Qual

Campact hat mir eine Mail geschickt, in der zum Protest gegen die Kastenhaltung von Muttersäuen aufgerufen wird. Das dazu gehörige Bild einer in einen engen Käfig aus Eisenstangen eingesperrten Sau, der zwar den Ferkelchen erlaubt, an ihre Zitzen zu kommen, der Sau selbst aber kaum Bewegung, geschweige denn zärtlichen Körperkontakt mit ihren Kindern erlaubt, blieb in meinem Kopf, als ich ins Bett ging und war heute Morgen beim Aufstehen wieder da. Die Qual mitanzusehen, wie meine Gattung mit fühlenden Wesen umgeht, ist mal wieder kaum auszuhalten. Was kann ich tun? Ich finde, ich tue schon viel und es wird, je mehr ich weiß, immer mehr. Ich lebe weitgehend vegetarisch. Wenn ich Fleisch esse, muss ich wissen, daß es aus einigermaßen artgerechter Tierhaltung stammt. Das ist in der Regel nur bei Demeterfleisch der Fall. Und ich bin mir bewusst, daß nur wilde Tiere artgerecht leben können. Ich esse fast keinen Fisch mehr, obwohl ich ihn mag. Thunfisch ist schon seit vielen Jahren vom Speisezettel gestrichen, auch der angeblich delphinfreundlich gefangene. Fische aus anderen Ländern kommen gar nicht in Frage. Wenn eine weiß, daß die europäischen Fangtrawler die afrikanischen Küsten leerfischen und den einheimischen Fischern nur noch die Flucht nach Europa bleibt (wenn sie das Geld haben, Schleuser zu bezahlen), vergeht einer der Appetit. Ich esse keine Shrimps und Garnelen, auch nicht, wenn sie angeblich bio sind. Nordseekrabben sind auch gestrichen, weil die Fangmethoden verheerende Folgen haben. Dorsch, Schollen und Makrelen gehen ebenfalls nicht mehr. Sie stehen kurz vor der Ausrottung. Es bleibt für mich nur noch Hering, aber auch dessen Tage sind gezählt, weil ihm die Erwärmung der Meere nicht bekommt. Milch kaufe ich auf dem Markt beim Demeterbauern und gelegentlich von den Ökomelkburen, weil diese die Kälbchen bei den Müttern lassen.

Und um ehrlich zu sein, selten erlaube ich mir eine Ausnahme: wenn wir im Café K. in Flensburg frühstücken, esse ich gern den „Dänen“. Da gibt es ein paar Scheiben Lachs und Heringssalat. Auch Lachs kann ich eigentlich nicht verantworten, weil er aus Aquakultur kommt. Sie kann sich tausendmal ökologisch nennen, aber es ist einfach nicht artgerecht, diese wilden Fische, die natürlicherweise solch lange Wanderungen machen, in Käfigen zu halten, auch wenn die geräumig sind.

Jedenfalls habe ich beim Anblick dieser elenden gequälten Muttersau, deren einziger Lebenszweck die Produktion von billigen Fleisch ist, mal wieder den Gedanken gehabt, daß es gut ist, wenn die menschliche Gattung demnächst von der Erde verschwindet, einfach, damit diese unendliche Qual ein Ende hat. Übrigens sind diese Käfige in vielen europäischen Ländern längst verboten. Aber Deutschland hinkt mal wieder meilenweit hinterher, genau wie beim Tempolimit auf den Autobahnen und bei der Legalisierung von Cannabis (na, immerhin muss die Regierung endlich Dank eines richterlichen Urteils ihr Sterbehilfeverbot kippen). Und auch hier zeigt sich, daß Frauen keinesfalls die bessere Politik machen: Julia Klöckner als Landwirtschaftsministerin tritt konsequent in die Fußstapfen ihrer Vorgänger.

Neulich las ich in einer alten TAZ (die bekomme ich von I., um Feuer damit anzumachen) einen Artikel, in dem es um die Reaktionen von Menschen ging, die von der Autorin auf ihre unökologisches bzw. klimafeindliches Verhalten angesprochen wurden. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich es sinnvoll finde, in meinem Umkreis direkte Konfrontationen zu wagen, etwa: Ich finde es scheiße, daß du einen SUV fährst. Ist dir klar, daß die Tabletten, die du nimmst, unter entsetzlichen Bedingungen an Tieren getestet wurden? Findest du es in Ordnung, dich mit deinen billigen Klamotten zu brüsten, wo doch jeder weiß, daß sie unter Sklavenbedingungen hergestellt wurden? Weißt du, daß auch deine ganzen Kosmetika, Hairconditioner und dergleichen an Tieren getestet und für die rote Farbe deines Lippenstifts und Nagellacks Tausende Cochenilleläuse getötet wurden?

Ich werde das in dieser Form nicht machen. Menschen ändern ihr Verhalten nicht, wenn ihnen jemand so an den Karren fährt. Als ich noch starke Raucherin war, bin ich oft darauf angesprochen worden, daß das schädlich ist, oder Leute haben ihr Unverständnis geäußert, weil sie die Diskrepanz zwischen meinen ansonsten eher bewussten Lebensstil nicht mit einer so schlechten Angewohnheit wie Rauchen zusammenbringen konnten. Aber wie jeder Raucher, Alkoholiker, Drogensüchtiger wusste auch ich natürlich Bescheid, aber ich konnte einfach nicht aufhören. Ein Leben ohne Zigaretten war nicht denkbar. Bis es irgendwann dann doch ging.

Aber ich verkneife mir nicht, gelegentlich Hinweise zu geben wie neulich, als eine Bekannte mir mal wieder einen Link zu einem Youtube-Video schickte und ich sie in meiner Antwort auf das Shiftproject und Digital Detox aufmerksam machte. Sie antwortete mir mit dem alten Satz von Adorno: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Als ich diesen Satz in den 70er Jahren zum ersten Mal hörte, hat er mich sehr beunruhigt. Ich hatte damals noch keine Übung darin, die Meinungen von Denkerkoryphäen kritisch zu hinterfragen. Und auch wenn es angeblich bewiesen ist, daß das Verhalten der einzelnen Person kein bisschen am Klimawandel ändert, für mich macht es einen Unterschied. Das Gefühl von Ohnmacht und Ausweglosigkeit schwächt sich in dem Moment spürbar ab, in dem ich meinen eigenen Einsichten folgend handele. Ich lerne immer mehr dazu, werde immer konsequenter – und das fühlt sich richtig und gut an. Und auch wenn es mir oft verdammt schwer fällt, das zu akzeptieren: dasselbe muss ich Anderen auch zugestehen, jedem und jeder in seinem und ihrem Tempo. Auch ich bin, was Lebensstiländerungen angeht, noch längst nicht am Ende der Fahnenstange angelangt.

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