Stille

In den letzten Tagen kam mir mein kleines Dorf noch stiller vor als all die Jahre. Der Acker hinter dem Garten wurde gespritzt, der Trecker war nicht leise. Trotzdem ist da diese Stille. Nachmittags machte ich mich bei schönstem Sonnenschein auf den Weg nach Selent. Der Autoverkehr hat sich stark reduziert. Bei Edeka waren nur wenige. Es war ein wenig unheimlich: wenn ich in den Gängen an jemand vorbei ging, bemerkte ich, wie der Andere sich quasi zusammenzog, um mich nicht versehentlich zu berühren. Auf der Straße sahen die Leute weg und grüßten nicht, als sei auch Freundlichkeit schon eine Gefahr. Die Süddeutsche Zeitung war bei Edeka ausverkauft. Ich ging zur Tankstelle. Mein Versuch, mit dem Mann an der Kasse einen kleinen Small Talk zu halten, wurde von seiner Seite mit einem unfreundlichen Grunzen gestoppt.

Heute rief ich in meiner kleinen Stammbuchhandlung an, um das neue Buch von Charles Eisenstein zu bestellen: Wut, Mut, Liebe. Die Buchhändlerin verkauft zur Zeit vorbestellte Bücher an der Tür. Sie sagte, daß ihr deswegen mit einer Anzeige gedroht worden sei. Lebensmittel dürfen weiter verkauft werden (und Klopapier, wenn welches da ist – was machen die Leute eigentlich mit den Unmengen Klopapier? Die Franzosen kaufen angeblich verschärft Rotwein und Kondome, was ich eher nachvollziehen kann). Ich plädiere dafür, auch Bücher zu den Lebensmitteln zu rechnen. Natürlich kaufe ich kein Buch bei dem bekannten Onlinehändler mit dem schlechten Ruf, ich unterstütze lieber diejenigen, die sich jetzt vor der Insolvenz fürchten.

Wohlmeinende Menschen schicken mir Links zu irgendwelchen Youtube-Videos, die ich mir unbedingt angucken soll. Das Ansehen von Videos macht mich schnell ungeduldig. Ich glaube, es gibt in mir eine innere Abwehr, mich auf noch mehr Informationen einzulassen. Ich bin voll mit Informationen. Es reicht mir, ich habe keine Lust mehr, mich mit den unterschiedlichen Meinungen zum Coronaviruas zu befassen. Was ist richtig, was falsch? Ich weiß es nicht und ich glaube, ich stehe nicht allein damit in der Welt. Keine Regierung weiß es, alle Maßnahmen sind nur Versuche, aus Hilflosigkeit geboren.

Und währenddessen ist hier der Frühling eingezogen. Alles ist so hell und schön. Ich habe die Fenster geputzt, so kann die Sonne mit ihrem vollen Glanz in die Wohnung scheinen. Ich esse gut (heute selbstgemachte Käsespätzle und Krautsalat), ich lese, ich stricke, ich sitze im Garten und bin ganz zufrieden mit dem Leben.

Auf dem Weg nach Selent habe ich an mehreren Stellen Märzveilchen gefunden. Die habe ich schon jahrelang nicht mehr gesehen.

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