Gestern machte ich Besorgungen in Kiel und hörte plötzlich die hellen Schreie der Mauersegler am Himmel. Das rief Erinnerungen an meine letzten Jahre in Münster wach, als wir im vierten Stock eines Altbaus wohnten, um den im Sommer die Mauersegler flogen. Mauersegler holten mich aus meiner düsteren Stimmung nach einer durchwachten Nacht in einem Hotel in Thessaloniki, als ich morgens auf die Toilette ging und ihre Rufe hörte. Sie waren die Botschaft des Lebens, die mich in dieser so ungeheuer lauten Stadt erreichte. Ich stieg auf den Klodeckel, um einen Blick durchs winzige Fenster zu werfen und den rasanten Flug dieser kleinen Vögel zu sehen, die den größten Teil ihres Lebens in der Luft verbringen. Mittlerweile haben sie immer weniger Möglichkeiten zu nisten.
Zu Hause sind nach den Rauchschwalben auch die Mehlschwalben endlich angekommen und haben ein Nest repariert. Heute hing ein weiteres Paar mit ihren kleinen Füßen an der Vorderseite des Hauses. Ich liebe ihr zärtliches Plaudern und hoffe sehr, daß sie ein weiteres Nest bauen. In meinem ersten Jahr in Lammershagen gab es sechs Schwalbennester am Haus. Jedes Jahr wurden es weniger. Keine Insekten – keine Vögel.
Charles Eisenstein schreibt in seinem Blog über den Klimawandel : https://charleseisenstein.net/essays/grief-and-carbon-reductionism/
Die Nachrichten über die Auswirkungen des Klimawandels werden die Menschen in Europa, USA, Australien nicht dazu veranlassen, etwas Entscheidendes zu verändern. Wir sind, schreibt er, zu gut „isoliert“. Bei uns funktioniert ja noch alles: es gibt genug zu essen, man kann noch Geld am Automaten bekommen usw. Was gibt den Antrieb, die Motivation, etwas wirklich grundlegend anders zu machen? Er sagt, es sei Schmerz (grief). So ähnlich sagt es auch Joanna Macy, die Grande Dame der Tiefenökologie. Erst muss der Kummer über das, was wir verlieren, was wir angerichtet haben, so deutlich werden, daß wir ihm nicht mehr ausweichen können. Vielleicht ist es dann aber auch zu spät.
Dann gibt es noch so etwas wie Erweckungserlebnisse: Byron Katie beschreibt, wie sie in einer Zwölf-Schritte-Klinik eines Morgens erwachte und eine Kakerlake sah, die über ihren Fuß spazierte. Sie wusste plötzlich, daß sie und die Kakerlake gleich waren. Von diesem Moment an war ihr Leben völlig verändert. Auch ich hatte so ein Erlebnis Weihnachten 1985, als ich mitten in einer tiefen Depression plötzlich wusste, daß ich so nicht mehr weiterleben wollte. Gleichzeitig wusste ich, daß ich das nicht allein schaffen würde und wo ich Hilfe bekommen würde. Das habe ich an anderer Stelle schon mal ausführlich beschrieben. Von da an änderte sich mein Leben auf eine so grundlegende Weise, daß es keine Ähnlichkeit mehr mit den 32 Jahren davor hatte. Das war nicht mein Verdienst, es war eher ein Geschenk. Von wem? Ich kann es nicht sagen, aber es scheint mir, daß in dem Moment, in dem eine*r ernsthaft bereit für Veränderung ist, Hilfe aus anderen Ebenen kommt. Und so könnte es auch bei dem globalen Problem geschehen, in das die Menschheit das gesamte Leben auf dieser Planetin manövriert hat. Hoffe ich!
Und ich finde, es gibt durchaus Anlass für Hoffnung: immer häufiger entdecke ich Menschen, die anders denken, anders handeln, dabei fröhlich und energiegeladen sind, die das Leben genießen, die die natürliche Verbindung von menschlicher und mehr-als-menschlicher Welt fühlen, Menschen, die fühlen, daß wir alle gleich sind.
Eines bin ich jedenfalls leid: mir das Dauergejammer von Menschen anzuhören, die in einer endlosen Opfer-Täter-Schleife steckenbleiben. Da fehlt mir einfach die Geduld. „Schmerz ist unvermeidlich, Leiden ist feiwillig“, sagte Susun Weed mal so passend.