Am Mittwoch traf ich die spontane Entscheidung, nach Flensburg zu fahren. Das war eigentlich der Plan für die nächste Woche. Angesichts der sich täglich verschärfenden Anti-Corona-Maßnahmen rechne ich dann aber mit Ausgangssperren wie in Bayern und Österreich. Auf der Autobahn hörte ich das Interview mit dem Virologen Drosten. Meine Tochter versorgte mich mit einer der Gegenstimmen, der des ehemaligen Arztes Wolfgang Wodag, der konträre Ansichten vertritt. Es gibt soviele unterschiedlichen Meinungen zum Thema. Ich bin es allmählich leid, mich mit diesen ganzen Stellungnahmen zu befassen. Ich glaube, keiner weiß richtig Bescheid. Ich glaube an Herdenimmunität und hielte es für besser, den Menschen, die zur Risikogruppe gehören, die Entscheidung selbst zu überlassen, ob sie unter Leute gehen oder nicht. Aber ich habe mich jetzt auch entschlossen, mich dem Nicht-Wissen hinzugeben und gespannt zu verfolgen, wie es weitergeht.
In Flensburg hatte ich jedenfalls eine gute Zeit. Gestern Vormittag gingen wir in die Stadt. Das Café K. verkauft Getränke und Speisen zum Mitnehmen. Ob sie sich damit in den nächsten Wochen über Wasser halten können? Wir kauften aus Solidarität und weil wir Lust darauf hatten, das französische Frühstück mit Croissant, Brioche und Maronencreme, dazu einen sehr leckeren Galao. Auf dem Markt war Betrieb, aber bis auf Drogerien, Supermärkte und Apotheken waren alle Läden geschlossen. Viele hatten Schilder in die Fenster gehängt und boten Lieferservice an. Die Leute lassen sich was einfallen. Not macht erfinderisch.
Abends sahen wir Solaris von Andrej Tarkowski auf DVD. Das ist ein alter Film, den ich mindestens schon dreimal gesehen habe und jedes Mal entdecke ich noch etwas Interessantes. Das Remake von Steven Soderbergh mit George Clooney kann nicht mithalten, ist halt ein typischer Hollywoodfilm. Im Vergleich zu neueren Filmen ist Solaris langsam. Dadurch dringen die Bilder viel tiefer. Aber vor allem die Idee vom lebendigen Ozean auf dem Planeten Solaris, der die tief verborgenen Bewusstseinsinhalte der Bewohner der Raumstation materialsieren kann, fasziniert mich sehr. Vorlage für den Film war der gleichnamige Roman von Stanislaw Lem, der auch sehr lesenswert ist.
Heute fuhr ich von Flensburg direkt auf den Markt in Kiel. An den Ständen standen lange Schlangen, die Leute bemühten sich um Abstand (2 m wurde empfohlen). Als ich an meinem Gemüsestand zur Metallschale griff, um wie sonst Gemüse darin zu sammeln, hielt einer der Verkäufer sie fest und wies mich darauf hin, daß die gewohnte Selbstbedienung nicht mehr möglich sei. Am Käsestand lehnte man meine mitgebrachte Dose ab und wickelte den Käse in Papier und in den Zeitungsladen durften immer nur zwei Menschen gleichzeitig. Katjas Einweihungsparty für ihre neuen Räume wurde abgesagt, ebenso Yoga.
Wer weiß, wozu das alles gut ist. Was wird uns dieses Virus bringen? Auf jeden Fall schon mal Entschleunigung und eine deutliche Entlastung unserer Mitwelt. M. zeigte mir Fotos von den Kanälen in Venedig: sauberes Wasser. Das Wegbleiben der Touristen zeigt schon Wirkung. M. war im November anlässlich der Biennale in Venedig und hatte die Stadt als dreckig und voll und die Kanäle als stinkend in Erinnerung.