Im Dezember blühen noch Ackerringelblumen
Vor einigen Tagen wurde ich in Selent von einer mir vom Sehen bekannten Frau angesprochen: „Ich habe Sie im Fernsehen gesehen.“ Sie lobte den Beitrag und äußerte ihr Mitgefühl mit der afghanischen Familie, die einen Negativ-Bescheid vom BAMF bekommen hat. „Das ist so eine nette Familie, warum können die nicht hierbleiben.“ Dann erzählte sie, wenn sie in Hamburg am Bahnhof sei, hätte sie Angst „vor diesen Männern da“. Außerdem verkauften sie Drogen, warum die Polizei da nichts mache. Erst langsam begriff ich, daß sie nicht von Deutschen sondern von Migranten redete. Das Gespräch, das so wohlwollend angefangen hatte, hinterließ ein unangenehmes Gefühl in mir. Einmal deshalb, weil ich vermute, daß ich da „Volkes Meinung“ gehört habe, daß nämlich ausländische Männer Gefahr bedeuten und potentielle Verbrecher sind. Zweitens, weil ich nicht klar und deutlich Stellung bezogen habe.
Was hätte ich ihr sagen können? Daß viel mehr Gewaltverbrechen von deutschen Männern begangen werden, daß aber Gewalttaten von Migranten in der Berichterstattung ganz weit vorn ständen und damit Meinung gemacht werde. Daß am Hamburger Bahnhof auch Deutsche mit Drogen handeln und zwar schon seit Jahrzehnten. Und daß sie vor Dealern gar keine Angst haben müsse. Sie müsse ihnen ja nichts abkaufen. Nein, mir ist schon klar, daß ich Menschen wie sie nicht überzeugen kann. Aber mir hätte es gut getan, Stellung zu beziehen.
Überhaupt: dieses Aufregen über das Dealen mit Drogen geht mir gewaltig auf den Keks. Man könnte das Problem sehr einfach lösen, indem man Drogen legalisiert, wie es z. B. der ehemalige Regierungschef von Uruguay gemacht hat. Er war ein kluger Mensch, der irgendwann zugeben musste, daß der ganze Kampf gegen Drogen nichts gebracht hatte.
Wären Heroin, Kokain und Cannabis legal zu erhalten, entfiele z. B. die Beschaffungskriminalität. Dann würden Dealer ihre Ware nicht mehr mit gesundheitsschädlichen Stoffen strecken. Die Argumente, die von Gegnern dieser Idee stereotyp vorgebracht werden, sind nicht hieb- und stichfest. Was die Schädlichkeit angeht, ist Alkohol um ein Vielfaches gesundheitsschädigender als Heroin, weil er irreversible Schäden an Leber, Nerven und Gehirn macht, wenn im Übermaß genossen. Aber Alkohol ist legale Droge in Deutschland und es wird hierzulande ziemlich viel gesoffen. Wer nichts trinkt, wird in der Öffentlichkeit komisch angeguckt und muss sich blöde Sprüche anhören. Ich weiß das, weil ich keinen Alkohol trinke.
Daß Cannabis Psychosen auslöst, wird gebetsmühlenartig immer wiederholt, es gibt allerdings vermehrt Zweifel an dieser These. Es ist wohl eher so, daß Menschen mit Psychose gern Cannabis rauchen, um sich selbst zu medizieren. Natürlich können all diese Substanzen zu Abhängigkeiten führen, die sich negativ auswirken. Aber dann dürften Ärzte konsequenterweise auch keine Benzodiazepine und kein Zopiclon verschreiben. Sie machen schnell abhängig und verändern bei Dauergebrauch wie jedes Suchtmittel die Persönlichkeit. Die Entgiftung von diesen Substanzen dauert erheblich länger als eine Alkoholentgiftung und ist absolut kein Sonntagsspaziergang, wie ich immer wieder bei unseren Patient*innen erlebe.
Es kotzt mich überhaupt ziemlich an, daß der Staat ständig meint über die Gesundheit der Bürger wachen zu müssen und das mit Verboten und Kriminalisierung erreichen will.
Wie wäre es denn mal mit einem Totalverbot von Glyphosat und von Kohlekraftwerken? Oder ein Verbot des lukrativen Handels mit den extrem gesundheitsschädlichen Panzern und U-Booten?