…von der Hindernisbereiterin, dieser Wesenheit, die gern Steine in den Weg legt. Ich hatte mir vorgenommen, einen langen Gang zu machen und den Mai zu begrüßen. Gerade als ich soweit war, fing es an zu gießen. Das ist eigentlich nichts Neues, schließlich regnet es seit einem Dreivierteljahr unterbrochen von wenigen Tagen, an denen eine die Ahnung bekommt, daß es noch eine Sonne gibt. Aber ich hatte leichtfertigerweise geglaubt, daß nach ein paar regenfreien und sogar sonnigen Tagen jetzt endlich eine Wende im ewig nassen und kalten Wetter geschieht.
Däumchen drehen ist nicht so mein Ding. Also setzte ich mich an die Nähmaschine. Kaum hatte ich eine halbe Naht genäht, ließ die Nadel sich nicht mehr bewegen. Ich musste leider Gewalt anwenden und sie abbrechen. Dann tat ich alles, was ich konnte, um die Maschine wieder in Gang zu bringen, mit dem Resultat, daß ein paar Stiche möglich waren und die Maschine von Neuem streikte. Nachdem ich längere Zeit mit etlichen vergeblichen Versuchen verbracht hatte, musste ich das Nähprojekt entnervt aufgeben.
Ich beschloss trotz Regen und warm angezogen meinen Gang zu machen. Bewegung ist für mich eine relativ sichere Methode schlechte Laune loszuwerden. Vorbei an der Esche, in der letztes Jahr noch ein Bienenvolk lebte, möglicherweise ein Schwarm meiner Bienen von meinen Völkern. Die Bienen sind mittlerweile tot, die Öffnung ist vielleicht von einem Tier erweitert worden und darin konnte ich eine Wabe entdecken. Dann ging es zu den Teichen, die mittlerweile mehr als voll sind. Dort hob sich meine Laune schlagartig, denn ich hörte den melancholischen Chor von Unken. In den fast fünfzehn Jahren, die ich hier mittlerweile lebe, hat es in diesen Teichen noch nie Unken gegeben. Aber jetzt! Seit ich das erste Mal vor vielen Jahren in Meck-Pomm zum ersten Mal in meinem Leben die seltsame und berührende Musik dieser Tiere gehört habe, bin ich hinter ihnen her. Was für ein Glück! Dann ging ich in den Wald mit der alten hohlen Eiche und den Streuobstwiesen. Der Tümpel, in dem ich letztes Jahr Unken gefunden hatte, war verlandet, aber ein Stück weiter hörte ich sie wieder. Ein kleiner Teich, in dem weißes Schaumkraut wuchs und ein Entenpärchen gründelte, war ihr neues Quartier. Übrigens hat es während der ganzen langen Zeit, die ich unterwegs war, kein bisschen geregnet.
Am nächsten Tag fuhr ich nach Kiel. Dort gibt es einen Mann, der in seiner Hinterhofwerkstatt Nähmaschinen repariert. Er saß fluchend an einer Overlockmaschine und sagte: „Was will man auch von einer Maschine erwarten, die es bei Aldi für 150 Euro gibt.“ Dann nahm er sich meine Maschine vor. Die ist so alt wie mein Sohn, nämlich 50 Jahre und in grellem 70er-Jahre Orange. Meistens funktioniert sie einwandfrei und ich nehme an, daß sie mich überlebt. Das Problem war in weniger als zehn Minuten behoben. Ich wurde nach meinem Beruf befragt und dann bekam ich einen Teil seines wilden Lebens erzählt. Ich erfuhr, daß er nichts von Ärzten hält, außer von Zahnärzten und Unfallchirurgen. Das hat er mit Professor Christian Schubert, Psychoneuroimmunologe in Innsbruck, gemeinsam. In einem Video hörte ich ihn kürzlich auf Schärfste mit seiner Zunft ins Gericht gehen. Die C-Zeit habe ihm gezeigt, daß Schulmedizin tötet und die einzigen Mediziner, denen er noch eine Existenzberechtigung einräumt, seien Zahnärzte und Chirurgen, weil die Handwerker seien. Ich bin in dieser Hinsicht weitgehend seiner Ansicht, frage mich allerdings, wie er zu seiner eigenen Tätigkeit als Mediziner steht. Zurück zu meinem Nähmaschinenmechaniker: er zückte sein Smartphone und zeigte mir viele Fotos von seinen Enkelkindern, die in einer Falknerei die Gelegenheit hatten, Eulen und Greifvögel auf ihrer Hand sitzen zu lassen. Da wäre ich auch gern dabei gewesen. Dann betrat ein Mann in Biker-Kleidung die Werkstatt. Auf seinem Helm befand sich direkt über seiner Stirn das von Dollarnoten bekannte Auge der Vorsehung auf einer Pyramide. „Interessanter Helm“, sagte ich. Er gab mir die Hand. Das gefiel mir. Es ist ja nicht selbstverständlich, daß mir ein wildfremder Mann einfach die Hand gibt, schon gar nicht seit den letzten Jahren.
Alles in allem hat mir die Hindernisbereiterin also ein paar interessante Erlebnisse beschert. Vielleicht sollte ich es zu einer spirituellen Disziplin machen, alle Hindernisse auf meinem Weg als Chancen für die Erweiterung meines Wahrnehmungsfeldes zu nutzen. Ohnehin scheinen ja nur Menschen Wert auf gerade und hindernisfreie Wege zu legen, dabei sind die doch eigentlich meistens die langweiligsten. Meine Katze jedenfalls geht nie gerade Wege. Sie ändert ständig ihre Richtung und entdeckt überall neue interessante Sachen, die erst mal beschnuppert und beobachtet werden müssen. Meistens liegt sie allerdings irgendwo herum und pflegt ihre Traumzeiten.