Schaman*innen

Mein letztes Wildnisseminar liegt jetzt schon mehr als eine Woche zurück. Ich hatte lange gar keine Lust darüber zu sprechen. Es passieren dort Dinge, für die ich keine Sprache habe und wenn ich versuche zu erzählen, spüre ich schnell, daß ich meinen Gesprächspartner*innen nicht wirklich vermitteln kann, was mit mir/in mir geschieht. Auf jeden Fall ist es gut und genau das, was ich mir schon immer gewünscht habe und als ganz kleines Kind schon hatte, als meine Oma mit mir im Wald bei Soltau spazieren gegangen ist. Auf eine Karte an meine Eltern hat sie geschrieben, ich habe gesagt: „Im Wald ist es schön.“ Da war ich vier Jahre alt.

In der ersten Nacht habe ich ganz fürchterlich gefroren und dementsprechend wenig geschlafen. Ich habe mich innerlich darauf einstellt, daß das auch in den folgenden Nächten so sein würde. Aber es ging einigen so wie mir und unser Teamer organisierte Wolldecken, die es wirklich gebracht haben. Mein Schlafsack soll eigentlich bis 0° C funktionieren, das war wohl nichts. In der zweiten Nacht habe ich ganz schlecht geschlafen, weil ich einen großen Ärger in mir hatte. Der kam, weil ich mir in meinen neuen Parka ein handtellergroßes Loch gebrannt hatte. Wir haben halbierte Baumstammstücke mit Glut ausgebrannt, um daraus Schalen zu machen. Wahrscheinlich bin ich mit der Rückseite in die Nähe der Glut gekommen. Der Parka ist aus mit Bienenwachs imprägnierter Baumwolle und ich habe jahrelang nach sowas Ausschau gehalten, weil ich diese Outdoorjacken aus Plastik einfach nicht mag. Er war teuer, aber ich dachte, daß er mich mindestens zehn Jahre begleiten wird. (Als ich wieder zu Hause war, bin ich beim Schneider in Lütjenburg gewesen und der hatte eine gute Idee, wie er ihn reparieren könnte, ohne daß es doof aussieht)

Am Samstag bekamen wir einen Rehbock. Kopf und Füße waren schon entfernt und er war ausgenommen, aber das Fell war noch dran. Wir saßen im Kreis um das tote Tier und unsere Teamerin machte ein kleines Dankritual. Dann konnten wir den Bock anfassen, streicheln und ganz genau betrachten. Wir haben einen Jäger in unserer Gruppe und unter seiner Anleitung zogen wir das Fell ab und zerlegten das Fleisch. Davon haben wir drei Tage lang gegessen. Wir haben das Fleisch in Scheiben geschnitten und direkt in die Glut gelegt, ohne Salz und ohne Fett. Ich habe noch nie so leckeres Fleisch gegessen. Sogar unsere beiden Vegetarierinnen haben davon probiert.

In der dritten Nacht habe ich richtig gut geschlafen und bin nachts noch nicht mal zum Pinkeln wach geworden, was gut war, denn es ist nicht lustig bei der Kälte aus dem Zelt zu müssen. Später erfuhren wir, daß die Nachttemperaturen zwischen 3 und 5° C lagen. Und wir lernten, daß nicht nur die Decken für wohlige Wärme gesorgt hatten, sondern auch das Fleisch. Nicht ohne Grund essen die Menschen in der Arktis fast ausschließlich Fleisch und Fett: es gibt nichts anderes und es hält den Körper warm.

Als ich wieder zu Hause war, entdeckte ich, daß das Wild meinen letzten Mangold gefuttert hatte. Ich bekomme oft Besuch von wilden Tieren, die mein Gemüse lecker finden und das war viele Jahre ein Problem für mich. Aber dieses Mal musste ich lachen. Wenn ich das Fleisch von wilden Tieren esse, ist es nur gut und richtig, wenn ich mein Gemüse mit ihnen teile. Ich habe dieses Jahr viel ernten können und die Beete sind immer noch nicht leer, es ist genug da.

Grießbrei mit Saft aus selbstgeernteten
Holunderbeeren

In meinem Umkreis begegne ich derzeit etlichen Menschen, die einen Schamanen oder eine Schamanin aufsuchen. Schamanismus liegt voll im Trend. Ich bin da skeptisch. Erstmal finde ich es irgendwie nicht richtig, daß Menschen sich selbst so nennen. Und dann möchte ich gern hinterfragen, woher sie ihr Wissen/ihre Fähigkeiten nehmen. Manche sind sie bei Indigenen in fernen Ländern gewesen, manche haben einen Trommelworkshop besucht. 1994 habe auch ich so ein Seminar mit Paul Uccusic besucht. Ich habe gelernt, nach dem monotonen Rhythmus einer Rahmentrommel zu reisen und Erkenntnisse aus der Anderswelt mit in meine Alltagswelt zu bringen. Diese einfache Methode wende ich seitdem ab und zu an und sie hat mir, manchmal auch anderen, oft weitergeholfen. Ja, und dann habe ich bei der lieben Ute Schiran ganz viel gelernt, vor allem, daß ich nie isoliert von den großen schwingenden Feldern des Lebens bin. Deshalb bin ich aber keine Schamanin.

Ich verstehe die Faszination für das Thema Schamanentum, weil ich sie von mir selbst kenne. Und in Zeiten einer immer herzloseren Schulmedizin, die nicht in der Lage ist, den Menschen ganzheitlich zu sehen und zu behandeln, nimmt das Bedürfnis nach einer Alternative natürlich zu. Außerdem haben wir tief in unseren Körperzellen die Erinnerung an eine Zeit, an der nicht Ärzt*innen, sondern weise Frauen und Schaman*innen gerufen wurden, wenn es Probleme gab.

Unsere weiße Kultur hat fünfhundert Jahre, seit Inquisition und Hexenverbrennungen, alles dafür getan, das alte Wissen zu vernichten. Zeitgleich kam der Ärztestand auf. Wenn wir jetzt versuchen, an die Zeit vor der Vernichtung anzuknüpfen, suchen viele bei den Indigenen in Amerika, Asien, Australien. So verständlich das ist, es ist wieder mal nichts anderes als kolonialistische Aneignung. Ute Schiran hat es schlicht „Klauen“ genannt. Wenn ich z. B. ein Ritual nachahmen würde, das First Nations in den USA für die Weiße Büffelkalbfrau machen, hätte das nichts mit uns und der Landschaft, in der wir leben, zu tun. Ich bin davon überzeugt, daß wir die Arbeit des Erinnerns, des Aus-dem-Untergrund-holens selbst machen müssen. Das bedeutet, daß wir alte Mythen aus unserem Kulturkreis, alte Volksbräuche und unsere Intuition benutzen müssen, um peu à peu das alte Wissen auszugraben. Und wenn wir das mit aller Konsequenz machen, dann verändern wir uns und unsere Sicht auf die Welt. Denn erkennen wir, daß nicht wir die Heiler*innen sind sondern die unsichtbaren Helferwesen. Und der Kontakt mit ihnen will gepflegt werden. Nach meiner eigenen Erfahrung ist aber etwas Weiteres absolut notwendig auf diesem Weg: eine starke Rückverbindung mit der Natur, mit der wilden Welt und das Bewusstsein, daß wir ein Faden im Gewebe des Lebens sind, nicht größer, nicht besser, nicht intelligenter als alle anderen Lebewesen.

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