Entscheidung

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I. und ich haben heute Morgen im Restez à table in Kiel gut gefrühstückt und sind anschließend bei schönstem Sonnenschein ins Stadt- und Schifffahrtsmuseum an der Förde gegangen, um uns die Ausstellung Die Stunde der Matrosen – Kiel und die deutsche Revolution 1918 anzusehen. Wir mussten keinen Eintritt bezahlen und bekamen von dem freundlichen Mann an der Kasse noch eine kleine Broschüre zum Thema. Die Ausstellung kann ich empfehlen. Sie beschreibt ausführlich die Ereignisse in Wilhelmshaven, wo der Aufstand seinen Anfang nahm, in Kiel und später in Berlin. Auch damals hat die Sozialdemokratie schon eine schlechte Figur abgegeben und sich nicht auf die Seite der Arbeiter, Soldaten, Matrosen und Frauen gestellt (letztere werden bei der Schilderung der Ereignisse immer gern ausgelassen, aber sie waren auch dabei und eine der Forderungen der Matrosen war das Frauenwahlrecht).

I. hat sich entschieden, eine für sie untragbare Situation zu beenden und ist seitdem guter Dinge. In unserem Gespräch ging es also um Entscheidungen, die frei machen. Auch ich habe eine solche Entscheidung kürzlich getroffen: ich habe einem Mann, der seit Monaten auf einem Treffen beharrt, das ich ihm nicht gewähren will, per Mail die rote Karte gezeigt. Mein mehrfach geäußertes Nein missachtete er bisher. Mittlerweile ist mein Ärger so groß, daß ich meine bisherige Höflichkeit völlig fallenlassen konnte.

Ich hatte in den vergangenen Jahren zweimal eine ähnliche Situation: das erste Mal musste ich auch sehr massiv werden und den Kontakt völlig abbrechen, um endlich meine Ruhe zu haben (es handelte sich um einen langjährige Bekannten), das zweite Mal wurde mein klares Nein relativ schnell hingenommen, aber einen so zähen „Verehrer“ hatte ich noch nie. Natürlich frage ich mich, was an meinem Verhalten dazu geführt hat, daß er nicht locker ließ. Ich war freundlich, habe aber klar gesagt, daß ein Treffen für mich nicht anliegt. Das hat er nicht akzeptiert. Es ist eine schwierige Situation, ich kann diesem Mann nicht völlig aus dem Weg gehen.

I. sagte: „Solange du auf seine Mails antwortest, wird er weitermachen.“ Sie hat Recht. Als ich mein eigenes Verhalten der letzten Monate ihm gegenüber rekapitulierte, entdeckte ich, daß in mir immer noch neben aller Selbstständigkeit und Freiheit das kleine brave Mädchen existiert, daß einem Menschen, der seine Grenzen verletzt, aus Höflichkeit nicht auf die Finger haut, sondern stattdessen versucht, ihn davon zu überzeugen, es in Ruhe zu lassen. Dazu fällt mir ein, wie Ute Schiran in Menschenfrauen fliegen wieder erzählt, daß sie einem Arzt ihren Ellenbogen in den Bauch gerammt hat, als er sie ziemlich störte, während sie mit der Geburt eines ihrer Kinder beschäftigt war. Ich habe sie für diese klare Reaktion bewundert: keine Erklärung, keine Diskussion (mal davon abgesehen geht beides während der Wehen sowieso nicht mehr, da sind nur noch ganz elementare Reptiliengehirnreaktionen möglich), sondern direktes Handeln.

Während ich dieses Blog führe, habe ich gelernt, daß es nicht gut ist, Menschen aus meinem Umkreis vorzuführen, auch dann nicht, wenn ich ihren Namen nicht nenne. In diesem Fall halte ich es anders, ganz bewusst. Ich möchte gern jede Frau ermutigen, konsequent nur auf ihre innere Stimme zu hören. Die sagt die Wahrheit, das ist meine Erfahrung: sie sagt, ob ein Kontakt angenehm oder nicht ist, ob jemand gut für eine ist oder nicht. Wie kann ich erwarten, daß ein anderer mich ernst nimmt, wenn ich selbst das nicht tue. Und wenn einer fortgesetzt Grenzen verletzt, die ihm klar aufgezeigt wurden, sind Höflichkeit und Feundlichkeit völlig fehl am Platz. Ich glaube, wenn wir Frauen aufhören brave Mädchen zu sein, wird es mit den Weinsteins dieser Welt ziemlich schnell vorbei sein.

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