Körper

Zum Thema Mensch als Herdentier ist mir etwas kürzlich Erlebtes eingefallen: letzte Woche traf ich mich mit K. nach dem Markt zum gemeinsamen Mittagessen. Sie saß schon in einem der Strandkörbe vor dem Restaurant, als ich kam und lud mich ein, mich neben sie zu setzen. Da saßen wir dann zu dritt – ihre kleine Hündin war mit dabei – auf engem Raum. Wenn ich nachdenke, ist K. die einzige meiner Freundinnen, mit der es oft einen engen Körperkontakt gibt. Wir können miteinander kuscheln, uns streicheln, an den Händen halten. Das geht von ihr aus; sie ist ein sehr körperlicher Mensch. Ich mag das gern und unsere Gespräche haben durch diesen engen Kontakt eine andere Qualität als solche, bei denen man sich gegenüber sitzt. Von mir aus suche ich aber solche Erfahrungen nicht; es kommt mir einfach nicht in den Sinn, wohl weil ich nicht mit allzuviel Körperlichkeit aufgewachsen bin. Allerdings umarme ich gern und oft Menschen und lasse mich auch gern umarmen.

Während meiner Körpertherapiezeit lernte ich, daß Menschen in unserem Kulturkreis sich in der Regel nur mit dem oberen Teil des Oberkörpers umarmen. Eine Ganzkörperumarmung, bei der ein enger Kontakt vom Brustkorb über den Bauch bis zu den Genitalien entsteht, ist eigentlich nur Liebespartnern vorbehalten. Das hat wohl seinen Ursprung in der körper- und sexualfeindlichen Konditionierung durch die Kirchen. Ich stimme Ilan Stephani zu, die einmal sagte, daß durch eine Umarmung viel mehr und viel umfassendere Informationen übertragen werden als durch das Internet. Und ich bin davon überzeugt, daß sich unser seelischer, geistiger und körperlicher Gesundheitszustand enorm verbessern würde, wenn wir wieder mehr Körperlichkeit zulassen könnten.

Natürlich gibt es Menschen, mit denen ich keinen intensiven Körperkontakt wünsche. Und ich kann mir vorstellen, daß solche, die schwere Missbrauchserfahrungen gemacht haben, davor zurückschrecken. Es geht also nicht darum, Körperkontakt zum Dogma zu machen, sondern fühlen zu lernen, wann ich ihn wünsche und wann nicht und das dann auch klar zu äußern.

Ein weiteres Beispiel: vor einiger Zeit saß ich mit mehreren Menschen auf einer Bank. Ich fühlte plötzlich, daß mein Oberschenkel und der meines Nachbarn zu meiner Rechten sich deutlich berührten. Reflexartig wollte ich mein Bein etwas mehr zu mir rücken, tat es aber nicht, weil ich spürte, wie gut sich diese Berührung anfühlte. Ich saß also still da und genoss einfach und musste innerlich grinsen, weil es sich irgendwie verboten und gleichzeitig genussvoll anfühlte. Für mich sind solche Erlebnisse echte Lernerfahrungen, weil sie mich daran erinnern, was eigentlich normal und wohltuend ist: Kontakt.

Dazu gehört auch echter Augenkontakt. Nach Wilhelm Reich macht sich die früheste Störung im Augensegment als Blockierung bemerkbar. Mein Körpertherapeut J., dem ich soviel verdanke, hat mit diesem Segment angefangen und ich erinnere mich an Sitzung um Sitzung, in der ich liegend mit lautem Aah den Ausatem in meiner Vorstellung durch die Augen geschickt habe, während er verspannte Muskeln an meinem Kopf und Nacken bearbeitete. Das war anstrengend, aber irgendwann nach vielen Wochen geschah etwas, was ich mir nicht hätte ausmalen können: ich sah plötzlich alles um mich herum gleichzeitig ohne den sonst üblichen Fokus; ich fühlte mich dabei als Teil des Großen Ganzen und gleichzeitig wurde mein Denken weit und frei. Wenn ich Menschen davon erzählt habe, bin ich allerdings schnell an meine Grenzen gekommen, weil meine Gesprächspartner sich in der Regel diese Art des Sehens nicht vorstellen konnten. Man muss es selbst erfahren; es ist nicht wirklich zu beschreiben. Aber wohl viele kennen diese Momente, wo zwei sich ansehen und dabei etwas im Inneren geschieht, als wenn ein Blitz eindringt, ein plötzliches Erkennen. Das kann nur geschehen, wenn der Filter, den wir gewöhnlich vor den Augen haben, für einen Moment verschwunden ist.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert