Gestern nahm ich am Warnstreik teil, den die Gewerkschaft Ver.di für die Beschäftigten des Uniklinikums Schleswig-Holstein organisiert hatte. Es gibt die paradoxe Situation, daß die Politik mittlerweile erkennt, daß es eine Pflegenotstand gibt, aber nicht bereit ist, ein akzeptables Angebot zu machen, um diesen Beruf nicht nur finanziell attraktiver zu machen. Der Sprecher des UKSH sagte, es gäbe keinen finanziellen Spielraum. Perverserweise ist allerdings für den Vorstand durchaus Geld vorhanden und zwar in schwindelerregender Höhe: allein für den Chef des Klinikum mehr als eine halbe Million Jahresgehalt. Außerdem hat man den Vorstand um zwei weitere Stellen erweitert.
Ich fuhr zum Frühdienst, verabschiedete mich allerdings wieder, als mein Kollege eine Stunde nach mir um 7:00 auf der Station erschien. D. h. es gab an diesem Tag nur die Notversorgung, wobei wir mittlerweile auch an ganz normalen Tagen sehr häufig nicht besser besetzt sind, also die Notversorgung mehr und mehr zum Alltag wird.
Auf dem Weg zum Gewerkschaftshaus in der Legienstraße wurde stimmungsaufhellende Musik geboten: eine Frau hatte ihren Dudelsack mitgebracht. Vom Balkon empfing uns laut Bella Ciao in der Version von El Professor. Das steigerte meine gute Laune. Im Gewerkschaftshaus haben übrigens schon im November 1918 die Kieler Arbeiter- und Soldatenräte getagt. Drinnen füllten wir Anträge für Streikgeld aus, dann gab es Brötchen und Kaffee. Die Gewerkschaftssekretäre gaben den Ablauf bekannt und nordeten uns ein. Ein Vertreter der IG Metall bekundete seine Solidarität mit solcher Begeisterung, daß er locker ohne Mikrophon ausgekommen wäre. Er zeigte sich empört über unsere Gehälter und sagte, daß die Metaller erheblich mehr bekämen als wir. Das ist ja die alte Geschichte: Sorgearbeit wird generell unter Wert bezahlt. Die Frau mit dem Dudelsack erzählte, daß sie seit ein paar Jahren Krankenschwester sei und erst Zeit zum Üben habe, seit sie ihre Wochenarbeitszeit reduziert um den Preis von weniger Rente im Alter.
Dann zogen wir mit Transparenten und Trillerpfeifen, eskortiert von der Polizei, durch die Stadt. Das hat Spaß gemacht. Am Knooper Weg und an der Feldstraße kamen wir an drei Kindergärten vorbei. Die Kinder drückten sich die Nasen an den Fensterscheiben platt und einige winkten. Auch einige Bauarbeiter an der Holtenauerstraße winkten vom Gerüst und wir winkten zurück. Während des Marsches wuchs der Zug deutlich an, weil Passanten sich zu uns gesellten. Sehr erfreulich! Überhaupt begegnete uns viel Wohlwollen. Etwas durchgefroren fuhr ich mittags gut gelaunt nach Hause. Nächste Woche wird wieder gestreikt.
Ich war in den 70er Jahren aktiv in einer Betriebsgruppe der Vorgängerorganisation von Ver.di, der ÖTV. Damals habe ich auch einmal an einer Landesdelegiertenkonferenz teilgenommen und war Vertrauensfrau. Dann habe ich mich erst aus der aktiven Gewerkschaftsarbeit verabschiedet, schließlich bin ich ausgetreten …und nach einigen Jahren wieder eingetreten. Es gibt sicher einiges an Gewerkschaften auszusetzen. Aber andererseits sind sie die einzigen Interessenvertretungen, die wir haben. Ohne sie hätten wir keine Chance auf Gehaltserhöhungen und Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen. Ohne sie hätte ich immer noch einige Hundert Euro monatlich weniger auf dem Konto, als meine Kollegen, die einen alten Arbeitsvertrag haben. Deshalb plädiere ich heute dafür, daß gerade das Pflegepersonal, für das es besonders schwierig ist zu streiken (weil immer eine Notfallversorgung gewährleistet sein muss), sich unbedingt gewerkschaftlich organisieren sollte.