Hexen

Am letzten Wochenende machten I. und ich eine kleine Tour durchs Dosenmoor bei Neumünster. Dort entdeckte ich eine Pflanze, die ich noch nie gesehen habe und die an Calla erinnerte. Tatsächlich ist es eine Callaart, die Schlangenwurz, die an so speziellen Orten wie eben Mooren wächst. Ein paar Tage vorher war ich bei J., der mir ein recht großes Stück Land zeigte, das die Stiftung Naturschutz gekauft hat. Es war gerade frisch durchgegrubbert und etliche Mulden für Teiche angelegt worden. Ich vermute, daß dort ebenso wie bei Stodthagen ganzjährig Rinder leben und die Teiche Lebensraum für diverse Tiere bieten sollen. Über der gegrubberten rohen Erde stiegen Lerchen laut singend auf und nieder und von dem Entzücken darüber habe ich den Rest des Tages gezehrt. Lerchen gehörten zu den Sommern meiner Kindheit: wenn wir Oma und Opa in den Ferien in Uslar besuchten, hörte und sah ich immer die Lerchen über den damals noch reichlich vorhandenen Wiesen. Diese Vögel sind für mich der Inbegriff schierer Lebensfreude; ihr jubelnder Gesang ist so schön! Ich glaube, die Natur regeneriert sich sehr schnell wieder, wenn wir sie in Ruhe lassen. Gestern habe ich auf Kerstin Chavents Blog bewusstseinimwandel.blogspot.com den Post Gesundheit gelesen, den ich klar und klug finde. Ein Zitat daraus:

Alles, was die Natur braucht, ist, dass wir sie in Ruhe lassen. Hören wir also auf damit, ständig in die natürlichen Prozesse einzugreifen und es Fortschritt zu nennen. Nehmen wir die Finger aus dem Spiel und lassen wir die Natur machen, so, wie sie es Milliarden Jahre ohne uns getan hat. Sie braucht nicht unser Know How. Sie hat ihre eigene Intelligenz, ihre eigene Biologie, ihre eigene Sprache des Lebens: bio-logos. Lernen wir, diese Sprache erneut zu verstehen.

Ich bin im bereits erwähnten Buch Caliban und die Hexe von Silvia Federici mittlerweile beim Kapitel über Hexenverfolgungen. Ich verstehe immer mehr, wie und warum es dazu kam, daß in der beginnenden Neuzeit eine systematische und durchaus geplante Abwertung des Weiblichen ihren Anfang nahm und wem das dienen sollte. Bis dahin konnten Frauen zumindest in Mitteleuropa noch relativ selbstbestimmt leben. Sie konnten Berufe ergreifen, die man später als Männerberufe bezeichnete. So gab es Baumeisterinnen, die in den geheimnisvollen Bauhütten arbeiteten, ebenso waren Frauen Mitglieder in Handwerkergilden. Und dann nahmen die Herrschenden, also die Reichen und die Kirchen, den Frauen nach und nach alles: ihre Selbstbestimmung, die Entscheidung, ob sie Kinder bekommen wollten oder nicht, das Heilwissen, Wissen um Verhütung und Schwangerschaftsabbrüche, ihre sexuelle Selbstbestimmung. Ihr Lebenszweck war von dem Zeitpunkt an Gebärmaschine zu sein, die dem Staat neue Arbeitskräfte lieferte. Das Frauenbild, mit dem ich noch aufgewachsen bin, nahm in dieser Zeit seinen Anfang: Frauen seien emotional, könnten nicht logisch denken, hätten in Führungspositionen nichts zu suchen, seien da, um Mann und Kinder zu versorgen. Frauen sind systematisch seelisch und geistig verstümmelt geworden. Sie wurden für minderwertig befunden, galten als unperfekte Geschöpfe, die Männer mit Magie verführten und verdarben. Die Männer, die diese Behauptungen aufgestellt und durchgesetzt haben, waren von Frauen geboren worden. Also – anders kann ich es nicht verstehen – mussten sie sich selbst hassen und verabscheuen, wenn sie Frauen hassten und verabscheuten. Unsere Körper tragen diese traumatischen Erfahrungen in ihrer DNA. Es wird Zeit brauchen, diese Verzerrungen unserer Lebendigkeit zu heilen, unsere freie und wilde Kraft wieder zu entfalten.

Vielleicht würden sich ohne diese Geschichte extremer Gewalt gegenüber Frauen die ganzen derzeitigen Fragen, ob eine oder einer Mann oder Frau oder irgendwas anderes sein will, gar nicht stellen. Ich bin übrigens zweimal gefragt worden, ob ich ein Mann hätte sein wollen: einmal von dem Therapeuten, der mich während meiner Körpertherapieausbildung begleitete und vom Leiter einer Selbsterfahrungsgruppe. Nein, ich wollte nie ein Mann sein, aber ich wollte auch keine von den reduzierten Frauen sein, die ich in meiner Kindheit und Jugend erlebt habe. Aber diese Fragen zeigen, daß ich offensichtlich nicht den Klischees dieser Männer von Frauen entsprach.

Die Methoden, mit denen damals wie heute gearbeitet wird, um Menschen umzuformen und gefügig für Herrschaft zu machen, haben sich nicht wesentlich geändert. Das haben die letzten drei Jahre deutlich gezeigt. Das Hauptmittel ist das Erzeugen von Angst, dann das Diffamieren von Menschen, die ein anderes als das Herrschaftsnarrativ erzählen. Heute verbrennt man nicht mehr auf Scheiterhaufen, dafür lässt man Leute, deren „Verbrechen“ darin besteht, die Wahrheit verbreitet zu haben, im Gefängnis vergammeln wie Julian Assange. Oder man diffamiert sie, verhindert, daß sie öffentlich auftreten können wie z. B. Daniele Ganser, zensiert ihre Äußerungen im Internet und verbreitet Lügen über sie.

Ich bin all den Frauen so dankbar, die sich daran gemacht haben, das große Thema Hexenverfolgungen zu bearbeiten. Pionierinnen waren Frauen wie Starhawk und Mary Daly und soviele andere, daß ich sie gar nicht aufzählen kann. Nun liegt es an uns, uns unsere Lebendigkeit, unser Heilwissen, unsere freie Sexualität wieder zurückzuholen. Ich glaube übrigens, daß davon auch die Männer profitieren werden. Aber um ihre eigene Heilung müssen sie sich natürlich selbst kümmern.

 

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