Das fiel mir noch zu Kreisen ein: wir müssen gar nicht zu den Indigenen auf anderen Kontinenten schauen, um das Sprechen in Kreisen zu verstehen. Denn auch unsere Ahn*innen kannten diese Art von Kreisen. Einen Hinweis gibt es in der Edda: täglich treffen sich die Götter am Urdbrunnen, dem Wohnsitz der drei Nornen, die älter als alle Götter sind. Dort wird Gericht gehalten. Wie das jetzt genau gemeint ist, geht aus dem Text nicht hervor. Ich verstehe allerdings das Wort Gericht in diesem Zusammenhang nicht so wie wir heute Gerichte kennen, sondern als eine Art Ratsversammlung. Ich gehe stark davon aus, daß die Göttinnen und Götter im Kreis saßen.
Es gibt noch deutlichere Hinweise auf Kreise in unserer eigenen Vergangenheit: unsere germanischen Vorfahren hatten die Things. Das waren Kreise, in denen über alles gesprochen wurde, was das Dorf, die Gemeinschaft betraf. Das Wort Ding geht darauf zurück, ebenso das gleichbedeutende englische thing. Solche Gesprächskreise fanden oft unter Linden statt, die eine freundliche und wohlwollende Atmosphäre verbreiten. Manchmal findet man noch alte Dorflinden, z. B. in Telgte im Münsterland die Marienlinde. Gericht wurde unter Eichen (wie oben abgebildet) gehalten. Eichen haben eine strengere Ausstrahlung als Linden.
Kreise wirken energetisch ganz anders als zum Beispiel ein Plenarsaal. Kreise sind hierarchiefrei: alle im Kreis Sitzenden sind gleichwertig, keiner ist dem anderen über- oder untergeordnet. Gigi Coyle hat mal für Redekreise die Empfehlung W.A.I.T. ausgegeben: Why Am I Talking? (Warum rede ich gerade?) Sich diese Frage zu stellen, scheint mir ziemlich wichtig zu sein. Denn oft ist Reden, vor allem, wenn es länger dauert, eine kontaktlose Veranstaltung: wenn ich lange rede, kann es sein, daß die Anderen keine Lust mehr haben zuzuhören und innerlich wegtreten. Das kann auch passieren, wenn ich nicht wirklich aus dem Herzen spreche. Es gehört eine gewisse Disziplin dazu, im Redekreis zu sein, sowohl für den, der spricht, als auch für die, die zuhört. Es gibt einen schönen Spruch, den ich mal in einer Selbsthilfegruppe kennengelernt habe: „Du kannst über alles reden, nur nicht über zwanzig Minuten.“ Wobei mir persönlich zehn Minuten schon mehr als genug erscheinen. Manche Gruppen üben das auch ein, indem sie einen Zeitwächter bestimmen, der nach einer festgelegten Zeit, z. B. 5 Minuten, eine Klangschale anschlägt. Das hilft der sprechenden Person, auf den Punkt zu kommen, statt die Anderen in Trance zu quatschen.