergessen, daß unsere Planetin ein lebendiges Wesen ist, ebenso wie das Wasser, die Steine, der Wind, die Sterne; sie wissen nicht mehr, daß Wälder und Sümpfe, Flüsse und Meere Organe der Erde sind und wir, wie alle anderen Tiere Zellen in ihrem Körper. Und weil sie das nicht wissen, können sie es nicht an uns weitergeben und wir fahren fort, uns selbst zu schaden, indem wir mit unserer Art zu leben der Erde schaden und eine Spezies nach der anderen ausrotten, tagtäglich.
Wenn ich in meiner persönlichen Geschichte zurückgehe, dann stelle ich fest, daß ich seit vielen Jahrzehnten damit beschäftigt bin, das alte Wissen wieder zu erlernen, zu erinnern, zu finden. Es kann ja nicht weg sein, ich weiß, daß es noch in den Körperzellen schlummert. Irgendein Impuls hat mich vor langer Zeit auf den Weg gebracht. Der Feminismus, die Pflanzenheilkunde, die Körpertherapie, das Überlebenstraining in Schweden, Permakultur, die spirituellen Erfahrungen, mit denen das Leben mich immer wieder überrascht hat, meine Liebesbeziehungen, die Schwangerschaften und Geburten meiner Kinder, die vielen Fehler und Verirrungen, alles hat dazu beigetragen, tiefer und tiefer unter die Schichten des Vergessens zu tauchen und die zerrissenen Fäden wieder aufzunehmen. Und so wird es weitergehen, bis ich sterbe, da bin ich sicher.
Die Veränderung, die es braucht, damit wir als menschliche Gattung weiterbestehen können, muss in allen Bereichen so radikal sein, daß unser Leben danach kaum noch Ähnlichkeit mit dem heutigen haben wird. Es geht ja um etwas viel Grundlegenderes als das Aufhalten des Klimawandels.
Im Internet gibt es Stimmen, die sagen, daß Greta Thunberg für irgendwas Unlauteres instrumentalisiert wird. Manchmal kotzt mich das Internet richtig an, weil es jedem Schwachmaten ein Forum für irgendwelchen Bullshit bietet (Entschuldigung, aber das muss mal raus, auch wenn es sicher nicht politisch korrekt ist, was ich hier von mir gebe). Erstens habe ich die Erfahrung gemacht, daß Menschen mit Asperger-Syndrom schwer wenn nicht unmöglich zu instrumentalisieren sind – und an dieser Stelle spreche ich mich auch dafür aus, das sogenannte Asperger-Syndrom nicht als Behinderung sondern als eine der vielen Varianten von der Norm (die ja ein völliges Konstrukt und gar nichts Reales ist) zu sehen. Zweitens hat der Freitagsstreik von Greta Thunberg dazu geführt, daß Jugendliche in aller Welt ihre Stimmen erheben und das tun, was die Erwachsenen geflissentlich ignorieren, nämlich sich mit ihrer Verantwortung für den katastrophalen Zustand der Erde zu befassen. Sie haben erkannt, daß von den Politikern nichts, aber auch gar nichts zu erwarten ist. Und sie machen richtig coole Sachen: am Freitag hörte ich im Radio von einer Schule in München, vor der Schüler*innen Handzettel an die Eltern verteilen, die ihre Kinder im SUV zum Unterricht bringen. Sie machen sie darauf aufmerksam, daß es auch mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln geht. Oder eine Mutter erzählt, daß sie in der Familie seit dem Beginn der Fridays for future-Aktionen über das Vermeiden von Müll und ähnliche Sachen reden und ein Bewusstwerdungsprozess begonnen hat. Hier sind es also nicht die Ahnen, von denen wir lernen, sondern unsere Kinder. Und wer weiß: möglicherweise sprechen ja unsere Urahnen, die noch von der Verwandtschaft aller Wesen auf dieser Planetin wussten, durch die jungen Menschen, die jetzt jeden Freitag in den Schulstreik gehen. Ich finde es jedenfalls großartig!
Natürlich kann von einem bewussten oder geplanten Instrumentalisieren nicht die Rede sein.
Die Sorge einiger, dass durch die endlich globale öffentliche Thematisierung des Klimawandels nun diejenigen ‚Alarmisten‘ (vgl. Climate) ans Ruder gelangen, die weiterhin ihre kapitalisitischen Interessen an erster Stelle sehen und z.B. Emissionshandel und Geoengineering als alternativlose (!) Lösung hinstellen, ist wiederum nachvollziehbar. Diesen Zusammenhang sehen wir gerade in der amerikanischen Debatte um den Green New Deal, der (mittlerweile) in erster Linie auf technologische ‚Lösungen‘ setzt, darunter eben auch Geoengineering als unglaublich rentables und übrigens eigentlich militärisches Geschäft (vgl. C. v. Werlhof).
Umso großartiger ist es, dass Greta Thunberg ihr Forum nutzt, um immer direkter die eigentlichen Probleme zu adressieren und klarzumachen, dass um um systemisches Umdenken geht, nicht ein bisschen weniger fliegen, vgl. ihre Rede in Davos: „Some people say that the climate crisis is something that we will have created, but that is not true, because if everyone is guilty then no one is to blame. And someone is to blame. Some people, some companies, some decision-makers in particular, have known exactly what priceless values they have been sacrificing to continue making unimaginable amounts of money. And I think many of you here today belong to that group of people.“
Deshalb finde ich es aber schon wichtig zu sehen, wohin sich die durch Greta Thunberg angestoßene öffentliche Debatte entwickelt, und darauf hinzuweisen, wenn es Greenwashing wird.
Sehr schön zum Thema: „Die Anstalt“ vom 9. April 2019: https://www.zdf.de/comedy/die-anstalt/die-anstalt-vom-9-april-2019-100.html (Insbesondere Big Oil und Geoengineering!)