Katzengeschichte

Vorgestern verschwand meine Katze. Gegen 5 Uhr nachmittags wollte sie raus und war noch nicht zurück, als ich ins Bett ging. Das ist sehr ungewöhnlich. Ich ließ das Schlafzimmerfenster so weit auf, daß ich sie würde hören können, wenn sie reinwollte. Sie kennt das so seit vielen Jahren. Aber sie meldete sich nicht. Stattdessen saß der junge Nachbarkater, der meinem Lenchen den Hof macht, die ganze Nacht zwischen  Schlafzimmerfenster und Schuppen und rief nach ihr. Manchmal glaubte ich Lenchen zu hören, aber dann schien es doch nur der Kater zu sein. Ich konnte lange nicht einschlafen und machte mir große Sorgen.

Morgens trank ich wie immer Kaffee im Holzschuppen, da hörte ich wieder einen Ruf, der wie Lenchen klang, aus Richtung Schuppen. Ich öffnete die Tür vom Schuppen meiner Nachbarn, aber da war sie nicht. Ich schaute nicht in meinen Schuppen, weil ich mir sicher war, daß ich ihn nicht betreten hatte, nachdem ich die Katze rausgelassen hatte. Ich streifte durch das kleine Wäldchen am Dorfrand, ich ging zu meinen Nachbarn, die alle in ihre Schuppen schauten. Keine Katze zu sehen. Ich machte mir sehr große Sorgen. Vor fast genau fünf Jahren musste ich meine liebe Skadi einschläfern lassen, weil sie innerhalb von wenigen Tagen zunehmend serienweise cerebrale Krampfanfälle bekommen hatte. Sie war erst drei Jahre und sieben Monate alt und ich habe um sie getrauert wie um einen sehr nahestehenden Menschen. Ich hatte Angst, nochmal einen so großen Schmerz fühlen wie damals. Ich musste auch an den Kater meiner Nachbarin denken, der vor einigen Jahren elendig an Rattengift gestorben ist. Ich versuchte mit mäßigem Erfolg, meinen Horrorvorstellungen mit langem tiefen Atem entgegenzuwirken und mich mit meinen Sinnen im gegenwärtigen Moment zu verankern.

Als ich den Abwasch machte, fiel mir auf, daß der Nachbarkater auf den Stufen vor der Schuppentür saß und durch die Türritze schaute. War mein Lenchen etwa doch im Schuppen? Aber das konnte doch gar nicht sein. Nachmittags folgte ich endlich einem plötzlichen Impuls und öffnete die Schuppentür. Und da kam Lenchen mir entgegengesprungen. Meine Erleichterung war riesengroß, aber ebenso meine Fassungslosigkeit angesichts der Einsicht, daß ich mehrmals in all den Stunden den Hinweis bekommen hatte, daß sie sich im Schuppen befindet und ich nicht darauf gehört hatte. Mir fiel dann auch ein, daß ich am Nachmittag doch einmal im Schuppen gewesen war, um etwas zu holen. Da muss sie sich unbemerkt reingeschlichen haben.

Hühner und Hahn aus der Nachbarschaft zu Besuch

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