Kollaps

Vorletzte Woche hatte ich das erste und hoffentlich letzte Mal in meinem Leben einen Kreislaufkollaps. Die Vorgeschichte: ich war auf einem Seminar in der Nähe von Wolfenbüttel, Sehen ohne Augen mit Katharina Friedrich. Sehr interessant, auch anstrengend, weil hohe Konzentration erforderlich war. Ich hatte in der letzten Nacht wenig geschlafen, weil ich so aufgeladen war. Am Freitag, nach Abschluss des Seminars, fuhr ich nach Bonn, wo mein Sohn seinen 50. Geburtstag gefeiert hat. Die Autofahrt ging glatt, wenig Stop and Go, kein Stau. Ich hatte mir die Route vorher im Internet angesehen, was immer gut funktioniert. Ein Navi will ich nicht, weil ich finde, daß diese ganzen technischen Hilfsmittel dumm machen. Ich fand den Ort der Party ohne Probleme, aber keinen Parkplatz. Die Innenstadt von Bonn ist eine einzige Baustelle; es scheint nur noch Einbahnstraßen zu geben. Durch die irrte ich nun und wusste bald nicht mehr, wo ich war. Ich stellte den Wagen provisorisch irgendwo ab und versuchte, meine Familie per Handy zu erreichen. Keiner ging dran. Die Party war in vollem Gange. Gerade als meine Gelassenheit dabei war mich zu verlassen, meldete sich S., meine Schwiegertochter. Sie holte mich und den Wagen ab und wir fanden dann schließlich auch einen Parkplatz und machten den Rest des Weges zu Fuß.

Auf der Party waren schon sehr viele Leute. Ich wurde herzlich von allen begrüßt, die ich kenne und hatte dann ein paar sehr nette Gespräche, das letzte mit meinem Schwiegersohn. Wir standen an einem Stehtisch im Hof und ich fühlte mich plötzlich komisch, als ob mein Blutdruck in den Keller fiel. Mein letzter Gedanke war: Ich muss mich jetzt konzentrieren, daß ich stehenbleibe. Dann fand ich mich auf der Erde liegend wieder, an meiner rechten Seite eine Frau, die auf mich einredete. Sie sagte, man habe einen Krankenwagen gerufen, der mich ins Krankenhaus bringen würde. „Ich will nicht ins Krankenhaus“, sagte ich und richtete mich auf. „Seien Sie doch vernünftig. Sie haben sich verletzt, Sie bluten und die Wunde muss genäht werden. Das müssten Sie als Krankenschwester doch wissen“, sagte die Frau. Ich fasste mir an die Schläfe und fühlte eine riesige Beule. Dann drückte mir jemand ein mit Eiswürfeln gefülltes Tuch an den Kopf. Meine linke Schulter wurde gestreichelt und das fühlte sich so gut an, so elementar. An der Stimme erkannte ich, daß es meine Tochter war, die mich streichelte. Eine Rettungssanitäterin kam und führte mich zum Rettungswagen. Und während ich auf der Trage lag und angeschnallt wurde, spürte ich eine große Erschöpfung und wusste, daß ich keine Energie mehr hatte, mich gegen irgendwas zu wehren. Also gab ich mich dem Geschehen hin. Ein Freund meines Sohnes kam und fragte nach meinem Autoschlüssel. Meine Tochter begleitete mich im Krankenwagen.

Ich wurde ins St. Josefs-Krankenhaus gebracht. Dort schob man mich ins CT, um einen Schädelbruch und innere Blutungen auszuschließen, nahm mir Blut ab, klebte die Wunde an der Schläfe mit Steristrips zu, legte mich an den Monitor. Dann wurde auf die Laborwerte gewartet. Eine Kardiologin kam und sagte, daß ich auf die Überwachungsstation käme. Man hängte mir ein kleines EKG-Gerät um und brachte mich auf die Station, wo ich allein auf ein Dreibettzimmer kam. Ich hätte gern ein wenig Schlaf nachgeholt, aber ich konnte nicht schlafen. Ich fand mein Handy nicht und machte mir Sorgen, daß ich es verloren hatte. Morgens, als die Schwester kam, um meinen Blutdruck zu messen, sagte ich, ich wolle nach Hause und bat darum, telefonieren zu dürfen. Ich wartete damit allerdings, bis ich annehmen konnte, daß jemand aus meiner Familie wach sein würde. Meine Tochter hatte mir glücklicherweise die wichtigsten Telefonnummern aufgeschrieben und in die Hosentasche gesteckt. Meine Schwiegertochter erzählte mir, daß sie mein Auto in der Nacht zu sich nach Hause gebracht und auch mein Handy gefunden hätte.

Um 15:00 durfte ich das Krankenhaus endlich verlassen. Bis dahin habe ich mich gelangweilt, ein pappiges Brötchen mit Käse und später ein paar Löffel Eintopf gegessen, mir Kaffee und Tee geholt, endlose Wanderungen auf dem Flur gemacht, den dort ausliegenden Bonner Generalanzeiger durchgelesen, mich gewaschen und das Blut notdürftig aus meinen Haaren entfernt. Mittags kam der Oberarzt und sagte, die Diagnostik sei nicht abgeschlossen. Man habe keine Ursache für den Kollaps gefunden und müsse daher weiterforschen. Ich sagte ihm, daß ich alles Weitere mit meiner Hausärztin in die Wege leiten würde. Er machte dann noch eine Sonographie meines Herzens und erklärte mir die Aufnahmen auf dem Monitor. „Ein schön starkes Herz“, sagte er und darüber freute ich mich.

Dann kamen mein Sohn und meine Schwiegertochter und holten mich ab. Anders als geplant fuhr ich nicht am Abend nach Hause sondern erst am nächsten Tag. Abends gingen wir zusammen sehr lecker beim Vietnamesen essen. In der Nacht schlief ich tief und fest. Als ich am Morgen in den Spiegel schaute, hatte ich einen violettroten Bluterguss rund um mein rechtes Auge, der nur allmählich verschwindet. Meine Tochter, mein Schwiegersohn und mein Sohn am Steuer fuhren nach Münster, wo er zu einem Geburtstag eingeladen war, dann fuhren wir zu dritt weiter in den Norden und kamen gut zu Hause an.

Ich glaube nicht, daß mein Kollaps körperliche Ursachen hatte. Vielleicht war alles zuviel gewesen, ich hatte auch wenig gegessen.  Und ich fühlte mich irgendwie stark aufgeputscht durch die Eindrücke des Seminars, die lange Autofahrt, den starken Kaffee, den ich in einer Raststätte getrunken hatte. Alkohol spielte keine Rolle, ich hatte ja nur zwei Gläser Wasser getrunken. Aber natürlich wollen Schulmediziner immer einen körperlichen Grund finden. Ich habe Herzrhythmusstörungen, aber die sind schon länger bekannt und nicht dramatisch. Meine Schilddrüse tanzt manchmal aus der Reihe, aber das habe ich bisher mit Efeutinktur erfolgreich behandelt. Ohnehin glaube ich, daß Krankheit im Energiefeld beginnt und sich dann erst im Körper manifestiert.

Meine Familie hat mir später erzählt, wieviele Menschen um mich waren, als ich auf der Erde lag. Ich habe davon nichts mitbekommen. Meine Wahrnehmung war völlig eingeengt. Mitbekommen habe ich das Streicheln meiner Tochter, die Frau an meiner rechten Seite, die mir die Eiswürfel auf die Beule drückte und die freundliche Rettungssanitäterin, die jeden Schritt erklärte. Ich erinnere mich auch an die Augen des Arztes, der mich aufgenommen hatte und an die sanften Hände des Krankenpflegers, der meine Wunde säuberte und zuklebte. Und an die freundlichen Worte der Frau, die mich ins CT schob. Das sind die Dinge, die wichtig sind: Ruhe, Sanftheit, Berührung. Das weiß ich aus meiner Arbeit mit Patienten und nun habe ich es selbst erlebt.

Ich bin immer noch nicht wieder ganz in der Welt und erde mich mit Gartenarbeit und Alltagsroutine. Ich fühle Dankbarkeit gegenüber all den Menschen, die um mich waren, die Anteil genommen haben und die im richtigen Moment das Richtige getan haben.

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