Der Kormoran saß am Löschteich und war sichtlich beunruhigt, als ich wenige Meter entfernt vorbeiging, blieb dann aber sitzen. Auf dem Rückweg war er immer noch da. Heute hatte ich eine andere Tierbegegnung, als ich ein Stück Wiese mit der Sense mähte: eine sehr kleine Ringelnatter schlängelte sich geschmeidig durchs Gras. Ich konnte deutlich die hellen Halbmonde an ihrem schwarzen Kopf erkennen.
Ich nutze die wenigen Tage, an denen es nicht regnet, um im Garten zu arbeiten. Was im letzten Jahr zu wenig war – Wasser – gibt es seit mittlerweile über einem Dreivierteljahr mehr als reichlich. Ich muss meine Beete nicht gießen, außer die Tomaten im Gewächshaus, aber dafür musste ich dieses Jahr meine Verhandlungen mit den reichlich vorhandenen Schnecken wieder aufnehmen. Sie mögen die frisch aufgegangene Saat lieber als die Pflanzen auf der Wiese. Ich töte sie nicht, das habe ich in den vielen Jahren nie getan, und die Methoden, die manche Gärtner anwenden, um sie zu vernichten, sind mir zuwider. Außerdem scheint ihre massive Verfolgung nur dazu geführt zu haben, daß sie ihre Nachkommenschaft vervielfacht haben. Das ist Selbstregulation. Wen es interessiert, wie ich mit ihnen umgehe, dem empfehle ich das Buch Schneckenflüstern statt Schneckenkorn von Hans-Peter Posavac. Vielleicht wollen die Schnecken uns darauf hinweisen, daß unsere Lebensweise nicht im Einklang mit der Natur ist.
Immer mehr habe ich die Vermutung, daß die Sesshaftigkeit, an die wir uns so gewöhnt haben, nicht unserer wahren Natur entspricht. Die längste Zeit hat Homo sapiens als Nomade gelebt, ist mit den Tieren gewandert. Es gibt noch indigene Völker, die das tun, aber ihnen wird zunehmend ihre Lebensweise unmöglich gemacht. Ob das die Sami im Polarkreis sind, die Stämme, die die südamerikanischen Regenwälder bewohnen oder afrikanische Nomadenvölker, überall wird ihnen ihr traditionelles und bewährtes Leben unmöglich gemacht, etwa weil sich auf ihrem Land Bodenschätze befinden, etwa Lithium. Wie wäre es, wieder mit leichtem Gepäck zu reisen, ohne Besitz zu sein und im Vertrauen darauf zu leben, daß die Natur uns alles gibt, was wir brauchen? Wie wäre es, sich wieder als Teil der Landschaft zu fühlen? Herrschaft ist nur möglich, wenn man Menschen in Siedlungen hält, in viereckigen Kästen, die uns von der Natur abschneiden.
Ich habe ein sehr interessantes Buch gelesen: Sand Talk – Das Wissen der Aborigines und die Krisen der modernen Welt von Tyson Yunkaporta. Der Autor ist selbst Aborigine, wobei er von sich selbst sagt, daß er neben einem richtigen Blackfella aussähe wie Nicole Kidman, also ziemlich weiß. Er macht keinen Hehl daraus, daß er sich indigenes Wissen stückweise wieder aneignen musste und beschreibt auch, wie er dazu in unzählige Gespräche, er nennt sie „Yarns“, und Treffen gebraucht hat. Die Aborigines haben wie alle Indigenen weltweit sehr viel Leid und Zerstörung durch die Weißen erfahren und tun es immer noch. Yunkaporta geht mit den Weißen hart ins Gericht, er hat dabei einen schön bissigen Humor. Ich hatte beim Lesen viel Spaß. Es gab auch einige Aha-Erlebnisse, wenn er unserer gewohnten Weltsicht eine völlig andere entgegensetzt. Beispiel: Warum ist auf den Landkarten der Norden immer oben? Weil das die Geographie der Herrenrasse ist: oben sind die, die sagen, was gut und richtig ist für den Rest der Menschheit. Für Aborigines ist aber Tasmanien, das im Süden von Australien liegt, oben. Auch fragt er, warum die Europäer so mies drauf sind, daß sie die ganze Erde beherrschen wollen: es müsse etwas Furchtbares in ihrer Geschichte geschehen sein. Gut gefallen hat mir auch, wie er Frauen sieht. Das hat so gar nichts mit dem Frauenbild zu tun, das wir in unserer Kultur mit der Muttermilch aufgesogen haben. Auch den Mythos von den jagenden Männern und den sammelnden Frauen zerpflückt er genüsslich. Oder daß die Aufgabe von Männern sei, Frauen zu beschützen. Dazu kann ich aus eigener Erfahrung sagen: wenn ich mich auf den Schutz von Männern verlassen hätte, dann wäre ich verlassen gewesen. Für ihn spricht auch, daß er sich mit Feminismus beschäftigt hat, um Frauen, besonders europäische Frauen, zu verstehen. So hat er die Schriften der Feministin Germaine Greer studiert. Welcher weiße Mann kann das schon von sich behaupten? Ute Schiran hat uns von einem Treffen mit Aboriginefrauen erzählt, bei dem es um deren Verständnis von Zeit ging. Das klang so anders, so geheimnisvoll, so unserem Denken entgegengesetzt und ich hätte gern mehr darüber erfahren. Yunkaportas Buch ist in meinen Augen absolut authentisch, ohne Verklärungen, da er auch die massiven Beschädigungen dieser uralten Kulturen beschreibt.
Ich bin vor einigen Jahren durch die Oya auf eine weiße Australierin gestoßen: Narelle Carter-Quinlan. Sie hat bei einer Aboriginefrau gelernt und bezieht ihr Wissen in ihre Arbeit als Yogalehrerin und Tänzerin mit ein. Sie hat eine Yogaform für Menschen mit Skoliose entwickelt und zieht Analogien zwischen Körper und Landschaft. Sehr spannend für mich, weil ich mit dieser Analogie stark in Resonanz gehe und weil ich seit meiner Geburt mit einer Skoliose lebe. Wer sich für ihre Arbeit interessiert: www.saltwatersonglines.com/wild-yoga-for-scoliosis-blog