Vorletzte Woche kam meine Mutter nach einem kleinen Schlaganfall ins Krankenhaus. Ich rief dort an und erfuhr, daß es ein totales Besuchsverbot in allen Krankenhäusern in Münster gibt – wegen Corona natürlich. Meine Mutter ist 93 Jahre und ich finde es wirklich das Allerletzte, was hier geschieht. Die Politiker*innen und ihre verbündeten Virologen begründen die Restriktionen mit dem Schutz unserer Gesundheit. Auf diesen „Schutz“ verzichte ich gern und meine Mutter übrigens auch. In der TAZ erschien vor einiger Zeit ein sehr aufschlussreiches Interview zum Thema, warum die Regierung so harte Maßnahmen ergreift, aus dem auch hervorgeht, daß die Anzahl der Grippetoten in der Saison 2017/2018 wesentlich höher lag als die Anzahl der Covid-19-Toten: https://taz.de/Ethikraetin-Graumann-zu-Massnahmen/!5726067/ . Warum also der erneute Lockdown? Um den Zusammenbruch des Gesundheitswesens zu verhindern. Da packt mich die Wut: der Zusammenbruch unseres Gesundheitswesens geht auf das Konto der vergangenen Regierungen, die die Privatisierung der Krankenhäuser vorangetrieben hat. Wir, die wir im Gesundheitswesen arbeiten bzw. wie ich gearbeitet haben, haben dabei zugesehen, wie damit alles schlechter wurde. Na klar, wenn plötzlich Profit das Hauptziel ist, muss an allem anderen gespart werden, zuallererst an Personal. Wir haben immer und immer wieder darauf hingewiesen, daß wir unsere Arbeit nicht schaffen. Das hat die Verantwortlichen nicht interessiert. Wenn Kolleg*innen Überlastungsanzeigen schrieben, kam von einigen Geschäftsführungen eine scharfe Reaktion, nach dem Motto: „Wenn Sie nicht in der Lage sind, Ihre Arbeit ordnungsgemäß zu erledigen, haben Sie den falschen Job“. Oder es kam zu Versetzungen auf wesentlich ungünstigere Stellen.
Dann kam plötzlich das Gejammer: wir haben nicht genug Pflegepersonal. Tja, wie kommt das denn wohl? Jahrelang habt ihr unsere begründeten Warnungen ignoriert und jetzt dürfen wir kollektiv die Fehler unserer Regierungen ausbaden, indem man uns zwingt, auf alles zu verzichten, was menschlich ist: Kontakt, Berührung usw. Na, ich weiß, ich wiederhole mich. Zurück zu meiner Mutter: Dank meines rechtskundigen Sohnes haben wir dann doch eine Sonderbesuchsgenehmigung bekommen. Ich fuhr also nach Münster. An der Pforte des Krankenhauses musste ich einen Zettel mit meinen Daten ausfüllen, ob ich krank bin, Schnupfen, Husten, Durchfall, Fieber habe. Dann wurde mir Fieber gemessen. Statt meiner Stoffmaske musste ich einen Klinikmundschutz tragen. Das sind die Dinger, die wir auf meiner ehemaligen Station benutzen mussten, wenn wir mal wieder eine Noroviruswelle hatten. Sie riechen extrem unangenehm.
Meine Mutter hat bis jetzt allein gelebt und außer einer Reinigungskraft keine Hilfe gebraucht. Sie hat selbstständig eingekauft, gekocht und ist sogar noch zum Nordic Walking und bis vor dem ersten Lockdown zum Kiesertraining gegangen. Mittlerweile hat aber ihre Sehkraft so stark nachgelassen, daß sie in Zukunft nicht mehr allein leben können wird. Also gibt es für meinen Bruder und mich viel zu organisieren. Ich kann nicht behaupten, daß mir das Spaß macht und ich denke viel darüber nach, wie ich das alles meinen Kindern in Zukunft ersparen kann. Ich hatte in den zwei Tagen, die ich in Münster verbrachte, alle Hände voll zu tun und war nicht in allerbester Stimmung. Aber es gibt auch Gutes zu berichten: eine Freundin meiner Mutter lud mich am Abend meiner Ankunft zum Abendessen und am Tag meiner Abreise zum Frühstück ein. So konnte ich mich mit ihr und ihrem Mann, beide sehr freundliche Menschen, austauschen und beraten. Das tat gut.
Am letzten Dienstag fuhr ich wieder nach Hause. Der Zug hatte wegen technischer Probleme 40 Minuten Verspätung. Ich würde also meinen Anschlusszug in Hamburg nicht bekommen. So saß ich auf dem Bahnsteig in der frischen Luft (ich hätte gern stattdessen im Café gesessen, aber auch das ist ja derzeit nicht möglich) und beobachtete mich selbst dabei, wie ich mich mal wieder über die Deutsche Bahn ärgern wollte. Bei der Bahn sind Verspätungen und technische Probleme seit Jahren die Regel. Mein Ärger ebbte ab, ehe er sich voll aufbauen konnte. Es ist wie es ist. Wir wissen alle, was wir von der Bahn erwarten können. Pünktlichkeit gehört nicht dazu. Ich sah zu, wie drei nebeneinander stehende Kräne Lasten hochhievten; ich wurde von einer Frau, die gerade ihren Zug verpasst hatte, um Rat gebeten; ein alter Mann fragte mich, ob die Anzeigetafeln die richtigen Züge angaben. Als ich einen Schritt auf ihn zukam, um ihn besser verstehen zu können, sagte er fast panisch: „Bleiben Sie da, wo Sie sind.“ Daß die Panikmache von Merkel, Spahn, Drosten und Co. bei so vielen Menschen auf fruchtbaren Boden fällt, finde ich am schlimmsten. Angst macht krank. Dann kam mein Zug. Ich hatte eine gemütliche Fahrt, las Zeitung, döste ein wenig, freute mich über den Zugbegleiter, der meine Bahncard nicht sehen wollte und zu mir sagte: „Ich vertraue Ihnen.“ In Hamburg lungerte ich wieder eine gute halbe Stunde auf dem Bahnsteig herum und wunderte mich über die Reklame einer Onlineversandfirma, die schmusende Menschen mit der Unterschrift „Wir werden uns wieder umarmen“ zeigte. Im Regionalzug saßen hinter mir ein Vater mit seinem dreijährigen Sohn. Ich hörte bis Kiel zu, wie die beiden sich unterhielten und Ich sehe was, was du nicht siehst und Wer als erstes ein Tier sieht spielten. Der Vater ging so liebevoll, authentisch und entspannt mit seinem kleinen Sohn um, daß es eine Freude war. In Kiel angekommen sagte ich ihm: „Es war mir ein Genuss, Ihnen zuzuhören. Ich finde es ganz toll, wie Sie Ihrem kleinen Sohn behandeln.“ Er war ganz überrascht und freute sich. Als ich dann zu meinem Auto ging, konnte ich dem verspäteten Zug doch noch etwas Gutes abgewinnen.
Übrigens: Natürlich lasse ich mich nicht impfen!